Können und müssen Politik und Gesellschaft die Interessen künftiger Generationen mitdenken? Diese ethische Grundfrage kommt immer wieder auf, beim Tempo von Energie- und Verkehrswende etwa oder der Festlegung von Klimazielen. Auch in der Coronakrise gibt es diese Diskussion: Dürfen zum Beispiel Hilfsgelder für Firmen an die Bedingung eines nachhaltigen, ökologischen Wirtschaftens geknüpft werden?
Was schulden wir unseren Kindern und Kindeskindern?
Die Positionen liegen dabei denkbar weit auseinander. Wir wollen nicht dafür zahlen, dass unsere Zukunft zerstört wird, sagt etwa die Generationen Stiftung, die sich für die Interessen bislang ungeborener Generationen einsetzt. Die Studentin Franziska Heinisch vom Jugendrat der Stiftung empfindet die derzeitige Situation so:
"Wir haben Rettungsgelder für große Konzerne, die praktisch ohne ökologische Bedingungen vergeben werden. Das heißt, diese Gelder verschärfen unter Umständen andere Krisen, von denen wir wissen, dass sie existenziell sind. Sie verschärfen beispielsweise die Klimakrise. Da werden Geschenke an die Wirtschaft gemacht. Und vor allem wird damit eine Wirtschaftsweise einbetoniert, die zerstörerischer nicht sein könnte."
Welche (Corona-)Politik schulden wir also der Jugend? Die Philosophin Kirsten Meyer sieht dringenden Handlungsbedarf in der Wirtschafts- und Klimapolitik. "Wir müssen den sehr, sehr vielen Menschen, die nach uns noch kommen werden, den Planeten in einem vernünftigen Zustand hinterlassen. Und wir arbeiten gerade daran, das zu verhindern." Meyer lehrt an der Humboldt-Universität Berlin und hat ein klimaethisches Buch zur Frage "Was schulden wir künftigen Generationen?" geschrieben.
Hilfen für die coronageschädigte Wirtschaft sind ihrer Ansicht nach "ganz klar am Klimaschutz auszurichten. Das ist einfach fair, auch den zukünftigen Generationen gegenüber". Meyer findet, wir müssten ihre Art des Wirtschaftens noch entschiedener ressourcenschonender und CO2-frei gestalten. "Die Bemühungen gehen zum Teil in eine gute Richtung, aber da muss noch nachgelegt werden."
Das Argument mit den Arbeitsplätzen
Aber wie erklärt man jemandem, der in der Kohleindustrie oder Luftfahrt arbeitet, dass sein Job leider nicht in die Zukunft gerettet werden kann, weil er gegen die ökologischen Interessen der Nachgeborenen geht? Nach Meyers Ansicht muss man die Generationeninteressen nicht unbedingt gegeneinander ausspielen. "Diese Konflikte sind in aller Regel vermeidbar. Wir müssen immer gucken, wie das zu vereinbaren ist."
Konkret glaubt Meyer, ein "entschiedeneres, beherzteres Vorgehen" der Politik als momentan würde nicht zwangsläufig mit Jobverlusten einhergehen. "Man muss halt einfach gucken, dass man Programme auflegt, die Arbeitsplätze insofern sichern, als man sie überführt in Formen von Energiegewinnung, die eben klimaverträglich sind. Ich denke, da gibt es gute Ideen, und diese Wege muss man dann eben auch gehen."
"Von Chancengleichheit kann keine Rede sein"
Weiteren Handlungsbedarf sieht Meyer in der Bildungspolitik. Die Coronakrise mit ihren Schulschließungen und Betreuungsproblemen zeige noch deutlicher als bisher, dass von Chancengleichheit bei der Bildung keine Rede sein könne. Die Tochter einer alleinerziehenden Krankenpflegerin etwa sitze mit ihren Homeschooling-Aufgaben oft alleine zu Hause. "Aber bei genauem Hinsehen wird klar: Das war vorher auch schon der Fall."
Meyer findet es vor diesem Hintergrund irreführend, von Chancengleichheit zu sprechen oder gar Einkommensunterschiede damit zu rechtfertigen. Sie fordert deswegen, "noch stärker Wege in Richtung Chancengleichheit" zu gehen.
Coronakrise zeigt: Handeln ist möglich
Es ist Menschen heute immer schwer zu vermitteln, dass sie sich für die Interessen noch nicht existierender Menschen einschränken sollen. Haben die überhaupt Rechte, wenn es sie noch nicht gibt? Die Coronakrise macht der Philosophin Kirsten Meyer aber Mut, "dass ein Handeln möglich ist, in dem die Folgen nicht unmittelbar sichtbar sind - ein Handeln zugunsten anderer, obwohl es mit erheblichen Einschränkungen einhergeht, weil sehr viel auf dem Spiel steht."
Die Klimakrise sei ganz ähnlich strukturiert: Auch dort sei zeitverzögertes Handeln gefragt, um Krankheit und Tod zu vermeiden. "Irgendwie habe ich die Hoffnung, dass sich dieses Zusammenarbeiten und diese Entschlossenheit in der Bekämpfung der Coronakrise übertragen lässt auf die Bekämpfung der Klimakrise."
Auch der Klimaschutz sei eine große moralische Aufgabe, nur seien die Rollen anders verteilt. Bei COVID-19 schränkten die Jüngeren sich zugunsten der älteren Risikogruppe ein. "Bei der Klimakrise geht es darum, zugunsten der jüngeren Generation entschieden aktiv zu werden."