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Pilotenstreik
Streikrecht ändern oder nicht?

Ob der Pilotenausstand verhältnismäßig ist oder das Streikrecht geändert werden muss - da sind CDU-Fraktionsvize Vaatz und SPD-Arbeitnehmerpolitiker Barthel unterschiedlicher Meinung. Barthel betonte im DLF: "Mit dem Streikrecht sind wir sehr gut gefahren." Vaatz forderte dagegen Einschnitte.

    Mario Dobovisek: Eine Einigung gibt es im Öffentlichen Dienst, Kitas, Ämter, Busse und Bahnen werden also nicht weiter bestreikt. Allerdings treten die Piloten der Lufthansa und ihrer Tochter Germanwings in den Ausstand, ab heute bis zum Wochenende. Rund 3800 Flüge werden ausfallen, betroffen sind rund 425.000 Reisende, wie die Lufthansa mitteilt.
    Am Telefon begrüße ich Arnold Vaatz, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen, Herr Vaatz!
    Arnold Vaatz: Schönen guten Morgen.
    Dobovisek: 5400 Piloten streiken, 425.000 Passagiere bleiben am Boden – ist der Streik aus Ihrer Sicht verhältnismäßig?
    Vaatz: Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe da meine Zweifel, zumal ich eben auch Argumente gehört habe, die ich so nicht nachvollziehen kann. Wenn ein Pilot aus gesundheitlichen Gründen sein Amt oder seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann, dann muss er sofort aufhören. Das gilt auch für jemanden, der 40 ist, und das gilt auch für jemanden, der 35 ist, und dann kann er nicht in Rente gehen. Dann müssen andere Lösungen geschaffen werden, aber das ist nicht mein Problem. Das mögen die Tarifpartner aushandeln. Ich will mich in dieser Frage strikt neutral verhalten. Es geht mir nur um die Rahmenbedingungen für den Streik.
    "Es gibt auch eine Gemeinwohlverpflichtung"
    Dobovisek: Und welche Rahmenbedingungen kritisieren Sie da?
    Vaatz: Es gibt auf der einen Seite das Streikrecht. Es gibt auf derselben Seite die Koalitionsfreiheit. Das sind ganz wichtige Grundpfeiler unserer Demokratie. Es gibt die Tarifautonomie. Das ist eines der Erfolgsrezepte unseres Landes. Aber es gibt auf der anderen Seite auch eine Gemeinwohlverpflichtung, und ich halte es für absolut notwendig, dass diese Rechtsgüter in ein vernünftiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Das haben wir uns übrigens auch im Koalitionsvertrag so vorgenommen. Im Koalitionsvertrag steht drin, wir wollen die Tarifeinheit stärken. Das ist ein Satz, den wir alle unterschrieben haben, und ich erwarte, dass dem jetzt auch tatsächlich Schritte folgen.
    Dobovisek: Muss das Streikrecht geändert werden, Herr Vaatz?
    Vaatz: Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin Verkehrspolitiker.
    Dobovisek: Das haben Sie aber gestern gefordert.
    Vaatz: Nein, nein! Ich habe gesagt, wenn es untergesetzliche Möglichkeiten gibt, diese Rechtsgüter in Einklang zu bringen, bitte. Bisher war es allerdings nicht erfolgreich. Dann muss man allerdings auch so weit gehen und sagen, dass man die gesetzlichen Rahmenbedingungen unter Umständen verändern muss. Ob das jetzt bedeutet, dass an das Streikrecht rangegangen wird, ist eine ganz andere Frage. Das Streikrecht muss selbstverständlich bestehen bleiben. Aber die Rahmenbedingungen für Streiks, die müssen selbstverständlich überdacht werden, sodass alle Rechtsgüter nebeneinander gleichberechtigt existieren können.
    Dobovisek: Holen wir einen Koalitionskollegen von Ihnen mit hinzu in unser Gespräch, Herr Vaatz.
    Vaatz: Gerne!
    Dobovisek: Nämlich Klaus Barthel. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD. Ich grüße Sie, Herr Barthel!
    Klaus Barthel: Guten Morgen!
    Dobovisek: Sind die Rechtsgüter Gemeinwohlverpflichtung und Streikrecht miteinander vereinbar?
    Barthel ist "sehr vorsichtig", am Streikrecht herumzubasteln
    Barthel: Ja aber sicher, weil wir ja gesehen haben in der Geschichte der Bundesrepublik, dass wir mit dem Streikrecht und der Koalitionsfreiheit sehr gut gefahren sind und dass auf die Dauer sich das sehr gut verträgt, und ich wäre sehr vorsichtig, irgendwie am Streikrecht herumbasteln zu wollen.
    Dobovisek: Vorsichtiger als Herr Vaatz?
    Barthel: Ja, auf jeden Fall! Die Aussagen sind ja sehr unklar, weil es auch noch keine genaue Vorstellung darüber gibt, wie wir diesen Auftrag des Koalitionsvertrages umsetzen wollen. Da wird ja schon seit Jahren drüber geredet, aber wie das konkret aussehen kann, die Tarifeinheit in einem Betrieb zu stärken, ohne das Streikrecht wirklich einzuschränken, das ist noch sehr, sehr unklar, und deswegen muss man auch sehr vorsichtig sein, jetzt einen Streik von Piloten zum Anlass zu nehmen, irgendwie das Streikrecht infrage zu stellen.
    Dobovisek: Fragen wir noch einmal Herrn Vaatz von der CDU. Gemeinwohlverpflichtung – wo sehen Sie die beeinträchtigt im Pilotenstreik?
    Vaatz: Ich sehe sie prinzipiell dadurch beeinträchtigt, dass sich in den letzten Jahren die Gewerkschaftslandschaft immer weiter diversifiziert hat. Wir haben eine Atomisierung von Gewerkschaften und insbesondere Gewerkschaften in Schlüsselstellungen nutzen ihre Stärke rigoros aus, um in eine Tarifführerschaft zu gelangen. Das ist korrekt! Ich mache den Gewerkschaften nicht den geringsten Vorwurf, dass sie das tun. Sie verhalten sich im Rahmen des Gesetzes. Aber der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass da eine bestimmte Ordnung, die das Gemeinwohl nicht gefährdet, herrscht.
    Dobovisek: Sollten also Piloten und Lokführer keine eigene Gewerkschaft mehr haben dürfen?
    "Koalitionsfreiheit will ich nicht antasten"
    Vaatz: Nein, nein! Ich habe gesagt, die Koalitionsfreiheit will ich nicht antasten. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Es gibt ja schon Einschränkungen des Streikrechts, zum Beispiel die Friedenspflicht. Das Problem ist, dass wir jetzt durch unterschiedliche Vertragslaufzeiten völlig asynchrone Friedenspflichten haben. Wenn die in einer ungünstigen Konstellation zueinander stehen, dann kann es im ungünstigen Falle so sein, dass ganze Logistikketten in diesem Land stillstehen, und zwar für längere Zeit, und dass es schließlich volkswirtschaftliche Schäden gibt, die keine der streikenden Parteien will, erst recht nicht verantworten will. Demzufolge muss hier der Gesetzgeber meines Erachtens aktiv werden und muss dafür sorgen, dass es eine gewisse Grundordnung gibt, die die absoluten Lebensnerven der Gemeinschaft nicht ins Stocken bringt.
    Dobovisek: Sprich lebenswichtige Bereiche dürfen dann nicht mehr streiken?
    Vaatz: Nein! Das bedeutet das nicht, sondern es bedeutet, dass sie selbstverständlich streiken dürfen, aber dass die Zeiten, die Randbedingungen so gestaltet werden, dass dadurch kein von keiner Seite gewollter Schaden entsteht. Das bedeutet das.
    Dobovisek: Noch einmal Herr Barthel von der SPD. Können Sie mit diesen Ideen etwas anfangen?
    Barthel: "Worauf soll das hinauslaufen?"
    Barthel: Mir ist immer noch nicht klar, worauf das hinauslaufen soll, denn das Problem ist doch – und das haben die Arbeitgeber selber herbeigeführt -, dass sie unterschiedliche Beschäftigtengruppen auch sehr stark unterschiedlich behandeln, zum Beispiel Stammbelegschaften, sogenannte Randbelegschaften, und dadurch ist die Zersplitterung der Tariflandschaft vorangeschritten. Aber das über den Weg des Streikrechts jetzt wieder einfangen zu wollen, ist sehr schwierig, und auch das mit der Verhältnismäßigkeit ist sehr schwierig, denn man muss ja auch mal sagen, wir regen uns jetzt alle wahnsinnig auf über den Pilotenstreik. Das betrifft Hunderttausende von Flugpassagieren. Aber es gibt ja Millionen Menschen zum Beispiel, die auch betroffen davon waren, als öffentliche Verkehrsmittel gestreikt haben,…
    Dobovisek: Wenn zum Beispiel Kitas geschlossen sind, die Busse nicht fahren.
    Barthel: Genau. Das gibt weniger spektakuläre Bilder und es trifft auch Menschen in ihrem Alltag, die nicht so wirkungsmächtig sind wie Fluggäste. Also man kommt da bei der Frage der Verhältnismäßigkeit sehr schnell in den Wald und ich kann da nur warnen, deswegen an das Streikrecht heranzugehen.
    Was wir in der Tat überlegen müssen ist, wie wir es schaffen, dass das Problem, was Herr Vaatz beschreibt, dass bestimmte Gruppen sich aus der Solidarität der Beschäftigten herausziehen und ihre Sonderstellung benutzen, wie wir das einfangen können. Aber das muss ein Prozess sein, wo sich alle noch mal an den Tisch setzen müssen und wo auch jetzt nicht irgendjemand dann untergebuttert werden darf. Denn wie gesagt: Das Recht, sich zu organisieren, und zwar auch zu organisieren in einer Vereinigung, wo man will, das dürfen wir nicht antasten.
    Dobovisek: Herr Vaatz, Sie möchten reagieren.
    Vaatz: Ja. – Herr Barthel, das finde ich alles ganz okay, was Sie sagen. Nur das Problem ist: Wir haben beide unterschrieben, dass wir die Tarifeinheit wollen, und demzufolge müssen wir auch schon gegenüber dem Wähler und gegenüber den Bürgern erklären, an welcher Stelle wir jetzt aktiv werden wollen. Und wenn wir einen solchen Streik wie den jetzigen nicht dazu zum Anlass nehmen, da zumindest mal drüber nachzudenken, in eine Diskussion einzutreten, und mit dem Ziel, tatsächlich was zu ändern, glaube ich, geht es keinen Schritt vorwärts. Und dann haben Sie ein wichtiges Argument genannt, was ich voll unterstütze. Es gibt eine wirkliche dramatische Ungleichwertigkeit. Es gibt Gewerkschaften, die sitzen an Schlüsselstellungen, können aus dem Grunde im Grunde ganze Industriezweige lahmlegen, mit ganz wenigen Personen übrigens, und es gibt welche, die nicht im entferntesten dieselbe Wirkung erzielen.
    Dobovisek: Machen wir es doch mal bitte, Herr Vaatz, ganz konkret. Ein konkretes Beispiel: Mit schmutzigen Flugzeugen könnte man trotzdem von A nach B kommen. Hieße das, dass die Putzkolonnen streiken dürfen, die Piloten aber nicht?
    Nicht Vaatz' Denkweise
    Vaatz: Nein, nein! Das heißt das nicht, sondern wir müssen einfach feststellen, dass es unterschiedliche Stärken gibt, was die Wirkung betrifft. Es kann nicht so sein, dass daraus eine systematische Ungerechtigkeit in Bezug auf die Erfolgsträchtigkeit von Streiks entsteht. Darüber müssen wir nachdenken. Ich will nicht solche Schwarz-Weiß-Geschichten, die einen dürfen streiken, die anderen dürfen nicht streiken. Das ist überhaupt nicht meine Denkweise und auch nicht mein Ziel. Ich möchte nur, dass diese Handicaps, die entstanden sind aufgrund der Tatsache, dass manche an Schlüsselstellungen sind, andere nicht an Schlüsselstellungen, dass die von der Politik erst mal zur Kenntnis genommen werden und dass wir dann überlegen, wie können wir eine Ordnung in die ganze Geschichte reinbringen, sodass auch die weniger an Schlüsselstellungen sitzenden Gewerkschaften eine Chance haben.
    Dobovisek: Herr Barthel (SPD), könnten unterschiedliche Berufsgruppen verschieden gewertet, gewichtet werden?
    Schwer, das im richtigen Leben umzusetzen
    Barthel: Da sehe ich überhaupt keinen Weg hin, denn ein Streik hat immer Folgen und betrifft immer jemand. Natürlich haben einzelne Gruppen da eine besondere Wirkungsmacht, aber davon machen Gewerkschaften immer wieder Gebrauch. Und wie gesagt, das ist letzten Endes nicht handhabbar, jetzt hier Unterschiede aufmachen zu wollen. Ich will nur noch mal sagen: Einen wesentlichen Schritt zum Beispiel zur Stärkung der Tarifeinheit machen wir ja jetzt in den nächsten Wochen. Das Gesetz wird jetzt heute auf den Weg gebracht, wo wir zum Beispiel sagen, es wird in Zukunft wesentlich einfacher sein, einen Tarifvertrag für allgemein verbindlich zu erklären für ganze Branchen, für die ganze Republik, und Unterschiede von verschiedenen Gruppen und Regionen und organisierten Bereichen bei den Arbeitgebern aufzuheben und wieder dem Tarifvertrag mehr Wirkung, mehr Geltung zu verschaffen. Das ist auch ein wesentlicher Punkt, der im Koalitionsvertrag gemeint ist. Und wie gesagt: Bei den anderen Themen – die werden ja auch immer wieder von Arbeitgeberseite gefordert -, die im Grunde de facto Einschränkung des Streikrechtes, das hört sich alles sehr gut an, aber wenn man sich es genauer betrachtet, findet man ganz schwer einen Weg, das merken Sie auch an der Argumentation von Herrn Vaatz, das im richtigen Leben umzusetzen. Und die Frage der Verhältnismäßigkeit zum Beispiel ist ja auch schon durch Richterrecht immer wieder entschieden worden, und da gibt es eine gut entwickelte Rechtsprechung.
    Dobovisek: Herr Vaatz, Sie hatten das erste Wort, Klaus Barthel das letzte. – Arnold Vaatz ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag und Klaus Barthel eben dort Abgeordneter der SPD und Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels seiner Partei. Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.
    Vaatz: Ich bedanke mich!
    Barthel: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.