Drei Kinder stehen auf Zehenspitzen vor dem Fenster und versuchen herauszufinden, woher die Geräusche kommen. Drinnen ist es heiß, knapp 40 Grad die Ventilatoren an der Decke kommen kaum gegen die Hitze an. Drei Männer, drei Frauen sitzen in einem Kreis, jeder hält in der Hand ein Musikinstrument.
"Schließt jetzt Eure Augen und versucht euch zu konzentrieren. Denkt zum Beispiel an ein Bild. Und wer sich konzentriert hat, der fängt an zu spielen. Findet euren Klang. Einen ganz eigenen Klang. Den Klang, den du gerade haben möchtest."
Trommelschläge, Regengeräusche, Flötentöne
Langsam füllt sich die Luft mit Klängen - Trommelschläge, Regengeräusche, Flötentöne. Erst einzeln und unzusammenhängend tasten sich die Instrumente vor, dann entstehen die ersten Rhythmen.
Bis die Leiterin das Zeichen zum Aufwachen gibt:
"Öffnet nun langsam Eure Augen und kehrt zurück in den Klassenraum."
Die Instrumente verstummen. Der Reihe nach öffnen die Kursteilnehmer ihre Augen und erzählen, was sie zu ihrem jeweiligen Rhythmus motiviert hat.
"Ich hatte so ein Bild im Kopf, dass ich zum Fluss gelaufen bin, in die Berge. Erst habe ich den Fluss durchquert und dann die Berge bewundert. Ich bin langsam gelaufen und habe versucht, den Klang der Gegend wahrzunehmen. Es war sehr friedlich. Der Klang der Wellen."
"Und wie fühlst Du Dich jetzt?"
"Gut, sehr gut. Das habe ich gebraucht."
Ausbildung zu Musiktherapeuten
Esperança Olivia Tivane ist eine von vier junge Menschen, die sich jedes Wochenende in einer Grundschule in Maputo treffen, um sich zu Musiktherapeuten ausbilden zu lassen. Ein bisher unbekannter Beruf in ihrem Land. Auch Esperanca Tivane war am Anfang sehr skeptisch, erzählt sie, bis sie an ihrer ersten Therapiestunde teilnahm.
"Das war ganz schön heftig. Jeder Klang den ich mit meinem Instrument machte, brachte mir ein anderes unschönes Bild - meine ganze Kindheit zog an mir vorbei - das war schwer für mich."
Denn nachdem ihr Vater gestorben und die Mutter sie hatte sitzen lassen, wuchs Esperanca Tivane bei ihrer Großmutter auf. Mit 17 wurde sie schwanger, musste die Schule aufgeben, sich um den Haushalt kümmern.
"Heute merke ich, dass in dieser ersten musiktherapeutischen Stunde all die Sachen in mir hochgekommen sind, die ich für immer vergessen wollte. Gedanken, wegen derer ich mich fast umgebracht hätte."
Häusliche Gewalt gehört für viele zum Alltag
Und Gedanken, mit denen Esperanca Tivane nicht alleine ist. Frauen haben es in Mosambik besonders schwer. Jede zweite wird noch vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, nicht einmal die Hälfte kann lesen und schreiben. Häusliche Gewalt gehört für viele zum Alltag, die psychische Belastung ist enorm.
"In der Musiktherapie habe ich einen Weg gefunden, meine Probleme nicht in mich hinein zu fressen, sondern sie frei- und damit auch ein Stück weit gehen zu lassen – und das will ich an meine Patienten weitergeben."
Vormittags sitzen die jungen Menschen im Klassenraum, nachmittags arbeiten sie mit den Kindern des Viertels. Die Idee kam der italienischen Ärztin und Psychotherapeutin Valentina Gianni, die schon seit mehr als zehn Jahren in Mosambik arbeitet. Sie gründete mehrere Projekte, bei denen Kinder mit Kunsthandwerk oder Theater Selbstbewusstsein aufbauen konnten.
"Hier in Mafalala gibt es sehr viele Kinder, die sich nur schwer oder gar nicht konzentrieren können. Daher sind sie häufig gezwungen, die Schule zu verlassen. Das hat bei den meisten mit einer schwierigen oder gar traumatischen Familiengeschichte zu tun. Dann stehen sie unter so einem Druck, dass sie aggressiv werden und sich komplett verlieren."
Kindern mit Musik helfen
Mafalala ist ein Vorort der mosambikanischen Hauptstadt Maputo. Hier gibt es kaum befestigte Straßen, die Häuser bestehen aus Holz und Blech – immer noch so, wie es die Portugiesen einst verordnet hatten, um die Menschen mühelos an andere Ort verfrachten zu können. Bis heute ist die Kanalisation ein Problem. Keine gute Umgebung für eine behütete Kindheit. Valentina Gianni:
"So entstand die Idee, dass wir den Kindern mit Musik helfen wollen, sich auszudrücken und dabei ihre eigenen, verdrängten Gefühle frei zu lassen. So dass sie im besten Falle lernen, damit umzugehen."
Dafür brauchen die Kinder übrigens weder Klavier noch Gitarre lernen. Die Musikinstrumente kommen aus der Lebensrealität der Kinder.
"Am Ende ihrer Ausbildung machen die Teilnehmenden einen Workshop in Italien, bei dem sie auch ein Projekt als Abschlussarbeit vorstellen und ein Zertifikat mit nach Hause nehmen."
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie mit diesem Zertifikat auch den Beruf des Musiktherapeuten ausüben können - die ersten mosambikanischen Hochschulen interessieren sich bereits für das Konzept. Denn Musiktherapie ist eine günstige und schnelle realisierbare Alternative für ein Land, in dem es für psychische Erkrankungen kaum professionelle Hilfe gibt.