In der Europäischen Union ist die ungarische Fidesz-Partei seit ihrem Ausscheiden aus der Europäischen Volkspartei (EVP) fraktionslos. Der Fidesz-Vorsitzende und ungarische Ministerpräsident Viktor Orban erwägt deshalb die Schaffung eines neuen Bündnisses rechtsnationaler Kräfte auf EU-Ebene. Als mögliche Partner hat er dazu offenbar den Chef der italienischen Lega, Matteo Salvini, und den polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ausgemacht. Nach einem ersten Treffen, zu dem Orban kurz vor Ostern nach Budapest geladen hatte, kündigten die drei Politiker eine intensivere Zusammenarbeit an.
Orban, Morawiecki und Salvini bekundeten nach dem Treffen am 01. April 2021, ihre Zusammenarbeit ausbauen zu wollen. Die drei rechtsgerichteten Politiker kündigten an, sich gemeinsam für eine "europäische Renaissance" einzusetzen. "Viele Millionen europäischer Bürger sehen sich ohne entsprechende und wirksame politische Vertretung in Europa", sagte Orban.
Dazu wollen ihre drei rechtsnationalen Parteien - der ungarische Fidesz, die polnische PiS und die italienische Lega - gemeinsame Programme entwerfen. Es gehe vor allem um Werte wie Familie, individuelle Würde und Christentum, sagte Morawiecki.
Anders als im Vorfeld spekuliert, werden die zwölf Fidesz-Abgeordneten im Europaparlament aber vorerst nicht in die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) eintreten, in der die PiS die stärkste Gruppe bildet. Auch ein Zusammenschluss zu einer neuen Fraktion wurde als Möglichkeit genannt. Orban kündigte nun jedoch lediglich an, dass im Mai ein weiteres Treffen stattfinden werde, voraussichtlich in Warschau.
Die polnische Regierungspartei PiS gehört im EU-Parlament der EU-skeptischen Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) an. Nach der Schwächung der EKR durch den Brexit hat die PiS mit ihren 24 Abgeordneten im Europaparlament ein Interesse daran, neue Partnern zu finden,
berichtet Dlf-Korrespondent Florian Kellermann.
Ihr EU-Abgeordneter Jacek Saryusz-Wolski sagte im öffentlichen polnischen Radio, er wünsche sich einen Beitritt der ungarischen Regierungspartei Fidesz und anderer rechtsgerichteter Abgeordneter zur EKR-Fraktion. Saryusz-Wolski sieht "ein großes Potenzial, die politische Szene in Europa umzugestalten oder gar ein Erdbeben herbeizuführen. Es würde eine mächtige rechtsgerichtete Gruppe entstehen. Das wird auch das deutsch-französische Tandem Schwächen und den mittel- und osteuropäischen Staaten mehr Gewicht geben".
Der Fidesz-Vorsitzende Orban zeigte sich bisher zu einem EKR-Beitritt aber nicht bereit. Er kündigte an, ein neues Bündnis der rechtsgerichteten Kräfte in Europa schmieden zu wollen. Lega-Chef Salvini spricht immer wieder davon, dass sich alle Rechtsaußen-Parteien im EU-Parlament zusammenschließen sollten.
PiS, Fidesz und Lega stehen sich aktuell insofern nahe, als sie sich gemäßigt EU-skeptisch geben, wichtige Entscheidungen des EU-Rats jedoch weitgehend mittragen. Beim Thema Rechtsstaatsmechanismus haben inbesondere Polen und Ungarn dieselbe Position. Beim Streit mit der EU sehen sie sich als Sieger, weil sie sich sicher sind, dass der Mechanismus nie gegen sie eingesetzt wird. Denn: Sie prüfen derzeit vor dem EuGH, ob der Mechanismus EU-rechtskonform ist, berichtet Dlf-Korrespondent Paul Vorreiter. Die beiden Länder sind der Meinung, dass die Auszahlung von EU-Geld an keine Rechtsstaatlichkeitsklausel geknüpft werden kann, ihnen auf diese Weise also keine Zahlungen gestrichen oder gekürzt werden dürfen.
Daneben eint alle drei Parteien ein grundsätzlich populistisches Selbstverständnis. Eine aktuelle Populismus-Definition, die maßgeblich auf Cas Mudde, einen niederländischeren Politikwissenschaftler von der Universität Georgia, USA, zurückgeht, beschreibt populistische Politiker als jene, die sagten, "wir allein sprechen für das reine Volk, und wir bekämpfen damit die korrupten Eliten".
Insbesondere rechte Populisten glaubten niemals an Pluralismus und Vielfalt. "Sie glauben, dass das Volk im Großen und Ganzen homogen ist." Dies sei in Europa im rechten Spektrum wesentlich verbreiteter als im linken Spektrum. "Einheitlichkeit von Rasse, Ethnie und Nation stehen im Zentrum rechten populistischen Denkens", so Mudde. Der Aufstieg der populistischen Rechten handele davon, dass sie sozio-kulturelle Übersetzungen anböten für sozio-ökonomische Sorgen. "Von ökonomischer Ungleichheit wird abgelenkt, indem man auf Muslime und Immigranten zeigt."
Unterschiede zwischen den drei rechten Parteien PiS, Fidesz und Lega bestehen vor allem in der Außenpolitik. Darauf hat Tamas Grotzky von der rechtsliberalen polnischen Oppositionspartei Bürgerplattform mit Blick auf eine mögliche Verbindung zu Orbans Fidesz hingewiesen: "Ich rate Ministerpräsident Morawiecki davon ab, ein Bündnis mit Leuten einzugehen, die eng mit Russland verbunden sind. Das könnte uns in gigantische Probleme mit unseren Bündnispartnern führen, darunter mit unserem engsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten." Bislang hat das die PiS auf EU-Ebene allerdings nicht davon abgehalten, eng mit der ungarischen Regierung zu kooperieren.
Bereits vor der vergangenen Europawahl 2019 analysierte der Politologe Hans Vorländer im Dlf: "Es gibt sehr unterschiedliche Bewegungen und Strategien innerhalb der Rechtspopulisten." Er fügte hinzu: "Salvini würde wohl gerne als der große Sammler und als Chef einer rechtspopulistischen paneuropäischen Bewegung in Erscheinung treten, aber dieses Vorhaben ist bislang noch nicht wirklich realisiert worden." Möglicherweise übernimmt diese Rolle jetzt Orban.
Unterschiedliche Auffassungen zwischen den Vertretern bestehen Vorländer zufolge auch beim Thema Migration. Während Salvini trotz kritischer Haltung immer wieder gefordert habe, dass andere EU-Länder auch Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete aus Italien aufnehmen, lehnten die ost- und mitteleuropäischen Rechtsnationalen wie Fidesz und PiS dies ab. Dennoch würden rechtspopulistische Parteien in der Zukunft eine größere Rolle spielen, so der Politologe: "Ihre Stimme wird im Europäischen Parlament gewiss lauter werden. Sie wird auch stärker werden. Dass die Rechtspopulisten insgesamt, in welcher Schlachtordnung sie nun antreten, zunehmen werden, das ist ganz außer Frage."
Im EU-Parlament gibt es drei Fraktionen, in denen rechtsgerichtete Parteien vertreten sind. Die ungarische Fidesz war bis zu ihrem Ausscheiden Mitglied in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Bündnis der Christdemokraten und Konservativen im Europäischen Parlament.
Identität und Demokratie (ID) ist die Fraktion rechtspopulistischer, nationalistischer und rechtsextremer Parteien im Europäischen Parlament. Ihr gehören etwa die italienische Lega (bis 2018 Lega Nord) unter ihrem Chef Salvini sowie aus Deutschland die AfD an.
Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) bildet ein weiteres Bündnis aus konservativen, EU-kritischen und rechtsgerichteten Parteien. Größtes Mitglied der EKR ist die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Seit dem Brexit und dem Austritt der britischen Konservativen aus dem Europarlament hat diese Fraktion an Bedeutung verloren.
(Quellen: Florian Kellermann, Barbara Schmidt-Mattern, Paul Vorreiter, ah)