"Ich kann mir gut vorstellen, - ich komme selber hier aus Sachsen - dass man vielleicht hier viel wirklich auch individuell auf die Schüler zugeht. Dass man sich wirklich persönlicher fühlt in den Klassen und nicht als einer von vielen, sondern wirklich, dass sich um einen gekümmert wird. Und dass man von daher halt vom Lernerfolg mehr machen kann, als wenn das jetzt alles in einer großen Klasse ist."
"Wir sind in Sachsen, und ich weiß von meinem Mann, wie’s in Brandenburg ist, und da weiß ich, dass es hier viel besser ist. Er ging da zur Schule, und die haben ja zum Beispiel kein Zentralabitur, und das hat er dann hier in Sachsen beim Studium deutlich gemerkt, grad bei Mathematik."
"Ich kann mir vorstellen, Sachsen hat ja eine sehr strenge Bildungsreform - ich denk mal, dass es damit zusammenhängt, auch mit dem Leistungsdruck. Vielleicht kann es auch sein, dass die Sachsen besonders schlau sind im Gegensatz zu anderen deutschen Bundesländern. Könnte ich jetzt auf jeden Fall von uns beiden sagen."
Ziemlich gute Laune herrscht unter Dresdner Eltern, wenn sie in diesen Tagen auf die Pisa-Studie angesprochen werden. Pisa, das ist das "Programme for International Student Assessment", also das Programm zur internationalen Schülerbewertung. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, erhebt alle drei Jahre die Daten für diese Schulleistungsstudie. Morgen Vormittag um elf Uhr deutscher Zeit ist es wieder so weit: Dann gibt es die kompletten Ergebnisse der neuesten Untersuchungsrunde. Getestet wurden diesmal über eine halbe Million Schülerinnen und Schüler in 64 Ländern rund um den Globus. Dass die sächsischen Eltern diesem Vergleich so selbstbewusst entgegenschauen, hat vor allem damit zu tun, dass sächsische Schüler beim letzten Pisa-Test im innerdeutschen Vergleich ganz vorne lagen. Zusammen mit den Schülern aus Bayern. Manfred Euler hat als Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel vor 13 Jahren die erste Pisa-Studie für Deutschland mit koordiniert. Damals war die Öffentlichkeit schockiert, weil deutsche Schüler im internationalen Vergleich nur mittelmäßig abschnitten. Die Folge war hektische bildungspolitische Betriebsamkeit in den 16 Bundesländern.
"Wenn man jetzt mal von den Wirkungen schaut - was hat Pisa eigentlich bewegt im Bildungssystem? - muss man sagen: Es ist einiges an Entwicklungen angetreten worden, einiges an Programmen aufgelegt worden, die dann zum Teil ganz gut gewirkt haben, die aber auch zum Teil im Bildungsföderalismus stecken geblieben sind."
Denn seither wurde heftig debattiert und gestritten - darüber, wer denn nun im Wettbewerb der föderalen Bildungspolitik das bessere Konzept habe. Dass dieser Wettstreit allerdings die Schulqualität insgesamt angehoben hat, kann Manfred Euler nicht feststellen.
Bildungsschere zwischen den Ländern
"Was man so zwischendurch gesehen hat, dass sich mittlerweile eigentlich eher wieder die Schere zwischen den Ländern auseinanderbewegt. Es gibt einige Bundesländer, die ihre Lektionen gelernt haben, die ihr Bildungssystem weiterentwickelt haben. Es gibt andere Länder, wo die Schere halt dann doch weiter aufklafft, sodass also die Differenzen, die man damals bei der ersten Pisa-Runde gesehen hat, zum Teil eher noch größer geworden sind."
Differenzen, das heißt: Bei 15-jährigen Schülerinnen und Schülern klafft der Bildungs- und Wissensstand in Deutschland zum Teil fast zwei Schuljahre auseinander - je nachdem, wo sie zur Schule gegangen sind. Matthias Döbler ist Fachbereichsleiter für Qualitätsmanagement am Oberstufenzentrum für Informations- und Medizintechnik in Berlin. Und damit in einem Bundesland, das seit der ersten Pisa-Studie vor 13 Jahren immer wieder ganz weit hinten auf der nationalen Rangliste gelandet ist.
"Die Pisa-Studien, international, aber auch die in Deutschland durchgeführten, haben den schulischen Alltag in den letzten Jahren sehr erheblich verändert. Wir haben in den Bildungsgängen Bildungsstandards, wir haben kompetenzorientierte Unterrichtsprozesse, wir haben eine Orientierung an Lernergebnissen, das heißt, auf der formalen, curricularen Ebene, aber auch auf der Bewertung von Leistung haben wir eine große Veränderung. Früher war es in Deutschland nicht so oft üblich, Unterricht zu evaluieren, sich über Qualitätskriterien zu verständigen, da hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren erheblich eine Änderung vollzogen in Deutschland."
Evaluationen, Standards, Vergleichbarkeit
Diesem Bewusstseinswandel verdankt Matthias Döbler indirekt auch seinen Job als Qualitätsmanager im Oberstufenzentrum. Denn seit Pisa wird - endlich, kann man sagen - darüber gesprochen, was eigentlich guten Unterricht ausmacht.
"Wir haben eigentlich in allen Bundesländern Qualitätsstandards formuliert, auch Handlungsrahmen in Schulqualität, in denen beschrieben wird, wie Unterrichtsprozesse optimal aussehen sollen. Wir haben externe Evaluationen - in Berlin in Form der Schulinspektion, die regelmäßig die Schulen besucht - sodass man sagen kann: Es wird schon von der Schulverwaltung und auch der politischen Ebene her versucht, gemeinsame Standards und ne Vergleichbarkeit auch der schulischen Leistungen in einem Bundesland oder zwischen Bundesländern herbeizuführen."
Und unter diesem Aspekt der Vergleichbarkeit werden nicht nur Matthias Döbler und seine Kollegen, sondern wohl alle Lehrerinnen und Lehrer an den bundesweit über 40.000 Schulen am Dienstag die neuen Pisa-Ergebnisse betrachten: Wie gut haben wir abgeschnitten? Wer liegt vor, wer liegt hinter uns? Klar ist: Die Schere zwischen guten und schlechten Schulen und Ländern wird sich auch diesmal zeigen - oben stehen aller Voraussicht nach Bayern und Sachsen, unten die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin. Und auch wenn die Kultusminister diesmal keine explizite Auswertung nach einzelnen Bundesländern bestellt haben, haben die sächsischen Eltern ihre eigenen Erklärungen für das erwartete gute Abschneiden des Freistaats:
"Ja, weil die Lehrer hier in Sachsen sehr gut sind. Also: noch sehr gut sind. Das wird der Grund sein. Also, ich denke mal, dass die Lehrerausbildung, die früher gemacht wurde zu DDR-Zeiten, hier noch Früchte trägt."
Positive Wirkungen des DDR-Schulsystems?
"Ich weiß, als ich noch zur Schule ging, hieß es immer: Wir orientieren uns an Baden-Württemberg! Also muss man ja fragen, warum die so gut abschneiden…"
"Hat vielleicht noch mit dem Schulsystem aus der DRR-Vergangenheit zu tun, da noch viele Lehrer zu DDR-Zeiten gelernt haben und das Schulsystem in der DDR - ausgenommen Sozialismus - war natürlich auch ein ganz anderes und auch ein Bewährtes. Dass eben viele Lehrer damals zu DDR-Zeiten noch anders ausgebildet wurden als die heutigen. Ich denke, dass es vielleicht zielgerichteter war. Also, es wurde ja vor allem auf naturwissenschaftlich-mathematische Sachen Wert gelegt vor allem damals."
Die Vermutung, das Schulsystem der DDR wirke sich bis heute positiv aus, sei gar nicht so falsch, sagt Bildungsforscher Manfred Euler.
"Also, was Sachsen doch anders macht als manche anderen Länder, ist, dass sie also wirklich gerade im naturwissenschaftlich-technischen Bereich ein relativ kohärentes Bildungskonzept fahren. Das Ganze nicht so sehr auffleddern lassen, wie das in manchen anderen Ländern der Fall ist, und auch bis zur Oberstufe hinein, in Sekundarstufe II hinein, wirklich auch die harten Fächer sozusagen auch noch fordern. Sodass man also nicht irgendwelche Dinge abwählen kann."
Leistungsorientierung als Voraussetzung für gute Pisa-Ergebnisse
Sachsen habe dabei stärker an den Strukturen des DDR-Schulsystems festgehalten als die anderen ostdeutschen Bundesländer. Manfred Euler geht davon aus, dass die klare Leistungsorientierung eine wichtige Voraussetzung ist für gute Pisa-Ergebnisse.
"Sachsen hat ja noch relativ viele ältere Lehrer, die also zum Teil noch aus dem DDR-System stammen. Und das System steht dafür, dass man durchaus auch einen systematischen Unterricht, dass man diesen stärker fokussiert als einen eher breit aufgestellten Unterricht. Und das hat, zumindest was die Lernergebnisse angeht, offensichtlich eine ganz gute Wirkung."
Doch diese Leistungsorientierung ist nicht der einzige Faktor, der das Abschneiden von Schülerinnen und Schülern bei Leistungstests beeinflusst. Lea Feynberg ist Lehrerin an einer Berliner Sekundarschule - mitten in einem sozialen Brennpunkt. Wenn sie an ihre 15-jährigen Schüler denkt, dann spielt Pisa erst einmal gar keine Rolle, sagt die Lehrerin.
"Eine nette, eine lustige, eine Klasse, die es in sich hat. Die mit sehr vielen - leider - Problemen behaftet ist - also jeder einzelne von ihnen. Also die Umstände sind nicht einfach. Sind viele Kinder mit Migrationshintergrund, auch einige ohne. Ich muss auch dazu sagen, dass es meiner Meinung nach überhaupt keine Rolle spielt. Denn Kinder ohne Migrationshintergrund haben auch ganz viele Schwierigkeiten. Denn ich glaube, das Stichwort hier ist Bildungsferne. Und Bildungsferne kann sowohl in deutschen als auch in Familien mit Migrationshintergrund vorkommen."
Der Faktor Familie
Der Bildungshintergrund der Eltern aber - das belegt die Pisa-Studie jedes Mal aufs Neue - ist gerade in Deutschland ein entscheidender Faktor für den Schulerfolg - oder Misserfolg - der Kinder. Und wenn eine Klasse vor allem aus Schülern besteht, deren Eltern eben keine akademische Vorbildung mitbringen und manchmal noch nicht einmal einen Schulabschluss haben, dann gehe es im Schulalltag um ganz andere Dinge als um Leistungen, wie sie bei Pisa gemessen werden, sagt Lea Feynberg.
"Es ist ganz viel Beziehungsarbeit. Es sind ganz viele Gespräche, es sind ganz viele Fragen: Hey, wie geht’s Dir? Wie war Dein Tag gestern? Wie läuft’s so in der Familie? Was hast Du für Hobbys? Was machst Du in Deiner Freizeit? Wo möchtest Du hin? Was möchtest Du werden? Wie kann ich Dir dabei helfen?"
Für die junge Lehrerin ist der morgige Pisa-Tag deshalb ein Tag wie jeder andere.
"Also, klar interessiert’s mich, wie läuft’s in welchem Bundesland? Aber für mich ist es in erster Linie wichtig, dass meine Schüler "Guten Tag" sagen, dass sie pünktlich kommen, dass sie zuverlässig sind, dass sie es hinbekommen, einen Lebenslauf zu schreiben, dass sie ein Vorstellungsgespräch führen können, dass sie im Leben bestehen."
Unfairer Vergleich
Auch ihr Kollege Matthias Döbler vom Berliner Oberstufenzentrum für Informations- und Medizintechnik findet den Vergleich zwischen Bundesländern, aber auch international zwischen dem Schulsystem der Staaten, eigentlich unfair. Denn die Ausgangsbedingungen seien doch sehr verschieden. Insbesondere, was die finanziellen Ressourcen für das Schul- und Bildungssystem angeht.
"Wenn wir sehen, dass Länder wie Kanada oder Finnland einen viel größeren Anteil an ökonomischen Mitteln in die Bildung hineingeben generell, auch in die vorschulische Bildung, in die Grundschulbildung, bessere Ausstattung, bessere Weiterbildung, Differenzierung des Unterrichts, gemeinsame Klassen, projektorientierte Arbeitsformen in stärkerem Maße, dann müssen wir einfach feststellen, dass in Berlin, dass dort der Anteil der Finanzen, bezogen auf das Bildungssystem, im Verhältnis relativ klein ist. Und man kann nicht erwarten, dass man mit geringeren Ressourcen trotz gutem Willen und trotz Standards und trotz Evaluation und trotz Auswertung dieser Evaluation sehr gute Ergebnisse bekommt - das ist ne Frage der Finanzen."
Und noch etwas findet Matthias Döbler auffällig: Wie wichtig die Pisa-Ergebnisse mittlerweile für das Renommee einzelner Bildungspolitiker geworden sind. Die Resultate seien so bedeutungsvoll geworden, dass sich das bis in den Schulalltag hinein auswirke, sagt Döbler mit ironischem Lächeln.
Gute Ergebnisse sind nicht gleich guter Unterricht
"Mein Eindruck ist auch, dass wir uns eher bemühen, gute Testergebnisse als guten Unterricht zu produzieren."
Eine Einschätzung, mit der Matthias Döbler ziemlich richtig liegt. Michael Russell ist schottischer Bildungsminister - und damit für die Pisa-Tests in seinem Teil des britischen Königreichs verantwortlich. Als dort im Frühjahr 2012 feststand, welche Schulen und welche Schüler an der Pisa-Studie teilnehmen würden, ließ Russell einen Videoclip drehen - und appellierte darin an den Nationalstolz der Schüler.
"Doing something for your country is always a great privilege. This march, you have the opportunity to represent Scotland…"
Etwas für dein Land tun zu können, ist immer ein großes Privileg, beschwor der Bildungspolitiker die Test-Teilnehmer. Sie seien bei Pisa die Repräsentanten Schottlands und sollten sich, bitteschön, auch entsprechend anstrengen. Für den Bildungswissenschaftler Gert Biesta von der Universität Luxemburg ist das ein Beispiel dafür, wie sehr die Pisa-Studien mittlerweile weltweit die Bildungspolitik beeinflussten.
"Bildung wird immer mehr nach Resultaten beurteilt. Es geht nicht mehr um den Weg des Lernens, der spielt eigentlich keine Rolle mehr, sondern nur noch um das, was dabei herauskommt. Dabei ist aus pädagogischer Sicht doch der Lernprozess das Entscheidende! Und es macht mir Sorgen, welche Ergebnisse da gemessen werden und welche als wertvoll betrachtet werden."
Messdaten bestimmen inhaltliche Diskussion
Längst gehe es in der Debatte nicht mehr um die Unterrichtsqualität und die Frage, wie sich Qualität messen lasse. Die Diskussion habe sich umgedreht, kritisiert Gert Biesta: Mittlerweile bestimmen die Messdaten die inhaltliche Diskussion. Dabei habe die OECD, die den Pisa-Leistungstest koordiniert, gar nicht die Deutungshoheit darüber, was guten Unterricht ausmache.
"Die OECD kann Schulqualität doch gar nicht bestimmen - und sie tut es trotzdem. Pisa ist mittlerweile so groß und wichtig geworden, dass andere Stimmen kaum noch gehört werden. Die OECD-Leute sagen: Wir stellen doch nur Informationen zur Verfügung, und die Politik kann dann damit machen, was sie will. Aber so ist das natürlich nicht. Die Informationen, die sie auswählen und präsentieren, die ganzen Vergleiche mit den Länder-Bewertungen und Ranglisten treiben die Diskussion ja zwangsläufig in eine bestimmte Richtung."
Regierungen und Medien, sagt Gert Biesta, handelten viel zu voreilig, wenn sie diese Ranglisten aus einigen wenigen Kennziffern als Qualitätsurteil für ein ganzes Bildungssystem betrachten.
"Sie handeln so, weil sie Angst haben, zurückzubleiben. Und Angst ist natürlich ein schlechter Antrieb für Politik. Ein schlechter Antrieb, aber auch ein sehr starker. Und die Frage ist deshalb: Wie kann man diese Angst bekämpfen?"
Ganz bestimmt nicht, indem man sich dem Pisa-Diktat unterwirft, sagt der Luxemburger Bildungswissenschaftler. Der pathetische Motivationsfilm für die schottischen Testteilnehmer sei ein wirklich abschreckendes Beispiel. Um Unterrichtsqualität gehe es da jedenfalls nicht mehr.
"We also want you to be proud of how Scotland does in this survey. So I hope - no: I know! - you’ll do your best. For yourself. And for Scotland. Thanks."
Die Pisa-Teilnahme als Gelegenheit, das eigene Land voller Stolz zu repräsentieren? Das hält auch der Berliner Lehrer und Qualitätsmanager Matthias Döbler für Unsinn. Bessere Ergebnisse, sagt Döbler, würden die deutschen Schüler langfristig nur dann erzielen, wenn ihre Lehrer besser ausgebildet werden. Und wenn sich die Rahmenbedingungen für den Unterricht verbessern. In den erfolgreichen Bundesländern habe man das bereits erkannt.
Knackpunkt Lehrerausbildung
"Natürlich ist es so, dass wir hinsichtlich der Lehrerbildung und auch der Unterrichtskompetenz der Lehrkräfte durchaus große Unterschiede haben. Wir haben auch weiterhin große Unterschiede bei der Zahl der Schüler in den Klassen, bei der fachlichen Ausbildung, und natürlich auch bei den Schlussfolgerungen, die politisch und dann ökonomisch auch gezogen werden aus den Ergebnissen dieser Studien."
Die wiederkehrenden schlechten Ergebnisse für sein eigenes Bundesland - Berlin - überraschen ihn jedenfalls nicht.
"Wenn man in Berlin sieht, dass wir oft an letzter Stelle beim Bundesdurchschnitt liegen, dann wird auch deutlich, dass unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten selbst bei gutem Willen und bei eigener Anstrengung der Institution auch sehr begrenzt sind. Wir haben hier strukturelle oder auch systemische Defizite, die wir auch hier sehen, und nicht individuelle der einzelnen Lehrkräfte der Schulen oder auch der Eltern, die dort auftauchen."
"Bildungspolitisches Perpetuum mobile"
Damit aber liegt der Ball wieder im Feld der Bildungspolitiker. Die verantwortlichen Minister sollten ihre Fixierung auf Leistungstests und deren Ergebnisse ablegen und stattdessen den Unterrichtsalltag verbessern. Der Luxemburger Bildungsforscher Gert Biesta formuliert es noch schärfer: Die Pisa-Untersuchungen hätten ihre Funktion längst verloren und seien nur noch eine Art bildungspolitisches Perpetuum mobile. Ein Ereignis, das sich selbst reproduziert. Wer sich mit Bildungsforschung befasse, habe jedoch leider keine Chance, dem Pisa-Hype zu entgehen, so Biesta. Und so werde auch er - entgegen seiner Überzeugung - morgen gespannt auf die neuen Ergebnisse warten.
"Ich schaue mir die Ergebnisse natürlich an, sie werden ja gesellschaftlich und politisch viel diskutiert, aber ich versuche, ihnen nicht allzu viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Denn auch negative Aufmerksamkeit wertet sie auf, und das ist einer der Gründe, warum Pisa so groß geworden ist: wegen dieser riesigen Diskussionen darüber. Deshalb ist meine Strategie, dass ich sage: Es gibt Wichtigeres im Bildungssystem als diese Ergebnisse."
So negativ allerdings will der Kieler Schulforscher Manfred Euler den Leistungsvergleich nicht bewerten. Die Pisa-Studie habe viel in Bewegung gebracht und die Bildungspolitik, zumindest in Deutschland, von Verkrustungen befreit.
"Also optimistisch gedacht, denke ich, funktioniert es in einigen Bereichen ganz gut. Aber bei anderen Sachen sieht man, dass man doch immer wieder in relativ kurzschlüssige Diskussionen über Schulsysteme einsteigt und das Problem eigentlich gar nicht bei der Wurzel fasst. Das ist weniger eine Systemdiskussion als eine Qualitätsdiskussion von Lehrerbildung zum Beispiel auch. Und da sehe ich eigentlich das große Handlungsfeld für die Zukunft - dass man wirklich noch mal genauer schauen muss: Was muss ich bei den Lehrern investieren, um später bei den Schülerinnen und Schülern Erfolge zu haben."
Mehr Individualisierung
Manfred Euler hofft, dass die neuen Ergebnisse die bildungspolitische Debatte genau in diese Richtung lenken: Wie können die Lehrer in die Lage versetzt werden, besseren Unterricht anzubieten - mit stärkerer Individualisierung beim Blick auf die Schüler und mit einem besseren fachlich-wissenschaftlichen Fundament bei den Lehrern?
"Wir müssen eine stärkere Verbindung herstellen zwischen der Qualität der Lehrerausbildung: Wie gehen fachliche - also ich meine jetzt wirklich harte, fachliche Kompetenzen - mit fachpädagogischen Kompetenzen, mit allgemeinpädagogischen Kompetenzen zusammen. Und da ist aus meiner Sicht im Moment noch kein Optimum erzielt. Das ist noch verbesserungsfähig."
Manfred Eulers Forderung richtet sich also an die Universitäten: Dort, wo die Lehrerinnen und Lehrer der Zukunft ausgebildet werden, müsse endlich engagiert über Pisa und die Folgen debattiert werden. Wann diese Anstrengungen Früchte tragen werden, will der Pisa-Macher der ersten Stunde nicht voraussagen. Und auch nicht, wo die deutschen Schülerinnen und Schüler diesmal mit ihren Leistungen landen.
"Pisa ist, glaube ich, immer noch für Überraschungen gut."
Und welche Überraschungen das sein können, erfahren Manfred Euler und alle anderen Bildungsinteressierten morgen Vormittag - wenn es wieder mal Zeugnisse gibt für das deutsche Schulsystem.