Dirk-Oliver Heckmann: Was hatten die Piraten doch für Furore gesorgt im vergangenen Jahr – in vier Landesparlamente war die Jungpartei eingezogen, und auch auf Bundesebene wurde den Piraten teils ein zweistelliges Ergebnis zugetraut. Dann, bei der Bundestagswahl, die harte Landung auf dem Boden der Realität – 2,2 Prozent der Stimmen erzielten die Piraten gerade einmal und verpassten damit deutlich den Einzug in den Bundestag. Heute Vormittag hat der Bundesparteitag der Piraten in der Messehalle in Bremen begonnen.
Heckmann: Und in Bremen begrüße ich Christopher Lauer, er ist Sprecher für bürgerschaftliches Engagement der Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu Berlin. Bis Mitte des Jahres war er dort Fraktionsvorsitzender. Schönen guten Tag, Herr Lauer!
Christopher Lauer: Ich grüße Sie!
Heckmann: Herr Lauer, eine ungeahnte Erfolgswelle im vergangenen Jahr, jetzt bei den Bundestagswahlen 2,2 Prozent - verschwinden die Piraten so schnell, wie sie gekommen sind?
Lauer: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Wenn wir uns das mal anschauen: Ich bin seit 2009 Mitglied. Ich glaube, 2009 sollten wir verschwinden, 2010 auch. 2011 sah es ja bis zur Wahl in Berlin so aus, als würden wir verschwinden, dann sind wir in vier Landtage reingekommen. Jetzt sieht's wieder so aus, als würden wir verschwinden.
Heckmann: Aber wie ist es denn? Verzweifeln Sie nicht manchmal daran, wie Ihre Partei dann doch gute Chancen vertut?
Lauer: Nein.
Heckmann: Das heißt, Sie sehen das alles ganz gelassen, die Entwicklung der Piraten und denken, dass die Partei da auf einem guten Kurs ist?
Lauer: Ja.
Heckmann: Sie sind ja so äußerst gesprächig heute! Wo sehen Sie denn Möglichkeiten, die Partei wieder auf Vordermann zu bringen, wieder in die Offensive zu kriegen?
Lauer: Na ja, die Piratenpartei muss verstehen, dass, wenn sie bei Wahlen erfolgreich sein will, sie was an ihren Strukturen verändern muss. Wir können ja die CDU zum Beispiel doof finden und ihre Strukturen, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie bei der Bundestagswahl 41 Prozent der Stimmen zusammen mit ihrer Schwesterpartei CSU auf sich vereinigen konnte, und das muss uns doch einfach mal zu denken geben. Und entweder checken die Piraten das irgendwie oder sie checken es halt nicht.
Heckmann: Was heißt das genau? Was muss man an den Strukturen verändert werden?
Lauer: Na ja, wir brauchen mal eine ordentliche innerparteiliche Meinungsbildung, zum Beispiel durch eine ständige Mitgliederversammlung. Wir brauchen einen Vorstand, der, um das Peer Steinbrück oder Sigmar Gabriel, ich weiß nicht, wer von beiden es gesagt hat, zu zitieren, die nötige Beinfreiheit hat. Und wir brauchen einfach Mitglieder, die sich darüber im Klaren sind, dass man zwar hehre Ziele haben kann, aber es bringt halt nichts, moralischer Sieger oder sonst was zu sein, sondern am Ende des Tages müssen wir in den Parlamenten sein und müssen da Politik machen.
Heckmann: Ja, das ist ja so ein Stichwort, im Prinzip. Die NSA-Affäre hat ja eine Vorlage gegeben, und jetzt auch die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung. Trotzdem dringen die Piraten mit ihren Positionen offenbar bei den Wählern nicht so ganz durch. Woran liegt das?
Lauer: Das liegt daran, dass, als die NSA-Affäre angefangen hat, sich natürlich Bernd Schlömer und Katharina Nocun dazu geäußert haben von hier bis Bischkek, aber man dann halt erst angefangen hat drei Wochen später, anzurufen, und gesagt, Herr Schlömer, Frau Nocun, Herr Lauer, Ihre Partei profitiert gar nicht von der NSA-Affäre, wie kommt denn das?
Heckmann: Und, wie kommt's?
Lauer: Na ja, weiß ich nicht. Müssen Sie mir ja sagen, warum Sie sich nicht mehr für die Piraten interessieren. Und ansonsten wurde die Debatte ja von Herrn Pofalla für beendet erklärt. Danach gab es dann noch, glaube ich, das Super-Grundrecht von Herrn Friederich und - wie war das? Dann wurde Frau Merkel auf einmal abgehört, dann war die Debatte wieder ganz aktuell. Also, ich bin da ja auch, sag ich mal, Bürger und Beobachter und schaue da meinen Gebührengeldern bei der Arbeit zu.
Heckmann: Na ja, gut, das Interview mit Ihnen beispielsweise, das zeigt ja, dass wir Ihre Partei durchaus intensiv auch begleiten. Aber stellen Sie sich nicht manchmal die Frage auch, woran das wirklich gelegen hat, dass diese ganze Affäre, diese Abhöraffäre, doch bei vielen Wählerinnen und Wählern offenbar nicht so eine Bedeutung gehabt hat?
Lauer: Weil es so abstrakt ist. Also wenn ich jetzt die Möglichkeit hätte, jeder Frau, die von ihrem Ehemann betrogen wird, die Standortdaten des Smartphones des Gatten zu zeigen oder die Textnachrichten, die er seiner Geliebten schickt, die von ausländischen Geheimdiensten möglicherweise abgefischt würden, dann bekommt das eine greifbare Dimension. Aber im Moment, so ist es nichts. Da werden irgendwie nur die sexuellen Präferenzen von irgendwelchen Islamisten gesammelt, um sie diskreditieren zu können, das wurde ja jetzt neulich wieder durch Herrn Snowden enthüllt, und ja, da findet man das möglicherweise noch gut - den Menschen ist nicht klar, dass da sehr in ihre Privatsphäre, in ihr Leben eingegriffen wird und dass das durch die Technologien passiert, die sie jeden Tag benutzen. Und dann werden da auch möglicherweise Leben kaputt gemacht. Aber wie gesagt, das interessiert halt auch keinen, weil da geht es ja, wie gesagt, um die bösen Terroristen und die böse Gefahr. Und das findet die Mehrzahl der Deutschen ja anscheinend gut.
Heckmann: Muss sich die Partei, müssen sich die Piraten damit abfinden, dass das so ist, oder kann die Partei etwas dafür tun, die Sensibilität eben zu erhöhen?
Lauer: Wir müssen natürlich in unserer Öffentlichkeitsarbeit idealerweise das so machen, dass auch Lieschen Müller und Max Mütze das irgendwie versteht, aber das bedeutet natürlich, dass man einen sehr straff organisierten Parteiapparat braucht, der das dann auch verwirklichen kann. Und das passiert im Moment nicht.
Heckmann: Wenn Sie jetzt von Lieschen Müller sprechen, dann hört sich das so ein bisschen danach an, als ob Sie die Wählerinnen und Wähler nicht so ganz ernst nehmen. Kann das auch ein Faktor sein, dass sich die Wählerinnen und Wähler von Ihnen nicht so ganz auf gleicher Augenhöhe behandelt fühlen?
Lauer: Es ist durchaus möglich, dass Mitglieder der Piratenpartei im Wahlkampf eine Sprache sprechen, die von so vielen Anglizismen und Wörtern, die in der Netzpolitik gang und gäbe sind, benutzen, dass man dann am Ende nicht mehr weiß, worum es geht. Also wenn ich irgendwie über die Packet Inspection und Vorratsdatenspeicherung und Mindestspeicherfristen und IP und Bla rede, dann weiß natürlich nicht mehr irgendjemand, worum es geht. Und diese Bezeichnung, Lieschen Müller, Max Mütze - verzeihen Sie's mir, ich glaube, in klassischen Parteien sagt man so "der Mann von der Straße" oder, weiß ich nicht, "die alleinerziehende Mutter, die beim Lidl arbeitet", die wird da ja auch immer ganz gern als Beispiel genommen. Das soll jetzt nicht despektierlich sein. Aber in Berlin hatten wir 2011 großen Erfolg damit, dass wir den Wählerinnen und Wählern einfach gesagt haben, okay, das hier ist das Programm und das Angebot der Piratenpartei. Wenn ihr das haben wollt, dann wählt uns, und wenn ihr euch von anderen Parteien besser vertreten fühlt, dann wählt halt die.
Heckmann: Bei den Europawahlen, wir haben es gerade eben schon erwähnt, gibt es eine Drei-Prozent-Hürde. Gut möglich, dass die Piraten daran scheitern – kalkulieren Sie das ein?
Lauer: Wenn es bei einer Wahlbeteiligungsentwicklung bleiben wird bei der Europawahl, wie wir sie bisher hatten, und wenn die Piraten bei der Europawahl genauso viele Menschen mobilisieren können wie bei der Bundestagswahl, dann werden wir bei der Europawahl 3,5 Prozent bekommen.
Heckmann: Soweit die Prognose von Christopher Lauer von der Piratenpartei. Besten Dank für das Gespräch!
Lauer: Vielen lieben Dank!
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