Die Philosophie hat keine Ratgeberfunktion, aber sie kann auf Phänomene blicken und nach den Wurzeln suchen. Populismus, Identitätspolitiken und die Frage nach dem guten Leben – darüber wird auf der phil.cologne 2018 gesprochen. Und wie jedes Jahr werden einige Denker aus der Geschichte hervorgehoben und auf ihre Gegenwartstauglichkeit geprüft. Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und Karl Marx, dessen 200. Geburtstag Anlass für viele neue Schriften über den Philosophen und Ökonomen ist.
Leidenschaftliche Streiterin
Auch Hannah Arendt erfährt eine beachtliche Renaissance. Mag sein, dass es auch an der lange ausbleibenden Beachtung für weibliche Denkerinnen überhaupt lag, aber Arendts Thesen über Wahrheit und Politik, über Totalitarismus und das "Tätige Leben" sind frappierend aktuell. Für die aus Deutschland emigrierte Jüdin ist Denken ein Prozess, der sich nur in der Gemeinschaft vollziehen kann, ein Plädoyer auch für den Streit, für die Auseinandersetzung. Arendt selbst hat leidenschaftlich gern gestritten – wurde sie kritisiert und angegriffen, dann spornte sie das noch mehr an.
Scharfe Gesellschaftsanalysen
Die phil.cologne versteht sich als interdisziplinäres Festival, zumindest ist es keine akademische Philosophie-Veranstaltung. Historiker kommen zu Wort, Politiker, SchriftstellerInnen wie Siri Hustvedt und Soziologen wie Andreas Reckwitz. Sein Buch "Die Gesellschaft der Singularitäten" ist eine scharfsinnige Analyse unserer Gesellschaft, die nicht mehr nach den im 20. Jahrhundert bestimmenden Faktoren "links" und "rechts" funktioniert, sondern die die Gesellschaft in Kosmopoliten und Kommunitarier unterteilt. Ein fundamentaler Wertewandel habe stattgefunden, wie er bilanziert: Normen besitzen keine stabilisierende Kraft mehr, im Gegenteil: Gerade das Abweichen von der Norm, das Streben nach Singularität, sei zu Diktum geworden.
"Ein zentrales Thema allerdings fehlt", bilanziert Anja Reinhardt: Das Verhältnis von Männern und Frauen, das seit der #metoo-Debatte immer wieder diskutiert wird. Da hätte man sich vielleicht auch trauen sollen, die aktuellen Debatten nicht mit den üblichen Verdächtigen auf der Bühne noch mal anzustoßen, sondern mehr Konfliktpotential zu wagen. Das hätte auch Hannah Arendt gefallen.