In einer starken Wirtschaftsnation wie der deutschen sei die Nutzung der Infrastruktur ein "wichtiges Element", sagte Michelbach im Deutschlandfunk. Wenn Mitarbeiter zu spät zur Arbeit kommen, hätte das den psychologischen Effekt: "Wir sind verwundbar." Die gute Stimmung in der deutschen Wirtschaft gehe damit verloren, "gerade in Zeiten von Wachstumsrückgängen können wir uns das am wenigsten leisten".
Der CSU-Politiker forderte ein Gesetz zur Tarifeinheit noch in diesem Jahr. Bei dieser müsse man eine "Gratwanderung durchführen": Es müsse eine Regelung her, "die auf der einen Seite eine stärkere Tarifeinheit vorsieht und auf der anderen kleinere Gewerkschaften nicht zerstört".
Seit 13 Uhr streiken die Lufthansa-Piloten auf den Kurz- und Mittelstrecken, ab morgen 6 Uhr werden auch die Langstrecken bestreikt. Es ist der achte Ausstand in der laufenden Tarif-Auseinandersetzung, in der es vor allem um die Vorruhestandsregelung für die Piloten geht. Die Lufthansa möchte, dass die Piloten später als bisher in den bezahlten Vorruhestand gehen, die Gewerkschaft wehrt sich dagegen. Erst am Morgen war ein dreitägiger Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zu Ende gegangen.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Deutschland steckt mitten in einer Streikwelle. Millionen von Bahnreisenden mussten sich am Wochenende andere Transportmittel suchen. Grund war der Lokführerstreik. Heute nun beginnen auch die Lufthansapiloten mit einem Ausstand. Erst sind nur die Kurz- und Mittelstreckenflüge betroffen und dann ab morgen auch die Langstreckenflüge. Es ist nicht ganz einfach mit dem Reisen in Deutschland in diesen Tagen.
Bei uns am Telefon ist jetzt Hans Michelbach, der Chef der CSU-Mittelstandsunion. Schönen guten Tag!
Bei uns am Telefon ist jetzt Hans Michelbach, der Chef der CSU-Mittelstandsunion. Schönen guten Tag!
Hans Michelbach: Guten Tag.
Armbrüster: Herr Michelbach, wollten sie am Wochenende Zug fahren?
Michelbach: Ich bin aufs Auto umgestiegen, wie scheinbar viele. Ich war mehrfach im Stau gestanden. Also es gibt auch Auswirkungen außerhalb der Bahn.
Armbrüster: Steuern wir denn jetzt in Deutschland mit diesen ganzen Streiks auf, sagen wir mal, französische Verhältnisse zu?
Michelbach: Das Problem ist natürlich, dass Einzelgewerkschaften, in dem Fall Spartengewerkschaften natürlich das rechte Maß vermissen lassen. Wer in sechs Monaten achtmal streikt, wie die Lufthansa-Piloten, oder jetzt 61 Stunden einschließlich Güterverkehr die GDL-Lokomotivführer, dann ist das rechte Maß natürlich endgültig verlassen. Das Streikrecht ist ein hohes Recht in einer Demokratie, aber hier wird endgültig das gute und das rechte Maß verlassen.
Armbrüster: Was wäre denn das rechte Maß?
Michelbach: Dass man natürlich auch die Folgen sieht und dass man natürlich Gespräche nicht verweigert. In dem Fall hat ja die Bahn Gesprächsangebote kurzfristig auch noch am Freitag geäußert und man hat die abgelehnt. Es ist eigentlich für mich daraus zu sehen, dass es im Kern der Auseinandersetzung gar nicht um Lohnerhöhungen, Verbesserungen für die betroffenen Lokomotivführer geht, sondern es geht letzten Endes um die alte Fehde mit den Erzrivalen von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Das heißt, es ist ein Stellvertreterkrieg, der hier stattfindet, und deswegen müssen wir natürlich auch jetzt deutlich machen, es reicht, es ist genug.
"Ein völlig fatales Signal"
Armbrüster: Können wir uns das denn wirtschaftlich leisten, dass die Gewerkschaften unser Transportwesen wochenlang mal eben so für ein, zwei oder drei Tage lahmlegen?
Michelbach: Das können wir uns natürlich nicht leisten. Wir haben eine Situation, gerade in einer starken Wirtschaftsnation, dass die Infrastruktur und die Nutzung der Infrastruktur ein ganz wichtiges Element ist und natürlich auch der Bahn- und der Luftverkehr natürlich eine ganz bedeutende Rolle dabei spielen muss. Eine Wirtschaftsnation ohne intakte Infrastruktur ist natürlich sehr, sehr schwierig.
Armbrüster: Sie haben jetzt ja beste Kontakte zum deutschen Mittelstand, haben da einen Überblick. Wo würden Sie denn sagen, wo sind da die Folgen solcher Streiks besonders zu spüren?
Michelbach: Mitarbeiter kommen zu spät zum Dienst und auch Verzögerungen im Güterverkehr. Wir haben natürlich auch letzten Endes auch einen psychologischen Effekt, dass wir so verwundbar sind, und gerade jetzt, wo wir Wachstumsrückgänge haben, können wir uns das am wenigsten leisten, weil 50 Prozent der Wirtschaft ist Psychologie und es ist natürlich ein völlig fatales Signal, wenn jetzt die Infrastruktur so breit lahmgelegt wird durch einige Spartengewerkschaften, die letzten Endes das rechte Maß für die gesamte Nation verloren haben.
Armbrüster: Das heißt, es ist gar nicht so sehr das Problem, dass jetzt möglicherweise einige Teile nicht rechtzeitig in einem Betrieb ankommen, vielleicht in einem Zulieferbetrieb einige Metallteile, sondern wirklich eher ein psychologisches Problem, dass die Leute in den Betrieben denken, die Infrastruktur, da hapert's, da geht irgendwie was nicht, und deshalb werden wir möglicherweise bald in Mitleidenschaft gezogen?
Michelbach: Die Stimmung, die gute Stimmung in der deutschen Wirtschaft geht mit so etwas verloren. Das hat Auswirkungen weit über die momentane Streiksituation hinaus. Es wird eine schlechte Stimmung am Wirtschaftsstandort erzeugt und das ist natürlich für uns mittel- und längerfristig dann ein Problem. Und es ist jetzt höchste Eisenbahn, dass wir ein Gesetz zur Tarifeinheit bekommen, das natürlich verfassungskonform ist, und wir müssen Frau Nahles anschieben, dass sie jetzt endlich vorlegt und dass es in diesem Jahr noch eine Abstimmung im Deutschen Bundestag über ein Gesetz gibt, das auf der einen Seite kleine Gewerkschaften nicht zerstört, das Streikrecht der kleinen Gewerkschaften beibehält, aber natürlich hier die Situation mit dem richtigen und rechten und vernünftigen Maß auch berücksichtigt.
"Es geht um eine Auseinandersetzung mit einer anderen Gewerkschaft"
Armbrüster: Herr Michelbach, das ist ja genau der Spagat, den dieses Gesetz irgendwie hinkriegen muss. Was würden Sie denn sagen, was sollte konkret drinstehen?
Michelbach: Wir haben ja höchstrichterliche Entscheidungen und wir haben auch das Gutachten des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten di Fabio. Das ist ernst zu nehmen und wir müssen natürlich diese Gratwanderung durchführen, dass das sogenannte betriebsbezogene Mehrheitsprinzip auf der einen Seite diese Lahmlegungen durch Einzelgewerkschaften behindert und auf der anderen Seite den kleinen Gewerkschaften letzten Endes eine Mitwirkung doch vorbehält. Das ist eine Gratwanderung.
Armbrüster: Sie werden es letztendlich aber nicht schaffen, den kleinen Gewerkschaften ihr Streikrecht zu lassen.
Michelbach: Insbesondere wenn sie Lohnforderungen haben, ist das in Ordnung, aber es geht ja hier gar nicht um Lohnforderungen, sondern es geht um eine Auseinandersetzung mit einer anderen Gewerkschaft, einer DGB-Gewerkschaft und die Herausforderung an den DGB ist natürlich offensichtlich.
Armbrüster: Und solche Streiks müssten eigentlich verboten werden?
Michelbach: Das sind Streiks, die mit dem einzelnen Interesse des Gewerkschaftsmitglieds eigentlich nichts zu tun haben.
Armbrüster: Das heißt konkret, die müssten verboten werden?
Michelbach: Das muss verboten werden, und es ist die Gratwanderung dieses Gesetzesvorhabens, auf der einen Seite verfassungskonform zu sein, auf der anderen Seite solche gewissen niederen Beweggründe auch zu verhindern.
"Es sind immer zwei Seiten gefragt"
Armbrüster: Das heißt, müsste man hier möglicherweise auch das Grundgesetz ändern?
Michelbach: Das wird natürlich weit hergeholt sein. Ich gehe mal davon aus, dass man das nicht braucht. Wir müssen jetzt einmal den Gesetzesentwurf abwarten. Das muss dann intensiv angesehen werden. Wir müssen darüber diskutieren und beraten. Ich gehe mal davon aus, dass es hier eine Lösung gibt, die auf der einen Seite eine stärkere Tarifeinheit vorsieht, auf der anderen Seite die kleinen Gewerkschaften nicht zerstört.
Armbrüster: Herr Michelbach, dann lassen Sie uns noch mal konkret auf diese beiden Arbeitskämpfe bei der Bahn und bei der Lufthansa blicken. Wie viel Verantwortung trägt denn da eigentlich die andere Seite, die Arbeitgeber?
Michelbach: Es sind immer bei einem Arbeitskampf zwei Seiten zu berücksichtigen. Ich meine, ein Angebot von fünf Prozent für 30 Monate ist natürlich auch nicht konform mit der Entwicklung, der wirtschaftlichen Entwicklung. Das ist sicher ein Zeitraum, der zu lange gewählt war und den man dann relativ gut von Seiten der GDL ablehnen konnte. Es sind natürlich immer zwei Seiten gefragt. Das ist nun mal so in einer Tarifpartnerschaft.
"Es stehen niedere Beweggründe von Herrn Weselsky im Vordergrund"
Armbrüster: Man könnte auch sagen, auch die Arbeitgeber zeigen sich hier ziemlich wenig kompromissbereit.
Michelbach: Das ist richtig. Man muss Tarifpartnerschaft pflegen. Wir haben das hohe Gut der Tarifpartnerschaft, dafür haben wir immer gekämpft, und Partnerschaft sagt das Wort, dass ausgleichende Lösungen stattfinden. Hier sehe ich, dass aufgrund der Auseinandersetzung in der Gewerkschaftsfrage eigentlich das zu kurz kommt, was in der Tarifpartnerschaft gelöst werden müsste, nämlich eine Lohnfindung. Diese Lohnfindung steht nicht im Vordergrund, sondern es stehen niedere Beweggründe des Herrn Weselsky bei der GDL im Vordergrund.
Armbrüster: Wäre es vielleicht an der Zeit, dass jemand von außen mit dazukommt und eingreift, vermittelt?
Michelbach: Das ist immer der richtige Punkt, dass man einen Mediator hier installiert, der gewissermaßen an die Verantwortung und an die Vernunft appelliert und hier dafür sorgt, dass das rechte Maß im Streikrecht wieder eingehalten wird.
Armbrüster: ..., sagt hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag" Hans Michelbach, der Chef der Mittelstandsunion der CSU. Vielen Dank, Herr Michelbach, für das Gespräch.
Michelbach: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.