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Picassos Einfluss auf die britische Kunst

Pablo Picasso war in Großbritannien zwar nicht so präsent wie in Spanien und Frankreich, aber auch dort so berühmt wie umstritten. Die Tate Gallery versucht nun, dessen Einfluss auf die moderne britische Kunst nachzugehen. 150 Kunstwerke hat die sie zusammengetragen, darunter 60 von Picasso selbst.

Von Hans Pietsch |
    Das britische Kunstestablishment brauchte lange, um sich an Pablo Picasso zu gewöhnen. Alfred Munnings, Maler und Präsident der Royal Academy, brachte es noch 1949 auf den Punkt: "Winston Churchill fragte mich, sagte er, ob ich Picasso auch einen Tritt in den Hintern geben würde, und ich sagte ja, auf jeden Fall.” Erst mit der großen Retrospektive der Tate Gallery gelang ihm 1960 der Durchbruch – 500.000 Besucher bewunderten das Genie aus Paris.

    Anders die britische Avantgarde: Sie sah schon früh Picassos Bedeutung, jede Generation fand in dem sich ständig wandelnden, sich ständig erneuernden Künstler neue Anregungen. Duncan Grant liebte die frühen Collagen, die Papier collées, und machte aus ihnen dekorative Farbflächen, Ben Nicholson imitierte den Kubismus, ihn als reine Abstraktion missverstehend, Henry Moores monumentale liegende Akte gehen auf die klassizistischen Frauen wie "Die Quelle” von 1921 zurück, und Graham Sutherlands verzerrte Christusfiguren orientieren sich am Pathos von "Guernica”. Picassos Leichtfüßigkeit aber war ihre Tragik: Immer, wenn sie ihn imitierten, war er schon einen Schritt weiter.

    Eine Ausnahme ist David Hockney, ein echter Fan, der seinen Helden anhimmelt, wie die kreischenden Teenager die pilzköpfigen Beatles. Zwei nach Picassos Tod 1973 entstandene Radierungen zeigen ihn als Schüler mit seinem Meister: Auf der einen steht er, Zeichenmappe unter dem Arm, bescheiden vor einer Picasso-Büste, auf der anderen sitzt er, splitternackt, dem Angebeteten an einem Tisch gegenüber. Was er von ihm lernte, war vor allem, dass man als Künstler nicht einem Stil verpflichtet zu sein braucht.

    Lediglich bei Francis Bacon führte die Heldenverehrung zu einer echten Auseinandersetzung. Der Maler behauptete sogar, die Begegnung mit Picassos in den späten Zwanzigerjahren am Strand von Dinard entstandenen Gemälden habe ihn endgültig davon überzeugt, die Innenarchitektur aufzugeben und zur Malerei zu wechseln. Picassos dunkle Figuren am Strand, meist Porträts seiner damaligen Geliebten Marie-Therèse Walter, mit ihren winzigen Köpfen und ausgestreckten Gliedmaßen, finden ihre Entsprechung in Bacons ersten Arbeiten, die er für passabel hielt, etwa dem Triptychon "Drei Studien für Figuren unter einer Kreuzigung” von 1944.

    Nur schade, dass sich die Schau auf Bacons relativ schwaches Frühwerk beschränkt, denn Picassos Einfluss zieht sich durch sein gesamtes Oeuvre – der Spanier war der einzige Künstler des 20. Jahrhunderts, den er auf dieselbe Stufe wie die großen Vorbilder Rembrandt und Velazquez stellte.

    Doch "Picasso und die moderne britische Kunst” ist natürlich auch eine Picasso-Ausstellung und als solche durchaus eine Reise wert. Eine Art Mini-Retrospektive, von ganz frühen Werken wie "Kind mit Taube” von 1901 oder "Mädchen im Hemd” von 1905, also aus der Blauen Periode, über große kubistische Werke wie "Kopf eines Mannes” von 1912, wo er zum ersten Mal Buchstaben verwendete, und die klassizistischen Frauendarstellungen bis zu seinen späten Verneigungen vor Delacroix und Velazquez. Alles Werke, die entweder schon früh von britischen Sammlern wie Roland Penrose und Douglas Cooper gekauft wurden oder sich noch heute in britischen Museen befinden.

    Einer der Höhepunkte die sinnlichen Kurven von Marie-Therèse Walters Körper, etwa "Nackte Frau im roten Sessel” von 1932. Die rechte Seite ihres Gesichts kann man als den Kopf des Geliebten sehen, der ihre Lippen küsst. "Ich muss unbedingt seine Spontaneität erreichen”, forderte David Hockney von sich selbst – ob die britischen Picasso-Jünger das erreichten, sei dahingestellt.

    Picasso & Modern British Art. Tate Britain, bis 15. Juli 2012 Internet: Tate Britain