Silvia Engels: Am Montag hatte der Schweizer Pharmakonzern Novartis in Indien einen wichtigen Prozess verloren. Der Oberste Gerichtshof hatte dem Unternehmen Patentschutz für ein Krebsmedikament verweigert. Das Mittel darf in Indien nun ohne Patentgebühren hergestellt werden.
Gestern Abend sprach mein Kollege Gerd Breker mit Christian Wagner-Ahlfs über den Fall. Er ist Referent für Pharmapatente bei der Pharmakampagne Bielefeld. Das ist eine Nichtregierungsorganisation, die vielen Aktivitäten internationaler Pharmakonzerne in Entwicklungsländern kritisch gegenübersteht. An ihn ging die Frage, ob das Urteil aus seiner Sicht ein Sieg für die Armen sei.
Christian Wagner-Ahlfs: Absolut! Wir begrüßen den Ausgang des Verfahrens, weil was sehr positiv zu werten ist: Dieses Urteil des indischen Gerichtes setzt ganz klare Regeln. Von nun an sind die Patentierungsregeln wirklich in Indien für alle klar. Der strittige Paragraf, das war der sogenannte Paragraf 3d des indischen Patentgesetzes, beschäftigt sich mit der Frage, was ist patentierbar.
Dahinter steckt die Frage, was ist eine Innovation, also eine schützenswerte neue Erfindung, und in dem Fall ging es eben um die Frage, ist dieses Krebsmedikament, für das Novartis den Patentschutz beantragt hatte, ist das eine patentierungswürdige Erfindung. Und das Gericht kommt ganz klar zu dem Urteil nein, weil es eine geringfügige Abänderung eines bereits bestehenden Patentes ist. Das schafft nun ganz eindeutig Klarheit für alle weiteren Fälle, wo es um die Frage geht, ist ein Medikament, ein neuer Wirkstoff patentierbar oder nicht.
Gerd Breker: Aber grundsätzlich, Herr Wagner-Ahlfs, ist doch Patentschutz für Firmen, die überhaupt Forschung betreiben und neue Arzneimittel auf den Markt bringen, wichtig und richtig?
Wagner-Ahlfs: Genau darum geht es ja im Endeffekt auch. Hier geht es nicht nur um die Frage, ist das patentierungswürdig oder nicht, sondern es geht um die Gewinne, die die Firmen damit machen wollen. Und was das indische Urteil nun vermeidet, ist das sogenannte Evergreening, dass Unternehmen ständig neue Patente auf geringfügig geänderte Wirkstoffe erlassen, und das führt dazu, dass es eigentlich sehr viele Pseudoinnovationen gibt.
Also man bringt ein neues Medikament nur darum auf den Markt, weil es patentiert ist und man wieder sehr hohe Gewinne damit erzielen kann und wenn der Patentschutz für das eigentlich zugrunde liegende, sehr ähnliche Medikament ausgelaufen ist. Das sind deswegen Pseudoinnovationen, weil sie keinen Fortschritt für den Patienten bringen, also die Behandlung nicht verbessern. Das ist ganz wichtig zu wissen: Nicht jedes Medikament, was innovativ, also neu ist, bedeutet automatisch eine Verbesserung.
Breker: Nur jede zehnte Forschung führt zu einem neuen Medikament, hören wir von der Pharmaindustrie. Die Forschung sei teuer, und die Forschung müsse sich lohnen. Ein Argument, was Sie also nicht überzeugt?
Wagner-Ahlfs: Das überzeugt mich nicht in der Art und Weise, wie es von den Unternehmen vorgetragen wird. Auch in der Zeitung habe ich heute als erste Reaktion der Pharmaunternehmen gelesen, dass sie eine Milliarde Dollar und mehr in die Entwicklung eines neuen Medikamentes investieren. Das ist eine Zahl, die völlig aus der Luft gegriffen ist, die ist überhaupt nicht belegt.
Die Entwicklung eines Medikamentes kostet seriösen Studien zufolge zwischen 150 und 300 Millionen Dollar, und da gibt es natürlich Ausreißer nach oben, aber auch nach unten, aber das ist der Durchschnittswert. Und man muss auch bedenken: In der Regel über die Hälfte der Forschungsausgaben sind öffentliche Gelder gewesen. Das war auch ganz eindeutig im Fall des beklagten Krebsmedikamentes so. Die ganze zugrunde liegende Forschung bis zu den klinischen Studien wurde öffentlich finanziert, war also gar nicht Investition der Pharmaindustrie.
Breker: Also wird aus Ihrer Sicht das Forschungsargument missbraucht. Was kann man da tun, die Patentvergabe verschärfen?
Wagner-Ahlfs: Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, und das ist ja auch das, was in Indien jetzt gemacht wurde. In Indien hat man beschlossen, man wird die Patentprüfung einfach sehr wesentlich strenger handhaben, also wirklich nur Dinge, die ganz neu sind, patentieren lassen, und das ist eine Möglichkeit. Eine wichtige andere Möglichkeit ist, eben nicht nur auf das Pferd der Pharmaindustrie zu setzen. Ich habe gerade schon erwähnt, dass auch schon heute sehr viele öffentliche Forschungsanteile bei der Arzneimittelentwicklung beteiligt sind, und in diese Richtung geht auch die Frage, welche Alternativmodelle gibt es, wenn das mit den Patenten nicht so richtig funktioniert – zum einen, weil es eben viele Pseudoinnovationen fördert, zum anderen, weil es dazu führt, dass die meisten Medikamente, wenn sie auf den Markt kommen, für den Großteil der Menschheit überhaupt gar nicht bezahlbar sind.
Und was nützt die beste Innovation, wenn sie die Menschheit nicht erreicht! Deswegen ist es ganz wichtig, auch Alternativen zu diskutieren, von der Frage der patentfreien Forschung, was natürlich erst mal sich als sehr radikaler Wechsel anhört, aber was nicht unmöglich ist. In den letzten Jahren wurden bereits zwei neue Malaria-Medikamente auf den Markt gebracht, die komplett ohne Patent entwickelt wurden und auch jetzt heute schon von verschiedenen Unternehmen als Generika hergestellt werden.
Also das funktioniert, das ist eine Frage des Willens. Und natürlich ist da noch die Frage, wer finanziert das Ganze, und wie gesagt: Auch schon heute steckt sehr viel öffentliche Finanzierung darin. Wenn man beispielsweise im Rahmen eines internationalen Abkommens sagt, wir verteilen die Kosten der Forschung auf mehrere Schultern, sprich auf mehrere Staaten, mehrere Regierungen, dann ist das durchaus machbar.
Breker: Also Sie können sich durchaus vorstellen, dass man gestaffelte Preise zum Beispiel in Industrieländern hat und niedrigere in Schwellenländern beziehungsweise Entwicklungsländern. Kann das machbar sein, ist das durchführbar, oder gibt es dann Re-Importe?
Wagner-Ahlfs: Die Frage der gestaffelten Preise, das ist nicht Theorie, das wird heute schon gehandhabt, dass die Medikamente unterschiedlich viel kosten. Man kann das Ganze einfach so begründen, das sagen auch die Unternehmen selbst: Sie versuchen, auf jedem Markt den größtmöglichen Preis zu erzielen, also den größtmöglichen Gewinn zu machen. Das führt dazu, dass die Medikamente in Afrika beispielsweise günstiger angeboten werden und in Europa und in den USA teurer. Dann ist es natürlich ein Interesse der Unternehmen, dafür zu sorgen, dass die Märkte abgeschottet bleiben, also dass jetzt nicht die günstigen Medikamente aus Afrika nach Deutschland re-importiert werden. Aber da gibt es eigentlich ziemlich klare Kontrollen, also die Märkte sind gut gegeneinander abgeschottet.
Engels: Christian Wagner-Ahlfs von der Pharmakampagne Bielefeld zum indischen Patenturteil im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker gestern Abend.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Gestern Abend sprach mein Kollege Gerd Breker mit Christian Wagner-Ahlfs über den Fall. Er ist Referent für Pharmapatente bei der Pharmakampagne Bielefeld. Das ist eine Nichtregierungsorganisation, die vielen Aktivitäten internationaler Pharmakonzerne in Entwicklungsländern kritisch gegenübersteht. An ihn ging die Frage, ob das Urteil aus seiner Sicht ein Sieg für die Armen sei.
Christian Wagner-Ahlfs: Absolut! Wir begrüßen den Ausgang des Verfahrens, weil was sehr positiv zu werten ist: Dieses Urteil des indischen Gerichtes setzt ganz klare Regeln. Von nun an sind die Patentierungsregeln wirklich in Indien für alle klar. Der strittige Paragraf, das war der sogenannte Paragraf 3d des indischen Patentgesetzes, beschäftigt sich mit der Frage, was ist patentierbar.
Dahinter steckt die Frage, was ist eine Innovation, also eine schützenswerte neue Erfindung, und in dem Fall ging es eben um die Frage, ist dieses Krebsmedikament, für das Novartis den Patentschutz beantragt hatte, ist das eine patentierungswürdige Erfindung. Und das Gericht kommt ganz klar zu dem Urteil nein, weil es eine geringfügige Abänderung eines bereits bestehenden Patentes ist. Das schafft nun ganz eindeutig Klarheit für alle weiteren Fälle, wo es um die Frage geht, ist ein Medikament, ein neuer Wirkstoff patentierbar oder nicht.
Gerd Breker: Aber grundsätzlich, Herr Wagner-Ahlfs, ist doch Patentschutz für Firmen, die überhaupt Forschung betreiben und neue Arzneimittel auf den Markt bringen, wichtig und richtig?
Wagner-Ahlfs: Genau darum geht es ja im Endeffekt auch. Hier geht es nicht nur um die Frage, ist das patentierungswürdig oder nicht, sondern es geht um die Gewinne, die die Firmen damit machen wollen. Und was das indische Urteil nun vermeidet, ist das sogenannte Evergreening, dass Unternehmen ständig neue Patente auf geringfügig geänderte Wirkstoffe erlassen, und das führt dazu, dass es eigentlich sehr viele Pseudoinnovationen gibt.
Also man bringt ein neues Medikament nur darum auf den Markt, weil es patentiert ist und man wieder sehr hohe Gewinne damit erzielen kann und wenn der Patentschutz für das eigentlich zugrunde liegende, sehr ähnliche Medikament ausgelaufen ist. Das sind deswegen Pseudoinnovationen, weil sie keinen Fortschritt für den Patienten bringen, also die Behandlung nicht verbessern. Das ist ganz wichtig zu wissen: Nicht jedes Medikament, was innovativ, also neu ist, bedeutet automatisch eine Verbesserung.
Breker: Nur jede zehnte Forschung führt zu einem neuen Medikament, hören wir von der Pharmaindustrie. Die Forschung sei teuer, und die Forschung müsse sich lohnen. Ein Argument, was Sie also nicht überzeugt?
Wagner-Ahlfs: Das überzeugt mich nicht in der Art und Weise, wie es von den Unternehmen vorgetragen wird. Auch in der Zeitung habe ich heute als erste Reaktion der Pharmaunternehmen gelesen, dass sie eine Milliarde Dollar und mehr in die Entwicklung eines neuen Medikamentes investieren. Das ist eine Zahl, die völlig aus der Luft gegriffen ist, die ist überhaupt nicht belegt.
Die Entwicklung eines Medikamentes kostet seriösen Studien zufolge zwischen 150 und 300 Millionen Dollar, und da gibt es natürlich Ausreißer nach oben, aber auch nach unten, aber das ist der Durchschnittswert. Und man muss auch bedenken: In der Regel über die Hälfte der Forschungsausgaben sind öffentliche Gelder gewesen. Das war auch ganz eindeutig im Fall des beklagten Krebsmedikamentes so. Die ganze zugrunde liegende Forschung bis zu den klinischen Studien wurde öffentlich finanziert, war also gar nicht Investition der Pharmaindustrie.
Breker: Also wird aus Ihrer Sicht das Forschungsargument missbraucht. Was kann man da tun, die Patentvergabe verschärfen?
Wagner-Ahlfs: Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, und das ist ja auch das, was in Indien jetzt gemacht wurde. In Indien hat man beschlossen, man wird die Patentprüfung einfach sehr wesentlich strenger handhaben, also wirklich nur Dinge, die ganz neu sind, patentieren lassen, und das ist eine Möglichkeit. Eine wichtige andere Möglichkeit ist, eben nicht nur auf das Pferd der Pharmaindustrie zu setzen. Ich habe gerade schon erwähnt, dass auch schon heute sehr viele öffentliche Forschungsanteile bei der Arzneimittelentwicklung beteiligt sind, und in diese Richtung geht auch die Frage, welche Alternativmodelle gibt es, wenn das mit den Patenten nicht so richtig funktioniert – zum einen, weil es eben viele Pseudoinnovationen fördert, zum anderen, weil es dazu führt, dass die meisten Medikamente, wenn sie auf den Markt kommen, für den Großteil der Menschheit überhaupt gar nicht bezahlbar sind.
Und was nützt die beste Innovation, wenn sie die Menschheit nicht erreicht! Deswegen ist es ganz wichtig, auch Alternativen zu diskutieren, von der Frage der patentfreien Forschung, was natürlich erst mal sich als sehr radikaler Wechsel anhört, aber was nicht unmöglich ist. In den letzten Jahren wurden bereits zwei neue Malaria-Medikamente auf den Markt gebracht, die komplett ohne Patent entwickelt wurden und auch jetzt heute schon von verschiedenen Unternehmen als Generika hergestellt werden.
Also das funktioniert, das ist eine Frage des Willens. Und natürlich ist da noch die Frage, wer finanziert das Ganze, und wie gesagt: Auch schon heute steckt sehr viel öffentliche Finanzierung darin. Wenn man beispielsweise im Rahmen eines internationalen Abkommens sagt, wir verteilen die Kosten der Forschung auf mehrere Schultern, sprich auf mehrere Staaten, mehrere Regierungen, dann ist das durchaus machbar.
Breker: Also Sie können sich durchaus vorstellen, dass man gestaffelte Preise zum Beispiel in Industrieländern hat und niedrigere in Schwellenländern beziehungsweise Entwicklungsländern. Kann das machbar sein, ist das durchführbar, oder gibt es dann Re-Importe?
Wagner-Ahlfs: Die Frage der gestaffelten Preise, das ist nicht Theorie, das wird heute schon gehandhabt, dass die Medikamente unterschiedlich viel kosten. Man kann das Ganze einfach so begründen, das sagen auch die Unternehmen selbst: Sie versuchen, auf jedem Markt den größtmöglichen Preis zu erzielen, also den größtmöglichen Gewinn zu machen. Das führt dazu, dass die Medikamente in Afrika beispielsweise günstiger angeboten werden und in Europa und in den USA teurer. Dann ist es natürlich ein Interesse der Unternehmen, dafür zu sorgen, dass die Märkte abgeschottet bleiben, also dass jetzt nicht die günstigen Medikamente aus Afrika nach Deutschland re-importiert werden. Aber da gibt es eigentlich ziemlich klare Kontrollen, also die Märkte sind gut gegeneinander abgeschottet.
Engels: Christian Wagner-Ahlfs von der Pharmakampagne Bielefeld zum indischen Patenturteil im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker gestern Abend.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.