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Philosophie des Singens
Mit "Balcanto" gegen die Coronakrise ansingen

Italien singt gegen das Virus an - von Balkonen und aus geöffneten Fenstern tönen zu einer verabredeten Zeit Lieder durch die Straßen, die Viertel, die Stadt. "Das Singen, das in Italien sowieso verbreitet ist, bekommt jetzt noch mal eine andere Bedeutung", sagte Autorin Bettina Hesse im Dlf.

Bettina Hesse im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
Zwei Frauen stehen singend und lachend auf einem Balkon in Mailand. Eine schwenkt die italienische Nationalflagge.
Mit Liedern vom Balkon gegen Angst und Sorgen - eine gute Haltung, so die Philosophin und Autorin Bettina Hesse (imago / Carlo Cozzoli)
Rudelsingveranstaltungen, wo irgendwelche Menschen zusammenkommen und singen, gegen Eintrittsgeld, sind sehr beliebt. In Italien findet gerade etwas ähnliches statt: Menschen, die ihre Häuser ja nicht verlassen sollen, zeigen sich zu einer bestimmten Zeit an ihren Fenstern oder auf Balkonen und singen. Eine römische Straßenband hatte die Idee dazu, die Straßen, die Viertel, die Städte zum Klingen zu bringen und für einen Moment "die virtuelle Woge an News, und Fake News, Chats und Verschwörungstheorien zu brechen", wie die Band auf ihrer Facebookseite schreibt.
Humor und Empathie
Man versuche, die Situation mit Humor und Empathie anzugehen, das sei ein gute Haltung, so die Germanistin, Philosophin und Stimmperformerin Bettina Hesse, Herausgeberin des Buchs "Philosophie des Singens". Das Singen stabilisiere außerdem nachweislich das Immunsystem. Singen sei eine körperliche Aktion, die Stimme sitze an der Schnittstelle von Körper und Sprache und sei verbunden mit dem Atmen, dem Existenziellen überhaupt, so Hesse. Denn mit dem Atmen beginne das Leben. Beim Singen verbinde man sich sowohl mit seinem Inneren, als auch mit anderen. "Singen ist ein Akt der Selbstvergewisserung."
Gesang mit Verführungspotenzial
Platon habe am Singen gefährlich gefunden, dass es ein großes Verführungspotenzial besitze. Gesang könne anrühren. Er habe allerdings nur als Hörender gesprochen, nicht als selbst Singender. Und er habe Gesang als dienendes Werkzeug gesehen, deshalb müsse er reguliert werden. So sollten Männer über Tapferkeit singen, Frauen über Sittsamkeit und Bescheidenheit.
Die Balkongesänge, für die jemand schon früher den Begriff "Balcanto" erfunden habe, seien oft sehr rhythmische Lieder, zum Beispiel werde die Nationalhymne gesungen, oder "Azzurro" oder "Nel blu dipinto di blu". Die Kreativität sei gefragt, und in Italien sei durch das gemeinsame Singen und Kommunizieren eine große Bewegung entstanden. "Das finde ich sehr schön", so Bettina Hesse.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.