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Piepmatz gesucht

Ornithologie.- Im 19. Jahrhundert war er im südlichen Europa noch ein oft gesehener Wintergast. Doch seit fast zehn Jahren fehlt von dem Dünnschnabelbrachvogel jede Spur. Entwässerungsmaßnahmen, Jagd und ausgedehnte Landwirtschaft haben ihm stark zugesetzt.

Von Tomma Schröder |
    Der Vermisste ist unauffällig gekleidet, ungefähr 40 Zentimeter groß und hat eine ausnehmend hohe Stimme.

    Gehört und gesehen wurde er das letzte Mal im Jahr 2001 in Ungarn. Seitdem durchkämmen zahlreiche Vogelfreunde die unwegsamsten Gebiete, um den Vermissten wieder aufzufinden. Sein Name: Dünnschnabelbrachvogel.

    "In diesem Winter waren viele Teams unterwegs. Ungefähr 20. Aber jetzt im Frühling konzentrieren wir die Suche auf den Mittelmeerraum. Jedes Land am Mittelmeer hat Expertenteams, die nach dem Dünnschnabelbrachvogel suchen."

    Nicola Crockford von der britischen Vogelschutzorganisation RSPB, koordiniert seit dem letzten Jahr eine beispiellose Suchaktion. Insgesamt 70 Länder beteiligen sich mit Expertenteams oder finanzieller Unterstützung an der Großfahndung, die von Sibirien über Syrien und das südliche Europa bis nach Marokko reicht. Dabei lassen sich die Überwinterungsgebiete rund um das Mittelmeer recht gut eingrenzen. Schließlich ist der Lebensraum der Brachvögel – Brackwassermarschen, sandiges Kulturland oder Salzseen – mit der Zeit immer übersichtlicher geworden. Die zunehmende Entwässerung und landwirtschaftliche Nutzung dieser Gebiete sowie die rücksichtslose Jagd scheinen den Tieren denn auch zum Verhängnis geworden zu sein. Doch die Vogelschützer wollen noch nicht aufgeben. Sie setzen auf ein Heer von Freiwilligen und – die sieben Weisen:

    "Wir haben einen Ausschuss. Er heißt 'Internationaler Prüfungsausschuss' und setzt sich aus sieben internationalen Experten in der Brachvogel-Identifikation zusammen. Alle sieben haben schon einmal einen Dünnschnabelbrachvogel gesehen."

    Dieser Ausschuss gibt innerhalb von 24 Stunden seine Meinung zu den von Suchteams gelieferten Fotografien oder Tonaufnahmen ab.

    "Wenn sie entscheiden, dass es definitiv ein Dünnschnabelbrachvogel ist, dann haben wir unsere schnelle Eingreiftruppe mit Experten, die sich im Fangen von Brachvögeln auskennen. Sie werden dann sofort dorthin eilen, wo immer die Tiere gerade sind, sie fangen und sie mit Sendern ausstatten."

    Die Sender sollen den Ornithologen mehr über die Vögel verraten: ihre genauen Brutgebiete, ihre Überwinterungsgebiete, ihre Zugroute. Denn damit, so die Hoffnung, könnten die Forscher nicht nur weitere Dünnschnabelbrachvögel ausfindig machen, sondern wüssten auch, wo sinnvoll Schutzgebiete eingerichtet werden könnten.

    Doch soweit ist es noch nicht. Abgesehen von zwei Fehlmeldungen, die die schnelle Eingreiftruppe umsonst in Alarmbereitschaft versetzten, kann Nicola Crockford noch nichts vorweisen. Sie setzt deshalb neben den Suchteams auch auf Spuren aus der Vergangenheit: Rund 100 alte Federn aus Museen hat sie auf Kohlenstoff-, Stickstoff-, Wasserstoff und Strontium-Isotope untersuchen lassen.

    "Und wenn man jetzt auf die Signatur dieser stabilen Isotope schaut, dann entspricht die genau der Isotopen-Zusammensetzung der Gegend, in der die Federn gewachsen sind. Und auf diese Weise haben wir es geschafft, das wahrscheinliche Brutgebiet der Dünnschnabelbrachvögel auf ein Gebiet einzugrenzen, das ungefähr so groß ist wie Großbritannien."

    Zu groß. Denn bei dem Brutgebiet in Südsibirien und dem nördlichen Kasachstan handelt es sich um eine riesige unbesiedelte Waldfläche. Nicht umsonst stammt der bisher einzige Nachweis von brütenden Dünnschnabelbrachvögeln aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Nicola Crockford hofft daher, dass das Brutgebiet mithilfe der Isotopen-Analyse noch genauer eingegrenzt werden kann. Viel Aufwand für einen unscheinbaren, weitgehend unbekannten Vogel. Aber immerhin geht es um den einzigen vermissten Vogel, der auch in Europa vorkommt. Weltweit gibt es 47 vermisste Arten. Und da, meint die Vogelschützerin, muss Europa auch Vorbild sein.

    "Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Und ich denke, dass es das Mindeste ist, was wir für unsere einzige verschwunden Vogelart in diesem Teil der Welt tun können. Wir müssen erstmal ein gutes Beispiel für die Entwicklungsländer abgeben, bevor wir von ihnen erwarten können, dass sie nach ihren verschwunden Arten schauen."