Beatrix Novy: Eine Intendantin hatte mit der Klage gegen ihre Kündigung Erfolg, nämlich Adolphe Binder, eine andere ist bereits ernannt, nämlich Bettina Wagner-Bergelt - da ist noch allerhand zu klären beim Tanztheater Wuppertal. Aber gestern hat der Rat der Stadt Wuppertal beschlossen: Die Stadt bekommt etwas ganz Neues - ein Pina-Bausch-Zentrum. Für 58,4 Millionen, von Bund, Land und Stadt zusammengelegt, soll es endlich den Ort geben, an dem das Erbe der großen Choreographin gepflegt wird. Das klingt mal nach einer guten Nachricht, nach so vielen weniger guten. Aber ist es in diesem Kuddelmuddel, da noch nichts entschieden ist, eine gute Idee, sich auch noch an ein Pina Bausch-Zentrum zu wagen?, habe ich Elisabeth Nehring gefragt.
Elisabeth Nehring: Ich sage mal als Tanzkritikerin: Eine Entscheidung, den Tanz institutionell zu sichern - vor allen Dingen, wenn Gelder aus verschiedenen Quellen dafür fließen, wie in diesem Fall –, das ist in jedem Fall als Tatsache erstmal begrüßenswert. Schöner wär’s ja noch gewesen, wenn gestern in der Ratssitzung auch zumindest ein Körnchen Selbstkritik mitgeschwungen wäre angesichts der Vorgänge der letzten Zeit. Das war aber nicht so.
Novy: Hat denn das Renommee des Tanztheaters unter diesen Auseinandersetzungen der letzten Zeit gelitten?
Nehring: Das Renommee der Kompagnie hat, denke ich, nicht gelitten. Wenn man sich die Aufführungen anschaut, kann man ja nur staunen, zu welchen Leistungen und welcher Professionalität diese Kompagnie auch in chaotischen Situationen noch in der Lage ist. Gelitten haben aber sicher die Tänzerinnen und Tänzer. Für die war das natürlich eine sehr schmerzhafte und auch spaltende und verunsichernde Zeit. Eine Zeit, von der einige sagen: "Mit uns wird nie gesprochen. Wir erfahren alles aus der Presse - und zwar sowohl, wenn eine Intendantin abgesetzt wird als auch, wenn eine neue eingesetzt wird." Auch davon wurden die Tänzerinnen und Tänzer ja überrascht.
Das Vertrauen hat gelitten
Gelitten hat, so ein langjähriger Tänzer, der das mehrfach gesagt hat, das Vertrauen, dass die Verantwortlichen des Tanztheaters - also die Leitungsebene, die Geschäftsführung vor allem, aber auch der Beirat, der so etwas sein sollte wie ein Kontrollgremium, und die Verantwortlichen der Stadt – das Ruder wirklich in der Hand gehabt haben und alles dafür getan haben, dass es zu einer für alle befriedigenden Lösung kommt. Und ich will nochmal anmerken, dass ja sogar der Richter, der sich mit den vielen hundert Seiten angeblicher Verfehlungen Adolphe Binders beschäftigt hat, zu dem Schluss kam, dass die Intendantin nicht ausreichend von der Geschäftsführung unterstützt wurde.
Novy: Sie haben ja von den Verantwortlichen gesprochen. Welche Rolle spielt denn Ihrer Meinung nach die Wuppertaler Lokalpolitik in diesem ganzen Prozess?
Nehring: Im Detail ist das von außen schwer zu beurteilen. Nach dem jetzigen Stand des Wissens würde ich sagen: auf jeden Fall mindestens keine deeskalierende, im Gegenteil. Es ist auf jeden Fall ein Prozess gewesen, der mich zu bestimmten Fragen bringt, wie: Ob hinter den Kulissen nicht nur ein Konflikt zwischen Intendantin und Geschäftsführung oder Leitungsebene gelaufen ist? Gab es unter Umständen Strategien, Adolphe Binder als Intendantin auch loszuwerden, zu demontieren? Wenn ja, warum? Was ist das Ziel? Das sind nicht nur meine Fragen, sondern die kommen vor allem von den Tänzerinnen und Tänzern, mit denen ich gesprochen habe. Das muss auf jeden Fall aufgeklärt werden, auch über den Punkt, an dem wir jetzt sind, hinaus.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch
Man kann sich nur mal die reinen Fakten anschauen, zum Beispiel die Einstellung eines Prokuristen von seitens der Stadt. Der sollte für die Geschäftsführung arbeiten und hatte offensichtlich die Aufgabe, Regeln für die Intendantin Adolphe Binder aufzustellen, die sie, wenn sie ihren Job richtig gut machen wollte, gar nicht einhalten konnte. Oder die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Wuppertal inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat gegen Ulrich Bieger, einen PR-Berater, der bis vor kurzem selbst für die Stadt Wuppertal, sogar für die Kommunikation des neuen Pina-Bausch-Zentrums, tätig war. Gegen den wird nun wegen Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ermittelt. Es wurde ja eine interne Akte mit den angeblichen Verfehlungen an die Presse durchgestochen. Davon haben wir schon viel gehört. Also, da gibt es wirklich eine Menge aufzuarbeiten.
Novy: Nun ist das die Situation ohnedies sehr merkwürdig: Wie soll es denn jetzt weitergehen mit diesen zwei Intendantinnen?
Nehring: Ja, es ist tatsächlich so, dass es jetzt im Moment zwei Intendantinnen gibt. Allerdings hat das Tanztheater Wuppertal gleich nach der Gerichtsentscheidung angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Das ist aus meiner Sicht aus zweierlei Gründen fatal: Erstens angesichts der Eindeutigkeit des Urteils. Der Richter hat ja wirklich keinen einzigen der Kündigungsgründe anerkannt. Und zweitens, das muss man hier auch mal erwähnen: Das kostet ja den Steuerzahler noch mehr, denn jetzt müssen ja zwei Intendantinnen bezahlt werden, jetzt ein Prozess. Finanziell betrachtet ist das Ganze ja sowieso ein komplettes Desaster.
Forderung nach Transparenz
Novy: Welche Bedeutung, um das nochmal abschließend zu sagen, hat denn das Pina-Bausch-Zentrum nun für den Tanzstandort NRW, beziehungsweise: Wird es in Zukunft haben?
Nehring: Da sage ich als Berlinerin: Das ist ja bereits die dritte Institution für Tanz, die sich NRW leistet. Und davon können wir hier nur träumen. Also das ist schon mal eine gute Sache. Diese Konstruktion des Pina-Bausch-Zentrums beruht ja auf vier Säulen: Einmal ist es das Tanztheater, dann die Pina Bausch Foundation, die den künstlerischen Nachlass der Choreographin verwaltet. Dann soll es ein Produktionszentrum geben, an dem Choreographen von außerhalb arbeiten können. Und das so genannte - als vierte Säule - Forum Wupperbogen, ein Forum für Bürgerbeteiligung. Es liegen also sehr große planerische und bauliche Aufgaben vor der Stadt Wuppertal. Umso wichtiger erscheint es, dass mit dem, was nun ganz offensichtlich schiefgelaufen ist und auch immer noch schiefläuft, transparent umgegangen wird und vor allem mit dem Willen zur Aufklärung.
(*) In der Sendung "Kultur heute" vom 15. August haben wir in den Kulturnachrichten über die weitere Entwicklung der Angelegenheit berichtet:
"Im Rechtsstreit um die Leitung des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch und seine ehemalige Leiterin Adolphe Binder gibt es eine neue Entwicklung. Binder war im Juli 2018 von der Stadt entlassen worden – aus einer Reihe von Vorwürfen, die in einem internen Papier zusammengefasst und lokalen Medien zugespielt worden waren. Wer dahinter steckte, war angeblich nicht bekannt. Ein PR-Berater der Stadt, Ulrich Bieger, der die Informationen weiter gegeben haben soll, hatte gegen entsprechende Berichte geklagt. Nun berichtet der Westdeutsche Rundfunk, der inzwischen in Berlin lebende Bieger habe nicht nur eingestanden, das Vorwürfe-Papier in Auftrag gegeben und der Presse zugespielt zu haben. Darüber seien auch der städtische Kulturdezernent und der Oberbürgermeister informiert gewesen. Das Verfahren gegen den PR-Berater wegen Geheimnisverrats hat die Staatsanwaltschaft genau deshalb eingestellt: Es habe gar kein Geheimnis gegeben. Die Stadtspitze war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Wenn das alles so stimmt, hat die Wuppertaler Kulturbürokratie allerdings ein echtes Problem. Das arbeitsrechtliche Verfahren um die in erster Instanz für unrechtmäßig erklärte Kündigung von Adolphe Binder wird in der kommenden Woche fortgesetzt. Sie bezieht schon jetzt weiter Gehalt von der Stadt."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.