Der Beitrag von Erwin Schrödinger zur sogenannten Wellenmechanik, für den er 1933 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist nur einem eingeweihten Kreis von Fachleuten wirklich verständlich. Beim Stichwort "Schrödingers Katze" mag auch der allgemein Gebildete aufhorchen, doch dabei eher die Romantrilogie von Robert Anton Wilson im Sinn haben als das Gedankenexperiment von Schrödinger, mit dem der Ausnahmephysiker auf Probleme der Quantenmechanik aufmerksam machen wollte. Der Begriff "genetischer Code" hingegen ist mittlerweile jedem Schulabgänger geläufig, wird aber nicht mit Erwin Schrödinger in Verbindung gebracht, obwohl er ihn in seinem Essay "Was ist Leben?" von 1943 kreierte und damit ein Forschungsprogramm für die molekulare Genetik entwarf, das bis heute ausgearbeitet wird:
"Schrödinger hat ... eine unglaubliche Vielfalt von Beobachtungen, Suggestionen, Metaphern geprägt. Einige von denen haben gegriffen und sind unglaublich erfolgreich geworden. Wenn man sagt: Es gab diesen Begriff des genetischen Codes nicht vor diesem Text. Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass es irgendwann Biologie oder Naturwissenschaft ohne diesen Begriff gegeben hat. Und dann muss man sich klar machen, dass der Begriff für Schrödinger ganz anders geklungen hat als für uns. Also irgendwie nach einem eigenartigen Kompositum aus Genetik und Morsecode oder Linguistik. Für uns ist das ein ganz normaler Begriff, aber für ihn hat der Begriff einen viel höheren Grad an Metaphorizität gehabt. Und davon hat er sich nicht beirren lassen."
Der Deutsch-Amerikaner Hans Ulrich Gumbrecht - Literaturprofessor an der Stanford University - hat in der von ihm geleiteten Stanforder "Philosphical Reading Group" ein halbes Jahr lang Schrödinger-Texte analysiert. Dabei ging es nicht um den naturwissenschaftlichen Gehalt, sondern um die Frage nach den Bedingungen für eine derartig hohe, geistige Innovationskraft. Auf der Suche nach wiederkehrenden Motiven hat sich Gumbrecht auch die Biografie Schrödingers im Detail angeschaut:
"Naja, Schrödinger war eben ein in vielerlei Hinsicht exzentrisches Einzelkind. Die unverheiratete Schwester der Mutter kam, als er ein kleiner Junge war, nach Wien, um mit der Familie zu leben und hat sich sehr auf ihn konzentriert, so dass Schrödinger auf der einen Seite von seinen sehr kultivierten Eltern eine enorme Breite an Anregungen erhielt, aber sicher auch das war, was man auf englisch "a spoilt brat" - also ein verzogenes Frätzchen - war, der eben nie glauben konnte, dass man ihm irgendeinen Wunsch abschlagen kann. Diese Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dass man ihm einen Wunsch abschlagen könnte, die würde ich assoziieren mit der Unfähigkeit, sich selbst eine exzentrische Reflektion abzuschlagen."
Sehr anschaulich wird in dem Band zur Aktualität von Erwin Schrödinger herausgearbeitet, dass der Nobelpreisträger nachdem er die höchste irdische Auszeichnung für einen Physiker erhalten hatte, seiner geistigen Exzentrizität freien Lauf ließ. Er ging ohne Rücksicht auf herrschende Fachdiskurse den abseitigsten Problemstellungen nach. So widmete er sich mit seiner gesamten geistigen Präsenz der Frage, warum Menschen eigentlich so groß sind, wie sie sind. Auch legte er sich mit der Untersuchung der Beziehungen zwischen "Geist und Materie" die älteste und von den Fachleuten nach zweieinhalbtausend Jahren vergeblicher Bemühungen ad acta gelegte Frage der Philosophie vor. Der Stanforder Romanist Robert Harrison folgt Schrödinger in seinem Essay auf diese Entdeckungsreise und arbeitet das zentrale Paradoxon heraus: Zwar scheinen die Naturgesetze über die Körper zu herrschen, aber trotzdem werden diese, unsere Körper von etwas angetrieben und bewegt, das keiner naturwissenschaftlichen Analyse zugängig ist: vom Ich, vom Geist, von der Psyche. Naturwissenschaft kann vieles erklären, aber vor dem Eigentlichen, vor unseren Antrieben, Handlungen, Gefühlen, Sehnsüchten und unserem Bedürfnis nach Glauben muss sie Halt machen. Konsequenterweise katapultiert sich Schrödinger hier aus dem Feld der Naturwissenschaft heraus. Harrison schreibt:
"Jeder Denker ist letzten Endes eine Art Mystiker, während jeder Wissenschaftler letzten Ende eine Art Detektiv ist. Schrödiger war ein Detektiv, der den Hinweisen bis an die Grenze des Blickfeldes der Wissenschaft folgte und dann über diese Grenze hinaus in das Mysterium der geistigen Wirklichkeit schaute, die mit der Wirklichkeit der Materie eng verwoben und doch so ganz anders ist als sie."
Im Ausloten der Grenze zwischen Naturwissenschaft und Metaphysik liegt der Reiz des Essay-Bandes "Was ist Leben?". Die Autoren - neben Gumbrecht und Harrison sind das der Stanforder Pathologe Michael Hendricksen und der Physik-Nobelpreisträger Robert Laughlin - nehmen alle auf ihre Weise das Phänomenale an Schrödingers Denken zum Anlass, um über die blinden Flecke des naturwissenschaftlichen Weltbildes zu meditieren. Die Frage nach der Aktualität von Schrödinger beantworten die vier Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten mit einem eindringlichen Plädoyer für das Staunen:
"Das ist diese eigenartige Oszilation bei Schrödinger zwischen Erklärenwollen und - also das Phänomen gewissermaßen bestimmten mathematischen Formeln, gewissen naturwissenschaftlichen Patterns aussetzen und es sozusagen in das schon vorhandene Wissen einzuordnen und dann sozusagen einen Schritt nach hinten zu machen, zurück zu machen und sich von dem Phänomen in Erstaunen versetzen zu lassen. Und das sozusagen als ein unabschließbares Prinzip zu behandeln, das scheint mir ein sehr spezifischer Gestus bei Schrödinger zu sein."
Hans Ulrich Gumbrecht, Robert Harrison, Michael Hendrickson, und Robert B. Laughlin "Geist und Materie - Was ist Leben? Zur Aktualität von Erwin Schrödinger", edition unseld, 10 Euro, 150 Seiten
"Schrödinger hat ... eine unglaubliche Vielfalt von Beobachtungen, Suggestionen, Metaphern geprägt. Einige von denen haben gegriffen und sind unglaublich erfolgreich geworden. Wenn man sagt: Es gab diesen Begriff des genetischen Codes nicht vor diesem Text. Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass es irgendwann Biologie oder Naturwissenschaft ohne diesen Begriff gegeben hat. Und dann muss man sich klar machen, dass der Begriff für Schrödinger ganz anders geklungen hat als für uns. Also irgendwie nach einem eigenartigen Kompositum aus Genetik und Morsecode oder Linguistik. Für uns ist das ein ganz normaler Begriff, aber für ihn hat der Begriff einen viel höheren Grad an Metaphorizität gehabt. Und davon hat er sich nicht beirren lassen."
Der Deutsch-Amerikaner Hans Ulrich Gumbrecht - Literaturprofessor an der Stanford University - hat in der von ihm geleiteten Stanforder "Philosphical Reading Group" ein halbes Jahr lang Schrödinger-Texte analysiert. Dabei ging es nicht um den naturwissenschaftlichen Gehalt, sondern um die Frage nach den Bedingungen für eine derartig hohe, geistige Innovationskraft. Auf der Suche nach wiederkehrenden Motiven hat sich Gumbrecht auch die Biografie Schrödingers im Detail angeschaut:
"Naja, Schrödinger war eben ein in vielerlei Hinsicht exzentrisches Einzelkind. Die unverheiratete Schwester der Mutter kam, als er ein kleiner Junge war, nach Wien, um mit der Familie zu leben und hat sich sehr auf ihn konzentriert, so dass Schrödinger auf der einen Seite von seinen sehr kultivierten Eltern eine enorme Breite an Anregungen erhielt, aber sicher auch das war, was man auf englisch "a spoilt brat" - also ein verzogenes Frätzchen - war, der eben nie glauben konnte, dass man ihm irgendeinen Wunsch abschlagen kann. Diese Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dass man ihm einen Wunsch abschlagen könnte, die würde ich assoziieren mit der Unfähigkeit, sich selbst eine exzentrische Reflektion abzuschlagen."
Sehr anschaulich wird in dem Band zur Aktualität von Erwin Schrödinger herausgearbeitet, dass der Nobelpreisträger nachdem er die höchste irdische Auszeichnung für einen Physiker erhalten hatte, seiner geistigen Exzentrizität freien Lauf ließ. Er ging ohne Rücksicht auf herrschende Fachdiskurse den abseitigsten Problemstellungen nach. So widmete er sich mit seiner gesamten geistigen Präsenz der Frage, warum Menschen eigentlich so groß sind, wie sie sind. Auch legte er sich mit der Untersuchung der Beziehungen zwischen "Geist und Materie" die älteste und von den Fachleuten nach zweieinhalbtausend Jahren vergeblicher Bemühungen ad acta gelegte Frage der Philosophie vor. Der Stanforder Romanist Robert Harrison folgt Schrödinger in seinem Essay auf diese Entdeckungsreise und arbeitet das zentrale Paradoxon heraus: Zwar scheinen die Naturgesetze über die Körper zu herrschen, aber trotzdem werden diese, unsere Körper von etwas angetrieben und bewegt, das keiner naturwissenschaftlichen Analyse zugängig ist: vom Ich, vom Geist, von der Psyche. Naturwissenschaft kann vieles erklären, aber vor dem Eigentlichen, vor unseren Antrieben, Handlungen, Gefühlen, Sehnsüchten und unserem Bedürfnis nach Glauben muss sie Halt machen. Konsequenterweise katapultiert sich Schrödinger hier aus dem Feld der Naturwissenschaft heraus. Harrison schreibt:
"Jeder Denker ist letzten Endes eine Art Mystiker, während jeder Wissenschaftler letzten Ende eine Art Detektiv ist. Schrödiger war ein Detektiv, der den Hinweisen bis an die Grenze des Blickfeldes der Wissenschaft folgte und dann über diese Grenze hinaus in das Mysterium der geistigen Wirklichkeit schaute, die mit der Wirklichkeit der Materie eng verwoben und doch so ganz anders ist als sie."
Im Ausloten der Grenze zwischen Naturwissenschaft und Metaphysik liegt der Reiz des Essay-Bandes "Was ist Leben?". Die Autoren - neben Gumbrecht und Harrison sind das der Stanforder Pathologe Michael Hendricksen und der Physik-Nobelpreisträger Robert Laughlin - nehmen alle auf ihre Weise das Phänomenale an Schrödingers Denken zum Anlass, um über die blinden Flecke des naturwissenschaftlichen Weltbildes zu meditieren. Die Frage nach der Aktualität von Schrödinger beantworten die vier Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten mit einem eindringlichen Plädoyer für das Staunen:
"Das ist diese eigenartige Oszilation bei Schrödinger zwischen Erklärenwollen und - also das Phänomen gewissermaßen bestimmten mathematischen Formeln, gewissen naturwissenschaftlichen Patterns aussetzen und es sozusagen in das schon vorhandene Wissen einzuordnen und dann sozusagen einen Schritt nach hinten zu machen, zurück zu machen und sich von dem Phänomen in Erstaunen versetzen zu lassen. Und das sozusagen als ein unabschließbares Prinzip zu behandeln, das scheint mir ein sehr spezifischer Gestus bei Schrödinger zu sein."
Hans Ulrich Gumbrecht, Robert Harrison, Michael Hendrickson, und Robert B. Laughlin "Geist und Materie - Was ist Leben? Zur Aktualität von Erwin Schrödinger", edition unseld, 10 Euro, 150 Seiten