Im Labor der Firma Nanion Technologies im Münchner Stadtteil Neuhausen: Auf einer sterilen Arbeitsbank träufelt ein Roboter Flüssigkeiten, in denen Zellen schwimmen, in ein postkartengroßes Glasplättchen. Es weist fast 400 kleine Trichter auf, von denen jeder unten in einem winzigen Loch endet.
"Unsere Kerntechnologie ist tatsächlich das: kleine Löcher machen."
Allerdings möchte Nanion-Geschäftsführer Niels Fertig nicht verraten, wie das geht: in Glas Löcher zu bohren, die jeweils nur einen Tausendstel Millimeter messen. Die Zellen, die der Roboter in die Trichter tröpfelt, sind deutlich größer - und deshalb bleiben sie in den Öffnungen der Trichter hängen, genau wie Kaffeepulver in den Poren eines Filters. Überwacht wird der Versuch von der Nanion-Forscherin Andrea Brüggemann.
"Wir saugen etwas, während wir die Zellen dazugeben, damit die auf das Loch drauf finden. Und haben wir schon das, was wir gerne hätten, nämlich eine Zelle auf einem Loch in einer normalen Lösung. Jetzt können wir anfangen, die Ströme durch diese Zellmembran zu messen."
Dann darum geht es bei diesem Experiment: Die Forscher wollen den elektrischen Strom messen, der durch die Membran einer einzelnen Zelle fließt. So etwas ist erst seit einigen Jahrzehnten möglich, dank der sogenannten Patchclamp-Technik, entwickelt durch die Nobelpreisträger Erwin Neher und Bert Sakmann. Die beiden hatten Zellen ursprünglich statt in Trichtern an den Spitzen hauchdünner Glasröhrchen festgehalten. Mit einer Elektrode konnten sie dann untersuchen, ob elektrisch geladene Teilchen hindurchwandern, etwa Kalium oder Natrium. Genau solche Versuche hat Niels Fertig Ende der 1990er-Jahre in seiner Doktorarbeit gemacht.
"Was tatsächlich ganz fantastische Messungen ermöglicht. Man kann die elektrische Aktivität der Zelle belauschen mit dieser Patchclamp-Technik auf Einzelmolekül-Ebene. Das ist eine weit verbreitete Messtechnik in der akademischen Forschung, aber auch für die Entwicklung von Medikamenten."
Niels Fertig hat damals aber ein Problem der Patchclamp-Technik erkannt: Die Messungen waren aufwendige Handarbeit. Deshalb hat er mit der Firma Nanion das Verfahren automatisiert. Hat die Glasplättchen mit den Trichtern entwickelt und mit Robotern kombiniert. So wurden statt Einzelexperimenten hunderte Versuche zugleich möglich. Erst dadurch ist das Verfahren interessant geworden für die Pharmaindustrie. Denn sie sucht nach Wirkstoffen, mit denen sich die elektrischen Vorgänge an Zellmembranen beeinflussen lassen.
"Ein ganz großer Bereich ist Schmerz oder chronischer Schmerz. Da sind sehr viele innovative Produkte in der Entwicklung bei den Pharmaunternehmen. Und da spielen viele der Natriumkanäle eine große Rolle."
Diese "Kanäle" sind röhrenförmige Eiweißmoleküle. Wie Ventile sitzen sie in der Zellmembran und lassen bei Bedarf jeweils nur Natrium-Ionen, also elektrisch geladene Teilchen, durch. Jede Art von Ionen hat ihre eigenen Kanäle in der Zellmembran.
"Es ist auch so, dass Kalziumkanäle eine ganz große Rolle spielen im Bereich der Neurologie. Da sind viele Entwicklungen, die auf die Kalziumkanäle abzielen. Aber auch bei anderen Sachen, Diabetes zum Beispiel, also bei der Insulinausschüttung spielen Ionenkanäle eine große Rolle. Da wird sehr viel geforscht, um neue moderne Medikamente gerade für die sogenannten Volkskrankheiten zu entwickeln."
Medikamente, die Ionenkanäle beeinflussen, gibt es längst - unter anderem die meisten Schmerzmittel. Doch die Münchner Unternehmer wollen erreichen, dass dank ihres Testsystems zukünftig Präparate auf den Markt kommen, die noch besser wirken und weniger Nebenwirkungen haben. Vor sieben Jahren konnten die Nanion-Forscher bereits an acht Zellen zugleich die elektrischen Ströme messen. Schon das galt als so wegweisend, dass die Firma seinerzeit für den Deutschen Zukunftspreis nominiert wurde. Inzwischen taugen die Tests sogar für die Industrie. Deshalb hat die Technikakademie "acatech" Niels Fertig und sein Team erneut für die hohe Auszeichnung vorgeschlagen.