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Vor 375 Jahren geboren
Der französische Philosoph Pierre Bayle - Vorreiter der Aufklärung

Der Streiter für Vernunft und Toleranz attackierte die Dogmen der katholischen Kirche. Dafür musste Pierre Bayle als Hugenotte ins Exil fliehen. Seine später von Voltaire bewunderten Texte gelten als „Rüstkammer der Aufklärung“.

Von Christoph Vormweg | 18.11.2022
Historischer Kupferstich eines Mannes mit langen Haaren. Es handelt sich um den französischen Philosophen Pierre Bayle (1647 - 1706)
Das Nachschlagewerk "Historisch-kritisches Wörterbuch" von Pierre Bayle (1647 - 1706) gilt für viele als Startschuss zur Epoche der Aufklärung, es befand sich auch in Goethes Bibliothek (*) (picture-alliance / akg-images)
Je mehr Macht eine Religion in einem Staat hat, desto brutaler reagieren ihre Vertreter auf Kritik. Das muss auch Pierre Bayle Ende des 17. Jahrhunderts im katholischen Frankreich erfahren.
„Wenn es wahr wäre, dass Gott den Anhängern der Wahrheit befohlen hat, die Anhänger der Lüge zu verfolgen, dann wären diese, sobald sie von diesem Befehl erführen, verpflichtet, die Anhänger der Wahrheit zu verfolgen.“

Forderung nach Gewissensfreiheit, Kritik am Aberglauben

Der Philosoph Pierre Bayle prangert die Zwangsbekehrung durch die katholische Kirche genauso an wie die blutige Verfolgung von Andersgläubigen.
„Als ‚Rüstkammer der Aufklärung‘ kann man sein Denken vielleicht bezeichnen: einmal mit seinen Argumenten und der Forderung nach Gewissensfreiheit und Toleranz. Und ebenso war seine Kritik am Aberglauben sehr einflussreich.“
Eva Buddeberg, Mitherausgeberin und Übersetzerin von Pierres Bayles „Theorie der Toleranz“.
„Besonders deutlich zeigt sich die Radikalität von Bayle in seiner Toleranz-Konzeption. Denn anders als etwa John Locke – zeitgleich - fordert er eine tolerante Politik nicht nur gegenüber den verfolgten Hugenotten, sondern – etwa mit Blick auf England - auch gegenüber Katholiken, ja selbst gegenüber Atheisten, solange diese selbst tolerant sind.“

Philosophie von Descartes übt Einfluss auf Bayle aus

Pierre Bayle, geboren am 18. November 1647 unweit der Pyrenäen, ist der Sohn eines calvinistischen Pastors. Früh entwickelt er sich zu einem unruhigen, skeptischen Denker. Mit Anfang zwanzig konvertiert er zum Katholizismus, kehrt aber wenig später zu den Protestanten zurück. Das steht unter Strafe. Deshalb setzt er sich nach Genf ab, wo er die Philosophie von Descartes entdeckt: mit ihrem Motto „Ich denke, also bin ich“. Von 1675 bis 81 lehrt Pierre Bayle an der protestantischen Akademie in Sedan Philosophie. Im Jahr darauf erscheint seine aufsehenerregende, anonym veröffentlichte Streitschrift gegen die Vorurteile und das Autoritätsdenken der Katholiken. Ihr Titel:
„Vermischte Gedanken […], worin anhand mehrerer Argumente aus der Philosophie und der Theologie nachgewiesen wird, dass die Kometen keineswegs Vorzeichen eines Unglücks sind.“
Pierre Bayle provoziert hier mit der Feststellung: „Eine Gesellschaft von Atheisten würde die zivilen und moralischen Angelegenheiten genauso gut regeln wie die anderen Gesellschaften.“

Bayles Bruder wird als Hugenotte gefoltert und stirbt

1685 hebt Ludwig der XIV. das „Edikt von Nantes“ auf und lässt die Hugenotten verfolgen. Pierre Bayles Bruder wird an seiner Stelle gefoltert und stirbt. Im Exil in Rotterdam setzt der Philosoph seinen Kampf gegen die religiöse Willkür fort:
„Bayles Denken zeichnet sich zunächst durch eine große Unabhängigkeit aus, das heißt, er nimmt praktisch nichts als gesichert an – und stellt sich dabei auch, wenn nötig, gegen alle – eben nicht nur gegen die katholischen Fanatiker, sondern ebenso gegen die protestantischen.“

Startschuss zur Epoche der Aufklärung

In den protestantischen Exilkreisen Rotterdams haben diese Fanatiker so viel Einfluss, dass Pierre Bayle 1693 seinen Lehrstuhl verliert. Doch einschüchtern lässt er sich nicht - im Namen der Vernunft.
„Zum einen ist für ihn Vernunft eine Einsicht in die allgemeinen Grundsätze der Gerechtigkeit, mit Hilfe derer wir dann alle anderen besonderen Gesetze prüfen, ob sie diesen entsprechen. Und allgemein ist Vernunft sicher das Vermögen der Kritik – was er ja dann auch aufgenommen hat in den Titel des „Historisch-kritischen Wörterbuchs“.
Das Nachschlagewerk gilt für viele als Startschuss zur Epoche der Aufklärung: über zweitausend Artikel über historische Persönlichkeiten und ihre Werke.
„Es handelt sich nicht um ein [...] historisches Blumengebinde, wo man weiter nichts hineinsteckt, als was man will.“ schreibt Pierre Bayle. „Dies ist ein kommentiertes Wörterbuch.“
„Man kann sagen, dass er im Grunde das gesamte Weltwissen seiner Zeit kritisch prüfen wollte und von Vorurteilen und jeder Form von Fehlinterpretation befreien wollte.“
Um der Zensur zu entgehen versteckt der Philosoph seine Kritik in einem komplexen System von Anmerkungen und Querverweisen. Der Aufklärer Voltaire bezeichnet Pierre Bayles Skeptizismus später als „blicköffnend“. Für die Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts wird das „Historisch-kritische Wörterbuch“ zum großen Vorbild und schafft es – in der Übersetzung von Gottsched - bis in Goethes Bibliothek.
(*) Wir haben die Angaben zu Pierre Bayles Geburts- und Todesjahr korrigiert.