Erstmals in meinem Leben in den Reisenotizen "erfahre" ich die mächtigen Dolomiten, sehe die aufregenden Dreitausender, zum Greifen nahe. Wir kommen auch am Wintersportort Cortina d' Ampezzo vorbei. 1956 wird das vormals ärmliche Holzfällerdorf und seine Umgebung ... zum mondänen Austragungsort der Olympischen Winterspiele hoch zementiert. Ski-Zirkus auf den Brettern, die hier die Welt bedeuten.
Auf kurvigen Straßen ... 30 Kilometer weiter und südlicher ... erreichen wir, immer noch in den Dolomiten, Pieve di Cadore. Es besteht aus mehreren zu einer Gesamtgemeinde verheiratete Ortschaften. Und ich lese in meinem Reiseführer ...
Pieve di Cadore liegt am Zusammenfluss der Piave und der Boite, die von Cortina herunter kommt. Ab 1420 gehört der Gebirgsort zur Republik Venedig, mit dem Markuslöwen im Wappen. Hier war etwa die nördliche Grenze Venedigs. Pieve di Cadore war deswegen mit einer hoch gelegenen Festung bewehrt.
Der Ort liegt eng in Terrassen und Serpentinen an einen Berghang geklebt. Freie Parkplätze? Ein Tennisclub mitten im Ortszentrum, in bester Lage. Der Verein nennt sich schick und dick mit roter Farbe gepinselt "Tiziano". Wird hier vor gut 500 Jahren ein vielleicht damals 10 jähriger Knirps schon den Schläger geschwungen haben? In den Annalen steht nur Jung-Tizian habe talentiert den Pinsel geschwungen. So verbuchen wir unsere erste Begegnung mit dem großen Sohn des Ortes.
Das zweistöckige Geburtshaus von Tizian ist heute ein kleines Museum. Es zeigt einige Handschriften, Reproduktionen von Gemälden. Tizian porträtiert römische Päpste, venezianische Dogen, Deutsche Kaiser, wunderschöne Madonnen, mit- und ohne Jesuskind neben nackten Liebesgöttinnen. Tizian malt biblische Themen, Todeskrämpfe am Kreuz neben freizügigem allegorischem Ringelpiez mit Anfassen. Und er soll ein Meister der Farben und der Lichtregie gewesen sein. Wieso hier kein echter Tiziano hängt? In meiner Vorbereitung auf Tizian las ich eine kleine Notiz ...
Das Kunstauktionshaus Sotheby in New York hat dieser Tage einen Tizian versteigert. Die Auktion bringt 12,3 Millionen Euro für seine "Madonna mit dem Kinde und dem heiligen Lucas."
12,3 Millionen. Da ist ein kleines Museum an der Piave heillos überfordert. Immerhin haben sie "einen" Tizian in der Pfarrkirche. Da kommen wir noch hin.
Und wieder draußen denken wir uns 500 Jahre zurück. Die Familie Vecellio, das ist der Nachnamen Tizians, hier in diesem Örtchen mit damals vielleicht 500 Seelen? Christian Ulrich:
"Eine Familie des sogenannten niederen Adels. Tizians Vater ist ein Hauptmann auf der venezianischen Festung, ein angesehenes Magistratsmitglied. Gleichzeitig betreibt er einen Holzhandel mit Venedig. Die Lagunenstadt stand ja, man kann auch sagen schwimmt ja zu einem großen Teil auf mächtigen Holzpfählen. Venedig ist -damals- dreimal so groß wie das heilige Köln, der größten Stadt nördlich der Alpen. Zusätzlich hat Venedig enormen Holzbedarf wegen der venezianischen Schiffswerften. Venedig gründet ja seinen politischen Rang auf seine Handels- und auf seine Kriegsflotte. Außerdem braucht Venedig als eine Welthauptstadt des damaligen Buchhandels viel Papier, also Holz. Auch die Holzschnitzer, auch die Maler, auch ein Tizian und ein Dürer brauchen viel Papier für ihre Skizzen. Ihre Körperstudien auf denen sie die Köpfe, die Gesichtszüge, und die Körperproportionen für das Bilder - Personal unter dem Golgatha-Kreuz ausprobieren und studieren."
Und wir haben hier oben einen geradezu märchenhaften Blick tief in die Schlucht runter, wo sich die beiden Flüsse zusammentun, einen See bilden. Dieser Blick müsste ja auch einen visuellen Menschen wie Tizian zu einem Landschaftsbild gereizt haben, denkt man. Aber bis er das denken kann, ist der kleine Tizian schon über alle Berge der Dolomiten. Er ist unterwegs, als geschätzt 10- oder 12-Jähriger nach Venedig. Ein paar Abschiedstränen. Das frühe Abschiednehmen vom Elternhaus ist damals gängig. Die einen gehen in Klosterschulen, andere hoffen auf eine Anstellung in den großen Häusern von Venedig, wieder andere gehen in der Stadt des Lasters auf den Strich oder sind mit 14 schon verheiratet. Heute darf man mit 14 grade etwas Mofa fahren. So kommt der junge Tizian also zu einem Onkel in diese schwimmende Weltstadt mit orientalischem Flair, wie ein gewisser "Alberto Durero", alias Albrecht Dürer, Alberto Durero wahrnimmt.
Zurück auf die große Piazza Tiziano, mit dem alten Rathaus und der Kirche. Hier triumphiert Tizian von seinem sehr würdigen Denkmal herab, blickt über den Betrachter hinweg in großer Geste in Richtung Süden Venedig, Rom, Florenz. Christian Ulrich:
"In den Händen hält er die Markenzeichen seiner Weltgeltung, Pinsel, ein Tableau, auf dem er seine Farben mischt. Er ist auf dem Denkmal schon in der herausgehobenen Position des "offiziellen Malers der Republik Venedig" abgebildet. Und er avanciert dann ja auch zum Hofmaler des spanisch-habsburgischen Kaiserhauses. "
Was sagt uns das? Sie (Herr Ulrich) haben auch ein kleine Kopie eines Bildes eines weniger bekannten Malers dabei.
Christian Ulrich:
"Abgebildet ist Kaiser Karl V., er hat politisch grade den Schmalkaldischen Bund besiegt und will als Sieger über die deutschen Protestanten in schwierigen politischen Zeiten auf einem Reichstag in Augsburg auftreten. Macht zeigen. Und dieser Karl V. besucht auf diesem Bild mit höfischer Entourage den etwa 60 Jahre alten Tizian. Das müsste in Augsburg gewesen sein, wohin ihn der Kaiser damals bestellt- oder eingeladen hat. Und dem großen Tizian fällt da der Pinsel aus der Hand, ob vor Schreck oder aus Schusseligkeit. Und der Kaiser höchstselbst bückt sich und hebt den Pinsel auf. Welch eine Geste, wenn sie denn real stattgefunden hat? "
Und Sie merken schon, liebe Mitspaziergänger, wir springen ja hier so von Cadore nach Augsburg, gleich wieder nach Venedig. Damit die Frage ... kann man den Tizian überhaupt -hier- in seinem Geburtsort kennenlernen? Wäre man nicht besser in den Museen von Venedig oder Florenz auf-gehoben? Tizian, lese ich, gibt es weltweit auf 128 Museen verteilt. Wie oft hängt er in Deutschland?
Christian Ulrich:
"Mir ist der Zwinger in Dresden und die Alte Pinakothek in München bekannt. Und ein Selbstbildnis von Tizian hängt in Berlin. Speziell Dresden zeigt einen Tizian, der sehr viel über die Inszenierung seiner Bilder aussagt. Ich habe es hier in kleiner Kopie dabei. Das Bild heißt der "Zinsgroschen". Ein biblisches Motiv zeigt Jesus, der von einem Pharisäer auf die Probe gestellt wird. Man will ihn aufs Kreuz legen, damit man ihm etwas anhängen kann. Die Quintessenz ist dieses bekannte Zitat, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gib Gott, was für Gott ist. Nun sehen Sie mal die heimtückische Anmache des Pharisäers. Er hält in der Hand zwei Münzen und versucht sie fast dem Jesus unterzujubeln. "
Ja und der Pharisäer versucht ihn quasi mit dem "Zinsgroschen" ja auch zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig zu machen. Ein auch heute ganz aktuelles Thema!
Christian Ulrich:
"Jesus greift aber nicht nach dem Geld. Und im Gegensatz zu dem wenig sympathisch wirkenden Pharisäer, von dem würde man keinen Gebrauchtwagen kaufen wollen sehen wir das Gesicht Jesu. Cool, ganz souverän. Es geht in diesem Tizianbild weniger um die Farben und die Kunst des Faltenwurfes der Gewänder. Hier ist es die Sprache der Augen. Es ist der in einem stummen Bild ja nicht aussprechbare Dialog. Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist. Bilder von Tizian oder Dürer haben ja keine Sprechblasen wie Comics. Tizian malt quasi den Dialog in die Gesichtszüge."
Und so könnte unser Städtchen in den Dolomiten eine Art Stichwortgeber, über Tizian sein. Und so möchte ich Sie, liebe Sonntagsspaziergänger im Radio, zu Ihrer ganz persönlichen Tizianreise an Ihrem PC einladen. Klicken Sie sich doch Tizian an, klicken Sie einige seiner Bilder an. Machen Sie sich doch ihr eigenes Bild von Tizian. Oder nehmen Sie sich die Zeit zu einem Besuch in eine gute Stadtbibliothek. Es gibt hervorragende Bildbände zu Tizian.
Ein anderes Tizian-Beispiel habe ich mir hier aufgeschlagen. Gegen 1550 malt er in Venedig eine großformatige "Venus mit dem Orgelspieler".
Christian Ulrich:
"Ja sie liegt da hingebettet wie eine diplomierte Liebesgöttin, spielt mit einer Hand mit ihrem Hündchen. Ein Orgelspieler sitzt etwa zu ihren Füßen, greift in die Tasten seines Instrumentes. Und er dreht gleichzeitig den Kopf und die Schulter zu dem Körper der unbekleideten Göttin. Die erwidert aber seinen Blickkontakt nicht. Sie streichelt ja ihr Hündchen. Solche Bilderthemen wie "Venus" oder andere opulenten Weiblichkeiten, sind damals beliebte Sammlerobjekte der höheren Kreise. Und solche allegorischen Damen, die ihre Reize ungeniert ganz öffentlich dem Betrachter zeigen, malt Tizian quasi im Dutzend. Gehen weg wie geschnitten Brot. "
Ein Schelm, wer sich etwas dabei denkt. Dieses Motiv malt das Kleverle Tizian für einen bedeutenden Kunstsammler. Für den Kardinal Granvella, oder Granvelle wird er auch geschrieben, ein Staatsminister Karls V.. Als Erzbischof leitet Granvella später das kaiserliche Kabinett. Gönnen wir "seiner kunstsinnigen hochwürdigsten Eminenz" seine Venus. Und zu Gunsten des Künstlers Tizian darf man nur hoffen, dass der Kardinal das opulente Bild auch bezahlt. Denn die Tizians, die Dürers haben häufig ihre liebe Not bei ihren bisweilen klammen Gönnern ... an ihr vereinbartes Honorar zu kommen.
Christian Ulrich:
"Nebenbei bemerkt. Unser Albrecht Dürer war zur jener Zeit auch für 2 1/2 Jahre in Venedig in einer Art "Learning by Doing Praktikum", aber auf eigene Rechnung. Er muss ja von etwas leben. Dürer bekommt einen opulenten Auftrag. Sein berühmtes "Rosenkranz-fest". Er soll dafür hundert Gulden erhalten. Ein sehr gutes Honorar. Dann sehen die Auftraggeber, es ist eine Art "Deutsche Industrie und Handelskammer" in Venedig ... die sehen einen kolorierten Vorentwurf. Die deutschen Geschäftsleute, Händler und Banker sind begeistert und versprechen dem Dürer sogar 110 Gulden. Bekommen hat er schließlich 85 für sein berühmtestes Bild in der venezianischen Episode, das ihm zum Durchbruch in der Lagunenstadt wie auch später in Deutschland verhilft. "
Noch mal nachgeschoben zu dieser Venus und ihrem Orgelspieler. Man kann schließlich nicht einem Staatsminister des Kaisers den Gerichtsvollzieher oder einen muskulösen Inkassoeintreiber ins Palais schicken. Und wir sehen auch, was ein Tizian aus jener Zeit erzählen kann, wenn man die Leinwand nur beharrlich danach ausbefragt.
Sie zeigen mir hier Bilderkopien aus dem Tizian-Zyklus Mariä Himmelfahrt, Fachbegriff "Assunta"
Christian Ulrich:
"Glanzvolle Mariä Himmelfahrten sind damals in der grade beginnenden Gegen-reformation gegen den Protestantismus ein katholischer Verkaufsschlager. Himmelfahrt ist ja eine Triumphgeste. Wer richtig glaubt, kommt in den Himmel und hat die Gottesmutter als Fürsprecherin. Tizian und seine Werkstatt variieren das Thema Assunta rund 20 mal. Salopp könnte man annehmen, standen die Altarbilder vielleicht auf Vorrat schon halbfertig auf Halde und wurde nur noch mit einem kleinen Porträt der Mutter Gottes hinterher-schauenden adeligen Auftragsgebers und seiner Familie ergänzt. "
Und speziell aus deutscher Sicht betont, so kommt der Porträtkünstler Tizian auch sehr gerne der Einladung als Hofmaler der Habsburger nach. Es gibt ihm internationale Wichtigkeit. Die Habsburger sind zwar fast pleite, trotz der unermesslichen Goldreserven, die ihnen aus der neuen Welt, aus Mittel- und Südamerika angeschaufelt werden. Hier haben Sie Kopien einiger Tizian-Porträts von Kaiser Karl V. .
Christian Ulrich:
"Der Kaiser, er kann sich nicht daran satt sehen. Denn Tizian schönt die kaiserlichen Gesichtszüge. Die Habsburger Gesichter wurden seit einigen Generationen schon von einer wuchtigen, grotesken Kinnlade verunstaltet. Tizian aber zoomt ihm das Kinn fast weg, versteckt es in einen gut geschnittenen Kinnbart und dem aufwändigen Mantelkragen. "
Und nun betreten wir die Pfarrkirche, sie ist nicht aus der Zeit Tizians. Der Vor-Vorgängerbau wurde von Truppen Kaiser Maximilians niedergebrannt. Und in einer Seitenkapelle, die einem heiligen Bischof Tiziano geweiht ist, da hängt das einzige Originalgemälde von Tizian hier in diesem Ort.
Christian Ulrich:
"Wir sehen eine jugendliche Gottesmutter, die ihren Säugling an ihrer Brust nährt. Das Knäblein liegt ohne Heiligenschein nackt auf einem Kissen im Schoße seiner Mutter. In fromm besorgter Haltung kniet ein Bischof im festlichen Chormantel daneben. Hinter dem Bischof kniet ein älterer bärtiger Mann mit einem Hirtenstab. Das soll ein Selbstporträt Tizians sein."
Der Bischof Tiziano mit seiner imposanten Bischofsmütze und dem teuren Mantel, den stellt Tizian etwas "overdressed" in diese einfache bäuerliche Szenerie rein.
Und mein letztes Wort aus Pieve di Cadore habe ich abgekupfert:
Christian Ulrich:
"Übrigens, auch Tizian soll bei Dürer abgekupfert haben. Der Nürnberger malt in Venedig eine "Madonna mit dem Zeisig". Darauf sind abgebildet die Gottesmutter, der Jesusknabe und ein Johannesknabe, den Dürer mit goldenen Haaren darstellt. Und diesen Goldlockenkopf Johannes übernimmt der junge Tizian fast punktgenau mit goldenem Schopf in seinem Bild "Madonna mit den Kirschen:" Es ist heute in Wien zu sehen."
Dann kupfere ich jetzt freiweg von einem Tizian-Zeitgenossen und venezianischen Poeten ab. Er schreibt zu Tizian: "All, das, was ich mit großer Mühe über ihn gesagt habe, ist nur eine geringe Nachricht im Verhältnis zu der Göttlichkeit seiner Malerei"
Auf kurvigen Straßen ... 30 Kilometer weiter und südlicher ... erreichen wir, immer noch in den Dolomiten, Pieve di Cadore. Es besteht aus mehreren zu einer Gesamtgemeinde verheiratete Ortschaften. Und ich lese in meinem Reiseführer ...
Pieve di Cadore liegt am Zusammenfluss der Piave und der Boite, die von Cortina herunter kommt. Ab 1420 gehört der Gebirgsort zur Republik Venedig, mit dem Markuslöwen im Wappen. Hier war etwa die nördliche Grenze Venedigs. Pieve di Cadore war deswegen mit einer hoch gelegenen Festung bewehrt.
Der Ort liegt eng in Terrassen und Serpentinen an einen Berghang geklebt. Freie Parkplätze? Ein Tennisclub mitten im Ortszentrum, in bester Lage. Der Verein nennt sich schick und dick mit roter Farbe gepinselt "Tiziano". Wird hier vor gut 500 Jahren ein vielleicht damals 10 jähriger Knirps schon den Schläger geschwungen haben? In den Annalen steht nur Jung-Tizian habe talentiert den Pinsel geschwungen. So verbuchen wir unsere erste Begegnung mit dem großen Sohn des Ortes.
Das zweistöckige Geburtshaus von Tizian ist heute ein kleines Museum. Es zeigt einige Handschriften, Reproduktionen von Gemälden. Tizian porträtiert römische Päpste, venezianische Dogen, Deutsche Kaiser, wunderschöne Madonnen, mit- und ohne Jesuskind neben nackten Liebesgöttinnen. Tizian malt biblische Themen, Todeskrämpfe am Kreuz neben freizügigem allegorischem Ringelpiez mit Anfassen. Und er soll ein Meister der Farben und der Lichtregie gewesen sein. Wieso hier kein echter Tiziano hängt? In meiner Vorbereitung auf Tizian las ich eine kleine Notiz ...
Das Kunstauktionshaus Sotheby in New York hat dieser Tage einen Tizian versteigert. Die Auktion bringt 12,3 Millionen Euro für seine "Madonna mit dem Kinde und dem heiligen Lucas."
12,3 Millionen. Da ist ein kleines Museum an der Piave heillos überfordert. Immerhin haben sie "einen" Tizian in der Pfarrkirche. Da kommen wir noch hin.
Und wieder draußen denken wir uns 500 Jahre zurück. Die Familie Vecellio, das ist der Nachnamen Tizians, hier in diesem Örtchen mit damals vielleicht 500 Seelen? Christian Ulrich:
"Eine Familie des sogenannten niederen Adels. Tizians Vater ist ein Hauptmann auf der venezianischen Festung, ein angesehenes Magistratsmitglied. Gleichzeitig betreibt er einen Holzhandel mit Venedig. Die Lagunenstadt stand ja, man kann auch sagen schwimmt ja zu einem großen Teil auf mächtigen Holzpfählen. Venedig ist -damals- dreimal so groß wie das heilige Köln, der größten Stadt nördlich der Alpen. Zusätzlich hat Venedig enormen Holzbedarf wegen der venezianischen Schiffswerften. Venedig gründet ja seinen politischen Rang auf seine Handels- und auf seine Kriegsflotte. Außerdem braucht Venedig als eine Welthauptstadt des damaligen Buchhandels viel Papier, also Holz. Auch die Holzschnitzer, auch die Maler, auch ein Tizian und ein Dürer brauchen viel Papier für ihre Skizzen. Ihre Körperstudien auf denen sie die Köpfe, die Gesichtszüge, und die Körperproportionen für das Bilder - Personal unter dem Golgatha-Kreuz ausprobieren und studieren."
Und wir haben hier oben einen geradezu märchenhaften Blick tief in die Schlucht runter, wo sich die beiden Flüsse zusammentun, einen See bilden. Dieser Blick müsste ja auch einen visuellen Menschen wie Tizian zu einem Landschaftsbild gereizt haben, denkt man. Aber bis er das denken kann, ist der kleine Tizian schon über alle Berge der Dolomiten. Er ist unterwegs, als geschätzt 10- oder 12-Jähriger nach Venedig. Ein paar Abschiedstränen. Das frühe Abschiednehmen vom Elternhaus ist damals gängig. Die einen gehen in Klosterschulen, andere hoffen auf eine Anstellung in den großen Häusern von Venedig, wieder andere gehen in der Stadt des Lasters auf den Strich oder sind mit 14 schon verheiratet. Heute darf man mit 14 grade etwas Mofa fahren. So kommt der junge Tizian also zu einem Onkel in diese schwimmende Weltstadt mit orientalischem Flair, wie ein gewisser "Alberto Durero", alias Albrecht Dürer, Alberto Durero wahrnimmt.
Zurück auf die große Piazza Tiziano, mit dem alten Rathaus und der Kirche. Hier triumphiert Tizian von seinem sehr würdigen Denkmal herab, blickt über den Betrachter hinweg in großer Geste in Richtung Süden Venedig, Rom, Florenz. Christian Ulrich:
"In den Händen hält er die Markenzeichen seiner Weltgeltung, Pinsel, ein Tableau, auf dem er seine Farben mischt. Er ist auf dem Denkmal schon in der herausgehobenen Position des "offiziellen Malers der Republik Venedig" abgebildet. Und er avanciert dann ja auch zum Hofmaler des spanisch-habsburgischen Kaiserhauses. "
Was sagt uns das? Sie (Herr Ulrich) haben auch ein kleine Kopie eines Bildes eines weniger bekannten Malers dabei.
Christian Ulrich:
"Abgebildet ist Kaiser Karl V., er hat politisch grade den Schmalkaldischen Bund besiegt und will als Sieger über die deutschen Protestanten in schwierigen politischen Zeiten auf einem Reichstag in Augsburg auftreten. Macht zeigen. Und dieser Karl V. besucht auf diesem Bild mit höfischer Entourage den etwa 60 Jahre alten Tizian. Das müsste in Augsburg gewesen sein, wohin ihn der Kaiser damals bestellt- oder eingeladen hat. Und dem großen Tizian fällt da der Pinsel aus der Hand, ob vor Schreck oder aus Schusseligkeit. Und der Kaiser höchstselbst bückt sich und hebt den Pinsel auf. Welch eine Geste, wenn sie denn real stattgefunden hat? "
Und Sie merken schon, liebe Mitspaziergänger, wir springen ja hier so von Cadore nach Augsburg, gleich wieder nach Venedig. Damit die Frage ... kann man den Tizian überhaupt -hier- in seinem Geburtsort kennenlernen? Wäre man nicht besser in den Museen von Venedig oder Florenz auf-gehoben? Tizian, lese ich, gibt es weltweit auf 128 Museen verteilt. Wie oft hängt er in Deutschland?
Christian Ulrich:
"Mir ist der Zwinger in Dresden und die Alte Pinakothek in München bekannt. Und ein Selbstbildnis von Tizian hängt in Berlin. Speziell Dresden zeigt einen Tizian, der sehr viel über die Inszenierung seiner Bilder aussagt. Ich habe es hier in kleiner Kopie dabei. Das Bild heißt der "Zinsgroschen". Ein biblisches Motiv zeigt Jesus, der von einem Pharisäer auf die Probe gestellt wird. Man will ihn aufs Kreuz legen, damit man ihm etwas anhängen kann. Die Quintessenz ist dieses bekannte Zitat, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gib Gott, was für Gott ist. Nun sehen Sie mal die heimtückische Anmache des Pharisäers. Er hält in der Hand zwei Münzen und versucht sie fast dem Jesus unterzujubeln. "
Ja und der Pharisäer versucht ihn quasi mit dem "Zinsgroschen" ja auch zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig zu machen. Ein auch heute ganz aktuelles Thema!
Christian Ulrich:
"Jesus greift aber nicht nach dem Geld. Und im Gegensatz zu dem wenig sympathisch wirkenden Pharisäer, von dem würde man keinen Gebrauchtwagen kaufen wollen sehen wir das Gesicht Jesu. Cool, ganz souverän. Es geht in diesem Tizianbild weniger um die Farben und die Kunst des Faltenwurfes der Gewänder. Hier ist es die Sprache der Augen. Es ist der in einem stummen Bild ja nicht aussprechbare Dialog. Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist. Bilder von Tizian oder Dürer haben ja keine Sprechblasen wie Comics. Tizian malt quasi den Dialog in die Gesichtszüge."
Und so könnte unser Städtchen in den Dolomiten eine Art Stichwortgeber, über Tizian sein. Und so möchte ich Sie, liebe Sonntagsspaziergänger im Radio, zu Ihrer ganz persönlichen Tizianreise an Ihrem PC einladen. Klicken Sie sich doch Tizian an, klicken Sie einige seiner Bilder an. Machen Sie sich doch ihr eigenes Bild von Tizian. Oder nehmen Sie sich die Zeit zu einem Besuch in eine gute Stadtbibliothek. Es gibt hervorragende Bildbände zu Tizian.
Ein anderes Tizian-Beispiel habe ich mir hier aufgeschlagen. Gegen 1550 malt er in Venedig eine großformatige "Venus mit dem Orgelspieler".
Christian Ulrich:
"Ja sie liegt da hingebettet wie eine diplomierte Liebesgöttin, spielt mit einer Hand mit ihrem Hündchen. Ein Orgelspieler sitzt etwa zu ihren Füßen, greift in die Tasten seines Instrumentes. Und er dreht gleichzeitig den Kopf und die Schulter zu dem Körper der unbekleideten Göttin. Die erwidert aber seinen Blickkontakt nicht. Sie streichelt ja ihr Hündchen. Solche Bilderthemen wie "Venus" oder andere opulenten Weiblichkeiten, sind damals beliebte Sammlerobjekte der höheren Kreise. Und solche allegorischen Damen, die ihre Reize ungeniert ganz öffentlich dem Betrachter zeigen, malt Tizian quasi im Dutzend. Gehen weg wie geschnitten Brot. "
Ein Schelm, wer sich etwas dabei denkt. Dieses Motiv malt das Kleverle Tizian für einen bedeutenden Kunstsammler. Für den Kardinal Granvella, oder Granvelle wird er auch geschrieben, ein Staatsminister Karls V.. Als Erzbischof leitet Granvella später das kaiserliche Kabinett. Gönnen wir "seiner kunstsinnigen hochwürdigsten Eminenz" seine Venus. Und zu Gunsten des Künstlers Tizian darf man nur hoffen, dass der Kardinal das opulente Bild auch bezahlt. Denn die Tizians, die Dürers haben häufig ihre liebe Not bei ihren bisweilen klammen Gönnern ... an ihr vereinbartes Honorar zu kommen.
Christian Ulrich:
"Nebenbei bemerkt. Unser Albrecht Dürer war zur jener Zeit auch für 2 1/2 Jahre in Venedig in einer Art "Learning by Doing Praktikum", aber auf eigene Rechnung. Er muss ja von etwas leben. Dürer bekommt einen opulenten Auftrag. Sein berühmtes "Rosenkranz-fest". Er soll dafür hundert Gulden erhalten. Ein sehr gutes Honorar. Dann sehen die Auftraggeber, es ist eine Art "Deutsche Industrie und Handelskammer" in Venedig ... die sehen einen kolorierten Vorentwurf. Die deutschen Geschäftsleute, Händler und Banker sind begeistert und versprechen dem Dürer sogar 110 Gulden. Bekommen hat er schließlich 85 für sein berühmtestes Bild in der venezianischen Episode, das ihm zum Durchbruch in der Lagunenstadt wie auch später in Deutschland verhilft. "
Noch mal nachgeschoben zu dieser Venus und ihrem Orgelspieler. Man kann schließlich nicht einem Staatsminister des Kaisers den Gerichtsvollzieher oder einen muskulösen Inkassoeintreiber ins Palais schicken. Und wir sehen auch, was ein Tizian aus jener Zeit erzählen kann, wenn man die Leinwand nur beharrlich danach ausbefragt.
Sie zeigen mir hier Bilderkopien aus dem Tizian-Zyklus Mariä Himmelfahrt, Fachbegriff "Assunta"
Christian Ulrich:
"Glanzvolle Mariä Himmelfahrten sind damals in der grade beginnenden Gegen-reformation gegen den Protestantismus ein katholischer Verkaufsschlager. Himmelfahrt ist ja eine Triumphgeste. Wer richtig glaubt, kommt in den Himmel und hat die Gottesmutter als Fürsprecherin. Tizian und seine Werkstatt variieren das Thema Assunta rund 20 mal. Salopp könnte man annehmen, standen die Altarbilder vielleicht auf Vorrat schon halbfertig auf Halde und wurde nur noch mit einem kleinen Porträt der Mutter Gottes hinterher-schauenden adeligen Auftragsgebers und seiner Familie ergänzt. "
Und speziell aus deutscher Sicht betont, so kommt der Porträtkünstler Tizian auch sehr gerne der Einladung als Hofmaler der Habsburger nach. Es gibt ihm internationale Wichtigkeit. Die Habsburger sind zwar fast pleite, trotz der unermesslichen Goldreserven, die ihnen aus der neuen Welt, aus Mittel- und Südamerika angeschaufelt werden. Hier haben Sie Kopien einiger Tizian-Porträts von Kaiser Karl V. .
Christian Ulrich:
"Der Kaiser, er kann sich nicht daran satt sehen. Denn Tizian schönt die kaiserlichen Gesichtszüge. Die Habsburger Gesichter wurden seit einigen Generationen schon von einer wuchtigen, grotesken Kinnlade verunstaltet. Tizian aber zoomt ihm das Kinn fast weg, versteckt es in einen gut geschnittenen Kinnbart und dem aufwändigen Mantelkragen. "
Und nun betreten wir die Pfarrkirche, sie ist nicht aus der Zeit Tizians. Der Vor-Vorgängerbau wurde von Truppen Kaiser Maximilians niedergebrannt. Und in einer Seitenkapelle, die einem heiligen Bischof Tiziano geweiht ist, da hängt das einzige Originalgemälde von Tizian hier in diesem Ort.
Christian Ulrich:
"Wir sehen eine jugendliche Gottesmutter, die ihren Säugling an ihrer Brust nährt. Das Knäblein liegt ohne Heiligenschein nackt auf einem Kissen im Schoße seiner Mutter. In fromm besorgter Haltung kniet ein Bischof im festlichen Chormantel daneben. Hinter dem Bischof kniet ein älterer bärtiger Mann mit einem Hirtenstab. Das soll ein Selbstporträt Tizians sein."
Der Bischof Tiziano mit seiner imposanten Bischofsmütze und dem teuren Mantel, den stellt Tizian etwas "overdressed" in diese einfache bäuerliche Szenerie rein.
Und mein letztes Wort aus Pieve di Cadore habe ich abgekupfert:
Christian Ulrich:
"Übrigens, auch Tizian soll bei Dürer abgekupfert haben. Der Nürnberger malt in Venedig eine "Madonna mit dem Zeisig". Darauf sind abgebildet die Gottesmutter, der Jesusknabe und ein Johannesknabe, den Dürer mit goldenen Haaren darstellt. Und diesen Goldlockenkopf Johannes übernimmt der junge Tizian fast punktgenau mit goldenem Schopf in seinem Bild "Madonna mit den Kirschen:" Es ist heute in Wien zu sehen."
Dann kupfere ich jetzt freiweg von einem Tizian-Zeitgenossen und venezianischen Poeten ab. Er schreibt zu Tizian: "All, das, was ich mit großer Mühe über ihn gesagt habe, ist nur eine geringe Nachricht im Verhältnis zu der Göttlichkeit seiner Malerei"