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Philosophie
Neugierig die Welt erforschen

Schon Kinder suchen Antworten auf große Fragen: Was ist Glück? Gibt es Gerechtigkeit? Warum müssen wir sterben? In Großstädten wie Berlin, München und Hamburg gibt es in Kindergärten und Schulen inzwischen spezielle Philosophie-Angebote für junge Denker.

Von Carsten Dippel |
    Philosophieren wie die Großen: Teilnehmer der "Kinderuni" an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder)
    Der Verein "Die kleinen Denker", der sich 2012 in Berlin gegründet hat, bietet Veranstaltungen für Kinder zu philosophischen Themen an. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    "Guten Morgen Frau Lucht!"
    Ein Donnerstagmorgen in der Berliner Grundschule Neues Tor. Ihre Stühle haben die Schülerinnen und Schüler der Klasse 6c zu einem weiten Kreis geformt. Normalerweise sitzen sie hier im Klassenraum an den Tischen. Doch an diesem Morgen ist alles ein wenig anders. Denn hier wird philosophiert. Es geht um das Ich.
    "Ich habe euch ein Buch mitgebracht..."
    Jeden Donnerstag fährt Ines Lucht, Bibliothekarin der Berliner Stadtbibliothek, mit einem Bus voller Bücher in die Schule im Bezirk Moabit. Den Bus parkt sie auf dem Schulhof und lädt die Kinder schon früh am Morgen zur Lesestunde ein. Anschließend diskutiert Ines Lucht in der Klasse 6c mit den 11- bis 13-Jährigen eine Stunde lang große philosophische Fragen. In dieser Stunde also das Ich.
    "Also man wäre noch immer Ich, aber man wäre dann vielleicht ein anderes Ich, also, wenn man jetzt zum Beispiel Freunde hätte, dann würden die halt eben bemerken, dass man sich verändert hat, aber man wär natürlich noch immer Ich."
    "Wenn ich jetzt keine Gefühle hätte, glaube ich eher, dass ich dann ein anderer Mensch wäre, also sehr anders."
    Philosophieunterricht im Kindergarten
    Seit 2013 betreut Ines Lucht diese sechste Klasse. Philosophiestunden gibt sie auch in einem Kindergarten und an einer Sprachheilschule. Anfangs waren die Stunden für Jungen und Mädchen getrennt. Und alle waren noch etwas unsicher. Doch im Laufe der Zeit ist eine große Nähe entstanden.
    "Mir gefällt an der Philosophiestunde, dass wir also nicht irgendwie benotet kriegen, also ob es jetzt gut ist, was wir sagen, und dass da auch nicht falsch oder richtig sein kann und dass wir einfach mal loswerden können, was wir sagen wollen zu einem bestimmten Thema."
    "Ich sehe meine Arbeit als kleinen Beitrag dazu, dass Kinder einen Raum haben, eine Möglichkeit haben, wo sie Dinge besprechen können. In dem Falle ist es ja das Nachdenken, das Besprechen, die sie interessieren und nicht, ich komme daher und weiß alles besser. Ich weiß auch nicht, welchen Verlauf die Stunde nehmen kann."
    "Wer von Euch würde sich gern einmal wünschen, komplett alles zu vergessen? Weder zu wissen, wie er heißt, woher ihr kommt, in welche Schule ihr geht, ihr wisst nicht, wer eure Eltern, wer Eure Geschwister sind?"
    Mit Kindern philosophieren
    An diesem Donnerstag gestaltet Ines Lucht die Philosophiestunde zum Thema Ich gemeinsam mit Franziska Henning. Sie ist Literaturpädagogin und Kinderphilosophin. Anfangs hätte sie gar nicht gedacht, dass so etwas möglich ist – mit Kindern philosophieren! Doch mittlerweile betreut sie selbst kleine Gruppen mit Kindergartenkindern und Schülern. Getragen wird dies vom Verein Die kleinen Denker, der sich 2012 in Berlin gegründet hat. Er bietet Veranstaltungen für Kinder zu philosophischen Themen an und gibt daneben auch Pädagogen und Erziehern die Möglichkeit zu Fortbildungen. Die Philosophiekurse sind gut besucht.
    "Es geht darum, einen außerschulischen Ort anzubieten, einen Denk-Ort, damit Kinder frei vom Lernstress Lust bekommen, sich mit Themen zu beschäftigen und das in einem spielerischen Rahmen zu unterschiedlichen Themen, die sie interessieren, mit denen sie sich beschäftigen möchten. Es bedeutet, Fragen zu stellen und sich ganz neugierig der Welt zuzuwenden. Die Frage zu fassen zu bekommen, sie zu begreifen, das Rätsel hinter dieser Frage zu entdecken und sich zu wundern."
    Themen wie Tod oder Gott
    Ganz unbefangen sind die Schüler der 6c nicht immer in die Philosophiestunde von Ines Lucht gekommen. Gerade am Anfang, als sie gemeinsam mit den Kindern nach Themen gesucht hat. Da lagen den Schülern klassische religiöse Themen wie der Tod oder Gott ganz besonders am Herzen.
    "Als es dann zur Philosophiestunde kam, sagten sie eigentlich nur Sachen, die sie von zu Hause kennen – es gibt eben auch muslimische Kinder in der Gruppe – und ließen sich auch in der Diskussion auf nichts anderes ein. Und da habe ich mich gewundert, warum sie dieses Thema vorgeschlagen hatten. Weil eigentlich kein wirkliches Ändern, sich Einlassen da war. Ich hatte den Eindruck, es lag daran: Da bin ich sicher, da weiß ich was zu sagen, da kann ich nichts falsch machen und es war ein Stück so wie Unterricht."
    Für die Klassenlehrerin der 6c, Dörte Gerstenberg, die Mathematik, Geografie und Naturwissenschaften unterrichtet, sind die Donnerstage mit Ines Lucht eine willkommene Abwechslung im Schulalltag. Lehrerkollegen würden sie beneiden, denn noch ist ihre Klasse die einzige an der deutsch-portugiesischen Grundschule in Berlin-Moabit, die Ines Lucht besuchen kann.
    "Ich glaube, sie fühlen sich besser wahrgenommen und freier. Wenn ich das hier beobachte, finde ich das sehr, sehr spannend, weil sie mir ja auch zeigen, worüber sie sich dann Gedanken machen. Das erfahre ich ja sonst nicht, weil ich das nicht im Unterricht frage und auch nicht in den Zeiten dazwischen, weil die Zeit auch einfach nicht ist."
    In Hamburg und München gibt es mittlerweile vergleichbare Angebote für Kindergärten und Schulen. Und doch steckt diese Arbeit noch in den Kinderschuhen. Als pädagogisches Konzept hat sich das Philosophieren mit Kindern noch längst nicht etabliert.