"Daß ich Sizilien gesehen habe, ist mir ein unzerstörlicher Schatz auf mein ganzes Leben." - So hat schon Johann Wolfgang Goethe nach seiner Italien-Reise 1787 geschwärmt. Und wer die Insel mit ihrer wechselhaften Geschichte, wunderschönen vielgestaltigen Landschaft und den chaotischen Städten einmal besucht hat, weiß, dass man sich ihrem Charme nur schwer entziehen kann. Auch Piers Faccini ist fasziniert von Sizilien, sein Interesse gilt vor allem einem Zeitabschnitt im 12. Jahrhundert. Zu dieser Zeit lebte dort die fortschrittlichste und aufgeklärteste Gesellschaft des mittelalterlichen Europas.
"Roger II. war ab 1130 der erste normannische König von Sizilien. An seinem Hof wurde Griechisch, Latein und Arabisch gesprochen. Wäre man zu dieser Zeit durch die Straßen Palermos gelaufen, hätte man erst den Muezzin gehört, dann Kirchenglocken und wäre schließlich an einer Synagoge vorbeigekommen. Man hätte viele verschiedene Sprachen gehört."
Abwechslungsreiches Album mit Ohrwürmern
Auf seinem neuen Album "I Dreamed An Island" setzt Piers Faccini diesem Zusammenleben verschiedener Völker und Religionen ein Denkmal. Die Geschichte erscheint in den heutigen Zeiten des Culture-Clash ziemlich fortschrittlich. Faccini feiert die kulturelle Vielfalt, singt auf Englisch, Französisch und sogar Arabisch. Auch die Musik bewegt sich zwischen den Welten: elektrische Blues-Gitarren treffen auf eine barocke Viola d'amore und eine Oud, eine marokkanische Gimbri pulsiert zu einem Jazz-Schlagzeug. So viele unterschiedliche Bezugspunkte mögen für manche verwirrend sein, für Piers Faccini ist gerade das reizvoll.
"Ich sehe mich selbst als Songwriter, denn ich schreibe Songs. Bei dem Wort stellen sich die meisten eine gezupfte Gitarre vor, in der Tradition von Nick Drake oder Bob Dylan. Ich komme zwar aus der gleichen Ecke, einfach weil ich gerne Songs schreibe. Der Unterschied ist aber, dass meine musikalischen Referenzen außerhalb dieser traditionellen Songwriter-Schublade liegen, sie kommen eher aus der sogenannten Weltmusik."
Die Songs auf "I Dreamed An Island" sind feinfühlig arrangiert, die vielen Schichten blättern sich nach und nach auf, bei jedem Hören entdeckt man ein neues Detail. Die unterschiedlichen musikalischen Einflüsse und Sprachen ergeben am Ende kein undurchsichtiges Chaos, sondern ein stimmiges, wunderbar abwechslungsreiches Album - das auch ein paar Ohrwürmer parat hält.
"Je mehr Sprachen man beherrscht, desto toleranter wird man"
Der Song "Bring Down The Wall" ist von Donald Trumps Plänen für eine Mauer zum Nachbarland Mexiko geprägt. Werte wie Weltoffenheit und Toleranz sind Piers Faccini nicht nur in seiner Musik wichtig, er selbst ist Kosmopolit: 1970 in London geboren, der Vater Italiener, seine Mutter Engländerin. Seit zwölf Jahren lebt der Musiker in Frankreich, ist mit einer Italienerin verheiratet, die Kinder wachsen dreisprachig auf.
"Ich glaube, je mehr Sprachen man beherrscht, desto toleranter wird man. Weil man dann neugierig ist auf die anderen und weniger ängstlich. Wenn man sich rechte Politiker anschaut, sprechen die meistens nur eine Sprache. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass zum Beispiel Donald Trump nach Deutschland kommt und auf einmal Deutsch spricht oder Französisch in Frankreich."
"Einerseits sehr persönlich, aber auch politisch"
Sizilien ist nicht nur Sehnsuchtsort für Touristen, sondern auch Ziel Tausender Bootsflüchtlinge aus Afrika, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Das Thema Flucht spiegelt sich auch in Faccinis eigener Familiengeschichte wider. Sein Großvater ist nach Großbritannien emigriert, und die Vorfahren mütterlicherseits waren jüdische Flüchtlinge aus Polen.
"In meiner Familie gab es Wirtschaftsmigranten, aber auch Menschen, die vor Verfolgung geflohen sind. Wenn ich singe, gedenke ich auch meiner Vorfahren und allem, was sie durchgemacht haben. Das ist für mich wie Blumen auf einen Grabstein legen. Das ist einerseits sehr persönlich. Aber es ist natürlich auch sehr politisch, wenn man so etwas heutzutage macht."
Piers Faccinis Bild von Sizilien zeigt eine mediterrane, vielsprachige Utopie voller Orangenhaine, Hufeisenbögen und Geschichten aus der Zeit Rogers II. Sein Album ist eine musikalische Vision von friedlicher Koexistenz und gegenseitiger kultureller Inspiration - und in diesen spannungsreichen Zeiten ein wichtiges Signal.
Piers Faccinis Album "I Dreamed An Island" ist bei Six Degrees Records erschienen.