Mit ihrem Entschluss, dem Freistaat Bayern 375 Medienkunstwerke zu schenken, hat die Sammlerin Ingvild Goetz den Standort München über Nacht auf eine Stufe mit London und Paris gepusht – jedenfalls, was die elektronische Kunst angeht. Und die Bayern wollen mit dem Neubesitz auch ein bisschen wuchern. Die Ausstellung mit dem Titel "Creating Realities", die jetzt scheinbar bescheiden mit fünf großen Video-Installationen beginnt, soll bis April um drei weitere Kapitel ergänzt werden und dann vier riesige Ausstellungssäle in der Pinakothek der Moderne und im benachbarte Museum Brandhorst bespielen.
Das ist eine Art Machtübernahme der Medienkunst in zwei Häusern, die sonst eher der klassischen Moderne huldigen. Untersucht wird mit diesem Ausstellungsreigen das Verhältnis von Kunst und Kino, freilich nur in eine Richtung: Videokünstler haben sich schon immer am Autoren- und auch am Hollywoodfilm abgearbeitet, sagt Kurator Bernhart Schwenk. Aber nur, um im Museum dann ganz anderes zu machen.
"Ich denke, dass Medienkünstler von Anbeginn an immer wieder das Kino als Referenzpunkt genommen haben. Dass sie bestimmte Bildtraditionen aufgenommen und verarbeitet haben, dass sie Erzählweisen sich angeeignet haben und sie verändert und überschritten haben."
Der Unterschied liegt in der narrativen Struktur. Der Spielfilm muss eine Geschichte erzählen und leidlich unterhalten, der Videokünstler hat völlig freie Bahn für seine Loops, die meist ganz enge, skulpturale, statische Situationen untersuchen, Gesten, Gesichter, Landschaften betrachten und das oft ins Irreale kippen lassen. Der Münchner Kurator verschärft diesen Gegensatz noch, indem er in diesem ersten Kapitel lauter Arbeiten zeigt, die das Schweigen zum Programm erhoben haben. Kein Wort, nur Geräusche, Sounds, höchstens mal der Lärmteppich eines Restaurants.
Offensive Sprachlosigkeit. Andererseits lassen die gezeigten Arbeiten immer wieder Filmgeschichte durchscheinen. Gleich das erste, an eine große Wand projizierte Video des Chinesen Yang Fudong aus dem Jahr 2004 ist unverkennbar an Truffauts "Jules et Jim" angelehnt. Die Dreiecksgeschichte spielt aber nun auf einem Boot in einer asiatischen Flusslandschaft – zwei schüchterne Männer im Matrosenanzug, eine Frau in kitschigem rosa Kleid.
"A Question of Silence" des Dänen Jesper Just arbeitet mit den gefrorenen, traurigen Gesichtern, die man von Ingmar Bergman kennt: ein älteres Paar in einem Wartesaal, teilnahmslos. Eine verstümmelte Puppe scheint das Erleben der Frau zu spiegeln. Auf einmal fehlen auch der Frau die Beine, aber sie beginnt zu singen und löst sich damit aus ihrer Erstarrung. Es ist wie bei Bunuel, rätselhaft und offen ...
Viele dieser Filme sind allerdings auf eine speziell gebaute Installation angewiesen –am deutlichsten bei Ulla von Brandenburg, wo man sich durch einen Wald aus bunten Tüchern hindurchkämpft und dabei schon das Surren eines 16-Millimeter-Projektors hört. Der Film selber führt uns durch ein von steifen Gestalten bevölkertes Barockschloss. Das einzige, das sich bewegt, ist die Kamera – in seiner Einsamkeit und der Künstlichkeit des Arrangements gemahnt das alles an Alain Resnais' "Letztes Jahr in Marienbad".
In einer Mehrfachprojektion zeigt uns Sam Taylor-Wood die misslingende Kommunikation eines Paares in einem großen Restaurant, mimische Details werden herausgehoben, darüber das Sprachgewirr des Saales. Und Sven Johne führt uns an den leeren grauen Ostseestrand von Elmenhorst – Tausende von DDR-Bürgern versuchten hier die Flucht übers Meer. Im Video stehen Vater und Sohn melancholisch an der See, der Sohn ballert mit einem Gewehr in die Flut – wie offenbar früher der Vater, der als Grenzer auf die Flüchtenden schoss. Das ist die politischste Arbeit dieser Ausstellung, die sich in den noch kommenden Kapiteln mit Multiperspektivität, der fragmentierten Wahrnehmung und Bildern des Internet auseinandersetzen will. Bildkonventionen also, die mit dem Erzählkino nur peripher zu tun haben.