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Picasso-Ausstellung in London
Frühkindlicher Zeichner

Er wurde berühmt als Maler der großen bunten Bilder. Wie wichtig aber das Zeichnen auf Papier für den Jahrhundertkünstler Pablo Picasso war, zeigt nun eine Ausstellung in London - und dass er auch dabei keine Angst vor dem großen Format hatte.

Von Hans Pietsch |
Mitarbeiterinnen der Londoner Royal Academy of Arts stehen vor Pablo Picassos "Femmes à leur toilette" von 1937-38, wenige Tage vor der Eröffnung der Ausstellung "Picasso and Paper"
Zusammengesetzt aus Tapetenstücken: Pablo Picassos "Femmes à leur toilette" von 1937-38 (imago / Stephen Chung)
Für viele Künstler ist Zeichnen gleichbedeutend mit Denken - sie denken mit der Hand. Das trifft auch und vor allem auf Pablo Picasso zu. Er soll einmal gesagt haben, dass er zeichnen konnte, bevor er sprechen lernte. Zeit seines langen Lebens zeichnete er obsessiv – er konnte nicht anders – auf alles, was ihm zur Hand war: Servietten, Speisekarten, Briefumschläge.
Die Kuratoren der Schau in der Royal Academy verbrachten Tage im Archiv des Musée Picasso in Paris auf der Suche nach Kuriositäten des Sammelwütigen, der nichts wegwerfen konnte. Sie förderten Skizzenbücher, bekritzelte Hotelrechnungen und auf Zeitungspapier hingeworfene Karikaturen zutage. Doch Zeichnen war nicht das einzige, das Picasso mit Papier machte. "Wir wollten unsere Schau eigentlich 'Picasso auf Papier' nennen", sagt Kuratorin Ann Dumas:
"Doch dann merkten wir, was er alles mit Papier anstellte. Er schnitt Menschen und Tiere aus, er klebte es zu Collagen zusammen, er faltete es zu kleinen Skulpturen, und so nannten wir die Schau 'Picasso und Papier'."
Leuchtende Blätter
Mit mehr als 300 Exponaten ist die Ausstellung ein wahres Mammutunternehmen. Sie folgt chronologisch den Werkphasen des Meisters - und das ist gut so, denn bei der Fülle von Material erleichtert die einfache Struktur den Rundgang. Außerdem haben die Kuratoren in die gewaltigen Räume der Akademie mit ihren hohen Decken niedrige, falsche Wände eingezogen: blau, rot oder grau bemalt. Das erzeugt den Eindruck von Intimität und bringt die Blätter zum Leuchten.
Die Schau zeigt nicht nur Werke auf Papier, sondern auch Gemälde und Plastiken, zwei pro Raum. Ann Dumas:
"Wir haben fünf wunderbare Bleistift- und Tuschezeichnungen, die er für seine berühmte Plastik 'Mann mit Schaf' von 1943 schuf. Sie machen natürlich mehr Sinn, wenn man sie zusammen mit der fertigen Skulptur sieht."
Von der Kindheit bis zum Tod
Doch Picasso bereitete seine Werke nicht nur mit dem Bleistift vor wie die vier Studien zu einem Frauenkopf aus Bronze von 1931, der seine damalige Geliebte Marie-Thérèse Walter mit knolliger Nase darstellt. Nein, für seine bewundernde Version von Manets 'Déjeuner sur l'herbe' schnitt und faltete er im August 1962 die picknickenden Figuren aus Pappe, malte ihnen mit Bleistift Gesichter, Brüste und Genitalien auf und arrangierte sie auf einem Tisch.
Besonders kurios und faszinierend ist das größte Werk. Ann Dumas:
"Es handelt sich um die Collage 'Femmes à leur toilette'", sagt die Kuratorin. "Sie ist über viereinhalb Meter breit und besteht ausschließlich aus zusammengeklebten Tapetenstücken - ein wagemutiges Unternehmen."
Die Frau kämmt die Geliebte
Die Collage entstand 1937/38 als Vorlage für einen gewebten Gobelin und zeigt drei Frauen bei der Morgentoilette. Eine von ihnen ist Picassos erste Frau Olga, die seiner Geliebten Dora Maar die Haare kämmt.
Die Ausstellung ist ein wahrer Triumph, man könnte Tage in ihr verbringen. Sie zeigt das Denken und den Schaffensprozess eines Künstlers, der ewig neugierig ist, der sich nicht in ein Korsett zwängen lässt und der vor allem sein kindliches Vergnügen an der Kreativität nicht verloren hat. Sie beginnt mit zwei winzigen Tieren, die der Neunjährige aus Pappe ausschnitt, und endet mit einem gezeichneten Selbstporträt von 1972, auf dem er sich, ganz klar zu erkennen, als Totenschädel darstellt. Die hohlen Augen blicken traurig. Er, der sich immer vor dem Tod fürchtete, sieht ihm entgegen.