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Philipp Amthor (CDU)
Kritik an Kramp-Karrenbauers Karnevalswitz "ziemlich scheinheilig"

Philipp Amthor (CDU) hat im Dlf Kritik an einem Witz über Intersexuelle seiner Partei-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer als "politisch sehr gewollte Interpretation" zurückgewiesen. In der Debatte um Schülerstreiks während der Unterrichtszeit verteidigte Amthor den Ernst der Schulpflicht.

Philipp Amthor im Gespräch mit Sandra Schulz |
Philipp Amthor, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern.
Philipp Amthor (CDU), jüngster Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und vor siebeneinhalb Jahren selbst noch Schüler (imago - photothek)
Sandra Schulz: Angefangen hat alles mit der schwedischen Schülerin Greta Thunberg. Im vergangenen Jahr beschloss sie, freitags nicht mehr zur Schule zu gehen, stattdessen öffentlich für einen entschiedeneren Kampf gegen den Klimawandel einzutreten. In Davos las sie den Mächtigen der Welt die Leviten, und seit einigen Wochen macht ihr Beispiel weltweit Schule – beziehungsweise gerade nicht –, auch in Deutschland gingen und gehen Tausende junge Menschen freitags auf die Straße und nicht zum Unterricht.
Und die Debatte hat jetzt am Wochenende weiter Fahrt aufgenommen – nach Gretas Besuch am Freitag in Hamburg, nach der Unterstützung der Kanzlerin für die Schülerinnen und Schüler. Und darüber können wir in den kommenden Minuten sprechen mit einem Mann, der erst seit siebeneinhalb Jahren selbst aus der Schule raus ist, mit dem jüngsten Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit dem CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor. Schönen guten Morgen!
Philipp Amthor: Schönen guten Morgen, grüße Sie, hallo!
Schulz: Wenn jetzt Frühjahr 2011 wäre, würden Sie freitagsvormittags demonstrieren gehen?
Amthor: Also, ich fand es schon immer gut, wenn sich auch junge Leute und Schüler politisch einbringen, das hab ich damals auch so gemacht. Ich war ehrlicherweise aber doch nie ein großer Fan von sogenannten Schülerstreiks. Ich finde, politische Partizipation ist eigentlich immer am besten auch aufgehoben, wenn man das mit der Schulpflicht vereinbaren kann. Ich sage, in Ausnahmefällen mag das auch mal sein, dass es vielleicht auch so eine politische Aktion in der Schulzeit gibt, in Abstimmung mit der Schule, aber das sollte nicht zum Regelfall werden. Und ich finde, das gilt heute, und das hätte ich, glaube ich, 2011 ganz genauso gesehen.
Schulz: Und wie verstehen Sie jetzt die Äußerungen von Angela Merkel? War das überhaupt die Unterstützung, als die die Äußerungen kommentiert wurden? Zur Schulpflicht hat sie ja gar nichts gesagt.
Amthor: So ist es, und ich wundere mich auch ein ganzes Stück weit darüber, dass jetzt mancher meint, Angela Merkel hätte dort einem Bruch der Schulpflicht das Wort geredet – das kann ich jedenfalls nicht erkennen. Ich finde, das, was sie gesagt hat, ist uneingeschränkt unterstützenswert, insoweit sie sagt, dass sie es gut findet, dass sich junge Leute dort einbringen, auch ihre Stimme hervortun zum Thema Klimaschutz, das finde ich auch richtig. Aber ich glaube, auch die Bundeskanzlerin sieht das nicht anders, als Anja Karliczek das erklärt hat, dass das natürlich der Ausnahmefall sein muss, dass das in der Schulzeit stattfindet. Insoweit habe ich nicht den Eindruck, dass Angela Merkel dort einem Bruch der Schulpflicht das Wort geredet hat.
"Pochen auf Schulpflicht ist keine sonderlich harte Haltung"
Schulz: Ist es denn glücklich, dass sie das überhaupt offen gelassen hat? Sie haben Anja Karliczek, die Bildungsministerin, schon zitiert, Wirtschaftsminister Altmaier hat am Wochenende getwittert, politisches Engagement von Schüler*innen immer gut, Schule schwänzen fast immer schlecht, je öfter, desto dümmer. Also bleibt die CDU da jetzt doch bei der harten Haltung, die auf die Schulpflicht pocht?
Amthor: Wissen Sie, ich finde das Pochen auf die Schulpflicht ist jetzt keine sonderlich harte Haltung, sondern es sollte die Normalität sein, dass wir auch sagen, politische Partizipation ist auch gewünscht in der Schule, aber Schulpflicht muss dann auch gelten, es sei denn, es gibt die Ausnahme der Beurlaubung. Ich finde nicht, dass das eine harte Position ist, sondern ich wundere mich ganz im Gegenteil, dass es politische Kräfte gibt, die sagen, ach, das ist eigentlich egal, wenn nur das Ziel und der Grund genug sind, dann muss man nicht zur Schule gehen – das finde ich schwierig. Stellen Sie sich vor, diejenigen, die jetzt sagen, ich finde es gut, dass da Schüler jeden Freitag nicht zur Schule gehen wegen dieser Klimaschutzdemonstration, stellen Sie sich vor, es gibt jetzt jeden Freitag eine Demonstration von Schülern für mehr Polizeikompetenz und eine bessere Durchsetzung der Ausreisepflicht, da, glaube ich, wären Sie selbst Leuten, die das jetzt gut finden, vielleicht eher ein Stück weit kritischer damit. Und deswegen kann ich nur sagen, ich glaube, man sollte beides vereinbaren. Man sollte jetzt nicht sagen, das ist illegitim, sondern das auch zur Kenntnis nehmen, dass die Schüler sich dort einbringen, aber eben auch sagen, dem Klimaschutz ist auch geholfen, wenn man das außerhalb der Schulzeit macht.
Schulz: Aber allen, die jetzt dafür werben, dass die Schüler in ihrer Freizeit demonstrieren gehen, denen antworten Sie, das ist ja gerade nicht die Idee, wir wollen kein "business as usual", und jetzt versteht das endlich mal. Kommt das überhaupt nicht an?
Amthor: Nein, ich finde, dieses Signal kommt ja sehr wohl an, und ich glaube, wenn Sie sehen und den Kanon sich anhören derjenigen, die sich dazu geäußert haben, dann, glaube ich, sehen die Schüler sehr wohl, dass ihr Signal gehört wurde und auch gehört wird. Und deswegen finde ich es auch richtig, dass die Bundeskanzlerin dazu auch ganz klare Worte gesagt hat. Ich glaube, trotzdem müssen wir dann auch sehen, dass man auch realistisch diskutiert, was kann dem Klimaschutz helfen. Natürlich die gesellschaftliche Diskussion darum, dass wir alle uns bemühen müssen, uns auf den Weg zu machen, noch besser zu werden, diese Klimaschutzziele einzuhalten. Das ist ein ganz legitimes Interesse, auch der jungen Generation, auch meiner Generation, aber es ist gleichzeitig so, wenn man fleißig zur Schule geht und irgendwie dann beitragen kann, dass Innovationen vorankommen, dann kann das dem Klimaschutz eben auch helfen, das sollten wir auch sehen.
Klimaschutz und Wirtschaft in Einklang bringen
Schulz: Herr Amthor, zu dem Punkt kommen wir auch gleich noch. Jetzt müssen Sie uns aber trotzdem noch mal helfen, Ihre Bundeskanzlerin zu verstehen. Wenn das wirklich nur die Äußerung war, ja, wir finden es gut, dass sich da Leute politisch engagieren, wie passen dazu denn die Äußerungen von Angela Merkel, für die sie ja sehr viel Protest geerntet hat von der Münchner Sicherheitskonferenz. Da hören wir noch mal rein:
Angela Merkel: Europa hat Gegner, die hybride Kriegsführung seitens Russlands ist täglich zu spüren, in jedem der europäischen Länder, und diese hybride Kriegsführung im Internet ist sehr schwer zu erkennen, weil Sie plötzlich Bewegungen haben, von denen Sie gedacht haben, dass sie nicht auftreten, die immer ansetzen an einem Manko. In Deutschland protestieren jetzt die Kinder für Klimaschutz, das ist ein wirklich wichtiges Anliegen. Aber dass plötzlich alle deutschen Kinder nach Jahren ohne jeden sozusagen äußeren Einfluss auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss, das kann man sich auch nicht vorstellen. Also Kampagnen können heute übers Internet viel leichter gemacht werden…
Schulz: Also die hybride Kriegsführung in einem Atemzug genannt mit diesen Schülerprotesten, sagen Sie es uns noch mal: Woran merkt man es, dass Ihre Partei diese Schülerproteste ernst nimmt?
Amthor: Ich finde, in diesem Zusammenhang hat die Bundeskanzlerin vor allem darauf hingewiesen, welche Mobilisierungsmöglichkeiten auch noch das Internet hat an dieser Stelle. Also hybride Kriegsführung und Russland, da gibt es ja unendlich viele Beispiele. Das Thema Klimaschutzproteste, Fridays for Future, das ist jetzt nicht das klassische Beispiel für hybride Kriegsführung, aber man sieht doch, dass das Internet sicherlich ein Faktor für die Organisation solcher Demonstrationen ist. Wenn ich alleine an meine eigene Schulzeit zurückdenke, wir haben damals nicht in solcher Intensität kommunizieren können, auch deutschlandweit mit den Schülern, wie das heute der Fall ist, mit so einem Hashtag wie Fridays for Future. Das hat natürlich eine ganz andere Mobilisierungskraft, und insoweit muss man schon sagen, das ganze Thema Internet und Kampagnen ist sicherlich auch eine Triebfeder jetzt für diese Motivation des Klimaschutzprotests.
Aber an der Stelle muss man auch sagen, gibt es eben unterschiedliche Grade auch für legitimen Protest. Und richtig ist, wir nehmen das sehr ernst, dass das die Schüler bewegt, aber gleichzeitig – und das hat die Bundeskanzlerin eben auch in ihrem Video-Podcast am Wochenende gesagt – geht es natürlich auch darum, dass wir bei allem verständlichen Akzeptieren von Protesten gleichzeitig auch die Seite des realistischen Handelns sehen. Und da gehört dazu, dass man natürlich Klimaschutz und Wirtschaft auch miteinander in Einklang bringen muss, und deswegen geht es auch darum, dass wir das natürlich alles auch noch diskutieren müssen. Das ist schon ein wichtiger Punkt.
Wahlrecht mit 16 - "führt juristisch nicht weit"
Schulz: Wir haben eine große Wahlmüdigkeit gesehen zuletzt bei den Jüngeren, bei den unter 35-Jährigen war die Wahlbeteiligung am niedrigsten. Ist das jetzt die Chance, den Trend umzukehren?
Amthor: Also, da muss ich Ihnen sagen, da kommt dann doch auch meine Rolle als Verfassungsrechtdoktorand durch. Ich war nie ein großer Fan einer Herabsetzung des Wahlalters auf 16. Ich finde, die besseren juristischen Argumente sprechen eigentlich dagegen. Es ist so, das Wahlrecht, das knüpft eben nicht an materielle Fähigkeiten an, an politisches Interesse und anderes mehr, weil dann kämen Sie in eine große Schwierigkeit, wie man dann das Wahlrecht verteilt. Im Übrigen ist die Kernidee, eine Parallelität von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten herzustellen, und ich finde, wenn man eben beschränkt geschäftsfähig ist und wenn andere Einschränkungen da sind, dann ist es vielleicht nicht die beste Idee, dann gleich das volle Wahlrecht zu haben. Da muss man sich als Gesetzgeber notwendigerweise für einen Zeitpunkt entscheiden, und das 18. Lebensjahr ist da kein schlechter Punkt.
Schulz: Aber, Moment, lassen Sie mich da einhaken, lassen Sie mich da noch mal nach Ihrer Perspektive fragen. Sie, mit 16, haben sich in der Jungen Union und in der CDU engagiert, die Partei, für die Sie heute im Bundestag sitzen, trotzdem wäre es falsch gewesen, wenn Sie mit 16 schon hätten wählen können?
Amthor: Nein, es geht nicht darum, ob es falsch gewesen wäre, ob ich dann hätte wählen können, sondern die Frage ist…
Schulz: Sie haben noch gerade dagegen argumentiert.
Amthor: … was ist die richtige Vorgabe des Staates? Und Sie haben richtig angesprochen, und das wäre auch mein Punkt gewesen: Politische Partizipationsmöglichkeiten, das ist das Wichtige, was man dann braucht. Und in der Tat, auch ohne Wahlrecht konnte ich mit 16 in die CDU eintreten, mit 14 kann man in der Jungen Union mitmachen, und da haben wir eine ganze Menge an Beteiligungsmöglichkeiten, und da muss man auch besser werden. Und das, finde ich, ist auch der positivste Punkt, den ich jetzt aus diesen Klimaschutzprotesten der Schüler sehe, dass die nämlich ein politisches Interesse haben. Und das, finde ich, ist der allerwichtigste Punkt, und darauf will ich auch aufbauen, auch politisch.
Dass man dieses politische Interesse in der Schule und in der Zivilgesellschaft fördert, das ist wichtig, aber schauen Sie, wo kommen wir hin, wenn man jetzt sagt, ja, es gibt viele 16-Jährige, die sich politisch schon interessieren, die müssten doch mitwählen können. Dann würde mir auch irgendwann ein 15-Jähriger präsentiert werden können, wo man sagt, der ist aber genauso schon motiviert, der ist politisch gebildet, der muss doch auch mitwählen können. Wir sehen, das führt juristisch nicht weit, wenn man versucht, das Wahlrecht an politisches Interesse anzuknüpfen.
Kramp-Karrenbauers umstrittener Karnevalswitz
Schulz: Ja, wobei wir ja bei dem Wahlrecht ab 16 in der Situation wären, dass wir da auch durchaus schon Erfahrungen haben von Landtagswahlen, auch von Kommunalwahlen. Aber weil Sie diese Diskussion ja jetzt ohnehin auch mit Ihrem Koalitionspartner in Berlin weiterführen werden – Justizministerin Barley von der SPD hat das ja vorgeschlagen –, würde ich sagen, machen wir jetzt den leichten thematischen Switch noch mal. Ich möchte mit Ihnen jetzt noch über ein ganz anderes Thema sprechen. Wir haben es auch gerade in der "Presseschau" gehört, größeres Thema dieses Wochenendes ist die Aufregung über Ihre Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die steht jetzt in der Kritik wegen eines Witzes über Intersexuelle, den sie gemacht hat bei einer Karnevalsrede. War das glücklich?
Amthor: Ich kann mich ehrlicherweise auch über diese Empörung nur wundern. Ich finde, in der Karnevalszeit gehört es dann auch dazu, dass es auch mal, ja, deutlich überspitzte Pointen gibt. Das gehört sicherlich in die Kategorie, aber ich finde, das ist dann auch mal zu akzeptieren, auch in der Karnevalszeit. Und wenn man jetzt hier dann noch die politisch korrekte Kontrolle aller Karnevalsreden anfängt, dann, glaube ich, vermiest das auch so ein bisschen diese ganze Karnevalszeit, das finde ich nicht richtig. Und gleichzeitig ist es auch so, ich glaube, das ist einfach für viele politisch opportun, Annegret Kramp-Karrenbauer dort in eine Rolle zu drängen, die ihr gar nicht gerecht wird. Sie ist eine sehr differenzierte Frau, die gesellschaftspolitisch auch auf der Höhe der Zeit ist, und da finde ich es jetzt falsch, da Diskriminierung abzuleiten.
Schulz: Geben Sie mir kurz die Chance, dass unsere Hörer sich da ein Bild machen können, dass ich noch mal zitiere, was sie gesagt hat. Sie hat eben, wie gesagt, gewitzelt über die Einführung von Toiletten für das dritte Geschlecht und sagt: "Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür dazwischen ist diese Toilette." Der grüne Abgeordnete Sven Lehmann fordert eine Entschuldigung – die finden Sie nicht nötig?
Amthor: Nein, das finde ich ehrlicherweise nicht. Ich finde, das ist doch ziemlich übertrieben. Wir haben in der Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eben dafür Sorge getragen, dass es jetzt eine dritte Kategorie im Melderegister gibt, das ist übrigens auch nicht zwingend ein drittes Geschlecht, eine dritte Kategorie im Melderegister. Und ich will Ihnen auch sagen, daraus folgt noch lange kein Anspruch, dass man irgendwelche genderneutralen Toiletten braucht. Und ich finde, da kann man auch in einer pointierten Karnevalsrede auch noch mal drauf hinweisen, und ich finde, das ist ziemlich scheinheilig, wie man sie jetzt da kritisiert.
Schulz: Also verletzte Gefühle - egal?
Amthor: Nein, das finde ich nicht, sondern das muss uns schon auch Sorgen machen, aber ich glaube, dass dort niemand die Gefühle so stark verletzt sehen muss. Und ich glaube, wir müssen jetzt sehen, wie die gesellschaftspolitische…
Schulz: Aber Herr Amthor, das ist doch die Rückmeldung.
Amthor: Ja, ich glaube, das ist aber auch eine teilweise politisch sehr gewollte Interpretation dessen. Annegret Kramp-Karrenbauer wird da sicherlich auch noch Gelegenheit haben, dazu noch mal Stellung zu nehmen. Ich finde jedenfalls, die Empörung über ihre Äußerung ist deutlich übertrieben.
Schulz: Der CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor heute Morgen bei uns im ausführlichen Deutschlandfunk-Interview, ganz vielen herzlichen Dank dafür!
Amthor: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.