Der katholischen Kirche der Philippinen bescherte der 22. Februar 1986 erstmals in diesem Land das Ansehen einer Befreierin der Armen von Ausbeutung und Unterdrückung. Die Geschichte dieser Kirche in einer Region, wo sonst Hinduismus, Islam und Buddhismus dominieren, reicht fast 500 Jahre zurück. Mit Beginn der spanischen Kolonisierung ab 1520 entstand eine Kirche, die zur reichsten und einflussreichsten Institution der Philippinen avancierte - mit einem gewaltigen Vermögen an Land, Gebäuden und Unternehmen; mit Hunderten Schulen und Dutzenden Universitäten.
Heute sind von den hundert Millionen Einwohnern der Philippinen über 80 Prozent Katholiken, die ihren Glauben mit beispielloser Inbrunst und Leidenschaft leben. An fast jedem Autospiegel baumeln Rosenkränze oder Statuen der Muttergottes; zahllose Jeepneys, aus US-Geländewagen entwickelte Kleinbusse, sind bemalt mit Bibelszenen.
Und bei Prozessionen geraten viele der oft Millionen Teilnehmer in Ekstase: bei Prozessionen zu Ehren Mariä etwa oder zu Ehren von El Nazareno Negro, einer Statue des sein Kreuz tragenden Jesus, die Mitte des 16. Jahrhunderts aus Mexiko kam.
Von einer Graswurzelbewegung erfasst
In Tondo, einer recht armen Gegend Manilas, lebt einer der heute einflussreichsten Geistlichen der Kirche. Weihbischof Broderick Pabillo braucht nur vor die Tür seines bescheidenen Wohn- und Bürohauses zu treten und steht sogleich inmitten zahlreicher Straßenhändlerinnen, Rikschafahrer und Kinder, die ihm ehrfürchtig den Ring küssen. Die Kirche der Philippinen befinde sich auf einem langen Weg, sagt der Weihbischof - von einer Kirche der Privilegierten hin zu einer Kirche der Armen.
"Wir sprechen von der Kirche der Armen und meinen damit: Niemand ist so reich, dass er nicht empfangen kann; und niemand ist so arm, dass er nicht geben kann. Wir lassen die Armen zu uns sprechen; sie empfangen nicht nur Hilfe, sie evangelisieren auch."
Pabillo erzählt, wie ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine breite Graswurzelbewegung seine Kirche erfasste - ermutigt durch einen Wind des sozialen Wandels, der damals auch durch die katholische Kirche wehte: Das Zweite Vatikanische Konzil hob die katholische Soziallehre ins Bewusstsein der Öffentlichkeit - jenen Weg zu Gerechtigkeit auf Erden, den katholische Theologen als Alternative zu Kommunismus und Sozialismus entwickelt haben. In Lateinamerika meldeten sich die Befreiungstheologen um Gustavo Gutierrez zu Worte. Ihr Gedankengut griffen auf den Philippinen die Jesuiten auf. Erst unter diesem wachsenden Druck von unten, erklärt der Weihbischof, distanzierte sich die Kirchenspitze vom Diktator und fasste bald darauf wegweisende Beschlüsse:
"1991 entschied das Zweite Plenarkonzil der Katholischen Kirche der Philippinen offiziell, dass diese Kirche künftig eine Kirche der Armen sein solle. Die Arbeit der Gemeinden und die Dienste der Kirche insgesamt sollen auf die Armen ausgerichtet sein; die Kirche soll die Stimme der Stimmlosen sein. Konflikte mit den Mächtigen, die uns oft als Kommunisten denunzieren, müssen wir dabei in Kauf nehmen."
Nicht ungefährlich für Geistliche auf den Philippinen
In den Diözesen und Gemeinden gibt es heute sogenannte Zentren für soziales Handeln. Sie organisieren, zum Beispiel, Wohnungsbau für die rasant wachsende Slumbevölkerung Manilas. Und sie stehen landlosen Bauern zur Seite. So protestierte die Kirche 2009 gegen den Abbruch einer seit 20 Jahren laufenden Landreform und Weihbischof Pabillo trat, gemeinsam mit zahlreichen Bauern, in den Hungerstreik - was nicht ungefährlich ist auf den Philippinen.
"Vor zwei Jahren wurde auf der Insel Mindanao ein Priester erschossen, vor vier Jahren einer auf Samar. Diese Geistlichen hatten zu deutlich den Behörden gesagt, was sie nicht tun dürfen. Und sie hatten sich mit dem Militär angelegt, das vielerorts die Schmutzarbeit verrichtet für lokale politische Dynastien, für große Agrar- und Bergbauunternehmen."
In ihrem Kampf für Mensch und Schöpfung kritisiert die katholische Kirche heute vor allem den sozial und ökologisch brisanten zunehmenden Gold-, Kupfer- und Zinkbergbau.
"Im Moment ist ein verantwortbarer Bergbau auf den Philippinen nicht möglich, aus mehreren Gründen: Erstens trägt unser Bergbaugesetz von 1975 ausschließlich den Interessen der Wirtschaft Rechnung, die Interessen der Umwelt und der betroffenen Menschen bleiben unberücksichtigt. Zweitens ist unsere Regierung derzeit nicht in der Lage, den Bergbau überhaupt zu kontrollieren. Im Gegenteil: die zuständigen Behörden sind verseucht von Korruption - mit der Folge, dass Bergbauunternehmen Menschenrechte und Gesetze mit Füßen treten, unterstützt von Polizei und Militär. Drittens schließlich verkörpert der Bergbau auf den Philippinen eine rein extraktive Industrie. Das heißt, die Industrie fördert hier nur Rohstoffe und exportiert sie zur Weiterverarbeitung nach China, Korea oder Australien. Einen echten Nutzen vom Bergbau aber haben die Philippinen nur, wenn sie auch eine unsere Rohstoffe weiterverarbeitende Industrie aufbauen."
Liberale Einstellung zur Familienplanung
Das Engagement gegen den Bergbau und für die Armen zeigt ein Gesicht des Katholizismus auf den Philippinen. Ein anderes ist das einer in Dogmen erstarrte Kirche: 2012 verabschiedete der Kongress des Landes ein Gesetz zur Familienplanung. Danach sind Verhütungsmittel bei öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos verfügbar und Sexualkunde ist Pflichtfach an Schulen. Wichtige Maßnahmen in einem Land, wo jeder Dritte bitterarm ist und 2050 150 Millionen Menschen leben werden. Die Bevölkerung und katholische Frauenorganisationen begrüßten denn auch das Gesetz zur Familienplanung, desgleichen zahlreiche Theologen an der jesuitischen Ateneo de Manila-Universität - berichtet Raymond Raneses, Dozent für Politikwissenschaft dort.
"Lautstark agitierten Befreiungstheologen auf dem Campus dieser Universität für das Gesetz über Familienplanung und unterzeichneten sogar eine entsprechende Petition - womit sie sich viel Ärger einhandelten. Andere theologische Fakultäten, zum Beispiel die der dominikanischen Universität von Santo Tomas, veröffentlichten jede Menge Traktate, in denen sie wachsende marxistische Tendenzen unter unseren Befreiungstheologen beklagen."
Ähnlich rabiat agitierte die Amtskirche. In scharfen Worten geißelte der Erzbischof von Manila, Luis Antonio Kardinal Tagle, das Familienplanungsgesetz. Mehrere seiner Amtsbrüder bezeichneten es als Anweisung zum Mord und bedrohten Staatspräsident Benigno Aquino mit der Exkommunikation.
Der verbissen-vergebliche Kampf gegen Familienplanung dokumentiere schwindenden politischen Einfluss der katholischen Kirche, meinen Wissenschaftler wie Raymond Raneses. Die Kirche werde weitere Schlachten verlieren, wenn es in den nächsten Jahren darum gehe, die Ehescheidung zu erlauben und das bislang totale Abtreibungsverbot zu lockern.
Die Kirche der Reichen und Mächtigen
Es gibt bis heute ein weiteres Gesicht der katholischen Kirche der Philippinen - das einer Kirche der Reichen und Mächtigen. So betreibt die Kirche die besten Krankenhäuser, Schulen und Universitäten des Landes - die aber allem von den Reichen genutzt werden. Und 2011 wurde bekannt, dass die Kirche gewaltige Summen in Unternehmen investiert hat, die sie als Kirche der Armen bekämpft. So zählte die Erzdiözese Manila bis Kurzem zu den Großaktionären der Philex Mining Corporation, einer Bergbaufirma, das als sozial und ökologisch rücksichtslos gilt. Die Erzdiözese Manila ist überdies mit Anteilen im Wert von 240 Millionen Euro viertgrößter Aktionär der Bank of the Philippine Islands, BPI. Zahlreiche Orden engagieren sich derweil bei der San Miguel Corporation. Dieser größte Bier- und Agrarkonzern der Philippinen wurde lange Zeit kontrolliert von Eduardo Cojuangco, einem Tycoon, der Zehntausende Kleinbauern um ihr Land gebracht hat, erklärt Raymond Raneses.
"Hier entsteht zweifellos der Eindruck einer Komplizenschaft der Kirche mit jenen Mächtigen, die jede wirtschaftliche Entwicklung im Interesse der Armen behindern. Sogar etliche Mitarbeiter von Zentren für soziale Aktionen haben mit Investitionen in dubiose Firmen keine Probleme. Sicher, es könne sein, dass die Gewinne solcher Firmen aus unethischen Aktivitäten oder gar Korruption stammen, räumten sie mir gegenüber ein. Das aber sei nicht wichtig. Für sie zähle ausschließlich, dass sie mit möglichst hohen Dividenden aus solchen Firmen den Armen helfen können."
Flucht in die Wohlfühl-Kirche
Damit nicht genug: 2011 kam heraus, dass eine staatliche Lotteriegesellschaft sechs Bischöfen Luxusautos geschenkt hatte - nagelneu und ausgestattet nach individuellem Geschmack. Die Kirchenführer sollten das Volk beeinflussen zugunsten der damaligen Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo, der wegen Wahlmanipulation und Korruption die Amtsenthebung drohte. Der aus solchen Skandalen resultierende Vertrauensverlust hat ernste Folgen für die Kirche. Viele Gläubige wenden sich charismatischen Gemeinschaften zum Wohlfühlen zu. Gemeinschaften, wo sie nach Herzenslust singen, tanzen, ekstatisch beten und Geschenke empfangen können. Solche Gemeinschaften gibt es auch innerhalb der katholischen Kirche. Ein Beispiel: die 1978 gegründete El Shaddai-Bewegung des Predigers Mike Velarde.
"Zum Gottesdienst an Velardes Geburtstag bringen die Gläubigen Regenschirme mit. Irgendwann dann fordert der Prediger sie auf, ihre Schirme umgekehrt zu öffnen. Und aus einem Hubschrauber regnet es Geld, während Velarde leidenschaftlich Gebete anstimmt:
"Gott, segne uns, Gott schenke uns Wohlstand." Die Bischöfe sind übrigens sehr angetan von solchen Praktiken - weil sie angeblich das Band zwischen Katholiken und Kirche stärken. "
Viel Gesprächsstoff, so scheint es, für Papst Franziskus, der in diesen Tagen die katholische Kirche der Philippinen besucht. Diese so lebendige Kirche, die als "Brückenkopf des Vatikan" in Asien gilt, schillert derzeit in vielen Farben. Vielleicht bedarf es strenger päpstlicher Ermahnungen, damit sie den einzig zielführenden Weg, den zu einer Kirche der Armen, konsequent weitergeht.