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Philosophieren mit Huren

Eigentlicher Held dieser Geschichte ist der Theaterraum: Die Zuschauer sitzen in einer gemütlichen Sessel- und Sofalandschaft in der Mitte der hohen Industriehalle in Bonn-Beuel. Die Sperrmüll-Landschaft setzt sich linker Hand in Form eines turmhohen Möbel-Bergs fort; gegenüber ist eine steile graue Rampe bis fast zur Decke gebaut; dazwischen steht ein Holzbunker als triste Familienhöhle. Musikalisch wird ein bisschen Budenzauber à la Treptower Park in Berlin evoziert - an warmen Sommerwochenenden treffen sich dort Biedermänner und DDR-Nostalgiker zum Tanz - oder auch die Stimmung beim 6-Tage-Rennen, denn die gehetzte Flucht Roberto Zuccos und viele andere Aktionen finden in großer Höhe statt, bis zum Schluss, wenn der Mörder zum gleißenden Lichtkegel unterm Hallendach emporsteigt.

Von Karin Fischer | 25.02.2005
    Der Effekt dieser von Bernhard Hammer entworfenen Arena ist enorm. Sie macht aus dem Stück ein Stationen-Bilder-Drama mit fast circensischer Kraft. Kresnik lässt die sozialkritische Frage, auf die sich das Stück auch zuspitzen ließe - "wie leicht, wie schnell kann man aus dem Gleis geraten?", souverän links liegen und entwirft statt dessen ein gesellschaftliches Panoptikum, dessen Figuren jederzeit auch als Abziehbilder ihrer selbst durchgehen. Die Patrone und die Inspektoren scheinen in Hut, Hosenträger und Nadelstreifen einem alten Krimi zu entstammen; die Familie des Mädchens mimt eine Karikatur des Proletenhaushalts (er säuft, sie kultiviert quietschen ihren Putzfimmel). Zwischendurch gibt es Tanzeinlagen im Stil des Moulin Rouge, ein Kellnerballett, eine Putzfrauenband.

    Eine Mischung aus Kabarett und schmieriger Operette mit expressionistischem Zungenschlag wird hier gegeben, deren verschärfte Künstlichkeit vor allem den Aspekt des "Schönen" hervorhebt. Wie Koltès scheint Kresnik in Roberto Zucco nicht den Mörder, sondern den Todesengel zu sehen. Weshalb er Falilou Seck in intensiver Umarmung mit seiner Mutter zeigt, während weiter oben ein Liebespaar-Double den Pas de Deux mit weißen Lilien tanzt. Oder ihn als Gekreuzigten ironisiert, in dem er Zucco ein schweres Sofa schleppen lässt. Kresnik arbeitet in Bonn ja zum ersten Mal mit einem gemischten Ensemble aus Schauspielern und Tänzern; und die Verdopplung des schauspielernden Personals in manchen Szenen macht die Geschichte noch leichter, flirrender. Denn im Gegensatz zur erst kürzlich uraufgeführten "Hannelore Kohl", die vor lauter Bedeutungshuberei fast implodierte, funktioniert hier die Aufladung des Stücks durch Bilder mühelos - gerade weil es lückenhaft bleibt und geheimnisvoll wie die fremdartige Utopie von Roberto Zucco:

    Das junge Mädchen, das Zucco ihre Unschuld gibt und dafür nur seinen Namen verlangt; die Dame, deren Kind erschossen wird, und die dem Mörder doch in unbegründbarer Zuneigung verbunden ist; diese ganze zwielichtige Jedermann-Gesellschaft zwischen Familienhölle und Zuhälter-Tristesse, der die versteckte Psychose aus jedem Knopfloch lugt - sie alle bestätigen auf ihre Art, dass dies mal wieder kein Stück über einen Mörder oder den Tod, sondern ein Stück über die Liebe ist. Die so aussichtslos ist wie Schnee in Afrika. Trotzdem ein schöner Abend.