Die achte PISA-Studie wurde 2022 durchgeführt und hat die Fähigkeiten von 15-Jährigen weltweit getestet. Rund 690.000 Schüler aus 81 Ländern haben daran teilgenommen. Abgefragt wurden Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen.
Zu welchen Ergebnissen kommt die aktuelle PISA-Studie?
Insgesamt sank laut PISA-Studie 2022 das Bildungsniveau besonders in zwei untersuchten Bereichen stark: Im Vergleich mit 2018 verringerte sich der OECD-Durchschnitt in Mathematik von 489 auf 472 Punkte, die Lesekompetenz von 487 auf 476 Punkte – das entspricht dem Lernfortschritt eines Dreiviertelschuljahrs. Jeder vierte Schüler gilt als leistungsschwach. Das Niveau in den Naturwissenschaften sank dagegen nur gering von 489 auf 485 Punkte.
Zurückgeführt wird das nur zum Teil auf die Pandemie. Die Leistungen im Lesen und in den Naturwissenschaften hätten bereits zuvor zu sinken begonnen, heißt es in dem aktuellen Bericht, ebenso hätten sich schon vor Corona in einigen Ländern die Mathematik-Ergebnisse verschlechtert. In über 30 Ländern blieben die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften weitgehend gleich, in anderen stiegen sie sogar in Mathematik und der Lesekompetenz.
Der Schwerpunkt der PISA-Studie 2022 lag auf Mathematik. Die besten Ergebnisse erzielte wieder Singapur, gefolgt von anderen ostasiatischen Ländern wie Japan und Südkorea. In Europa sind Estland und die Schweiz die Spitzenreiter. Beim Lesen landet Irland sogar international auf Platz zwei.
Getestet wurden auch die finanzielle Allgemeinbildung und erstmals kreatives Denken – die Ergebnisse dieser Erhebung sollen im Jahr 2024 veröffentlicht werden.
Wie haben deutsche Schüler im Jahr 2022 abgeschnitten?
Die deutschen Schüler haben 2022 in allen drei Bereichen deutlich schlechter abgeschnitten als noch 2018. Im Fach Mathematik kamen sie auf 475 Punkte und lagen damit etwa im OECD-Durchschnitt, aber erzielten 25 Punkte weniger als im Jahr 2018 – ein Tiefstand, der sogar noch unter der ersten PISA-Studie liegt. Auf gleichem Niveau befinden sich Litauen, Frankreich und Spanien.
Auch bei der Lesekompetenz liegt Deutschland im Mittelfeld mit 480 Punkten, was aber im Vergleich zur letzten PISA-Studie ein Minus von 18 Punkten bedeutet – auch das ein historischer Tiefstand.
In den Naturwissenschaften übertrafen deutsche Schüler mit 492 Punkten den OECD-Durchschnitt, vor vier Jahren erzielten sie aber noch elf Punkte mehr.
Zudem erhöhte sich der Anteil der leistungsschwachen Schüler, also derer, die in Mathematik unter Grundkompetenzniveau lagen, um zwölf Prozent (auf 30 Prozent), bei der Lesekompetenz und in Naturwissenschaften um jeweils elf Prozent (auf 25 bzw. 23 Prozent).
Welche Reaktionen gibt es auf die Ergebnisse?
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Katharina Günther-Wünsch (CDU), nennt die Ergebnisse "besorgniserregend". Sie bestätigten die Befunde der IGLU-Studie und der IQB-Bildungstrends 2021 und 2022. "Alle sind sich einig, dass es jetzt vor allem auf die Stärkung der Basiskompetenzen ankommt, und das möglichst frühzeitig", so die Berliner Bildungssenatorin. "Die KMK schärft derzeit ihre Empfehlungen für die Grundschulen und bereitet eine deutliche Stärkung des Deutsch- und Mathematikunterrichts vor. Wir brauchen insbesondere eine gezielte Sprachförderung, die in der Frühen Bildung ansetzt und die Lernenden länger begleitet."
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Jens Brandenburg, verweist auf das "Startchancen-Programm", mit dem etwa 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler besonders gestärkt werden sollen. Bund und Länder investieren insgesamt 20 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren.
Auch der Deutsche Lehrerverband fordert mehr Anstrengungen bei der frühkindlichen Bildung. Schon die Ergebnisse der IQB-Studien hätten gezeigt, dass ein Teil der Schüler wegen mangelhafter Kenntnisse bereits früh abgehängt werde.
Um Chancengerechtigkeit für Schüler mit unterschiedlichen Bildungshintergründen zu erreichen, fordert der Lehrerverband verpflichtende systematische vorschulische Sprachstandstests in den Kindertagesstätten, verpflichtende Vorschuljahre und gezielte Sprachförderung. Außerdem brauche es kleinere Klassen und Lerngruppen sowie ausreichend qualifiziertes Personal.
"Wir brauchen einen fast schon revolutionären Neuanfang in unserem Bildungswesen", sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und forderte unter anderem mehr Digitalisierung sowie individuelle Förderung in Ganztagsschulen.
Was muss getan werden, um Schüler zu fördern?
Der NRW-Bildungspolitiker und ehemalige Lehrer Jochen Ott (SPD) spricht von einer Bildungskatastrophe. "Das Bildungssystem ist kaputt und jetzt muss gehandelt werden", sagt er. "Wir sind sehr unbeweglich geworden. Wir haben die Schulen bürokratisch gelähmt. Wir versuchen, alles im Sinne einer Inputsteuerung von vornherein zu regeln, anstatt unseren Lehrerinnen und Lehrern Vertrauen zurückzugeben und zu sagen: Wir wissen, dass ihr das könnt." Auch den Schulleitungen müsse man mehr Kompetenz geben.
"Wir brauchen wieder mehr Pädagogik in unseren Schulen", so Ott. Er sei für Leistung und Anstrengung, aber nicht dafür, Inhalte festzulegen. Das Entscheidende seien Kernkompetenzen.
Der SPD-Politiker betonte, Deutschland brauche mehr Lehrkräfte. Damit mehr Menschen auf Lehramt studieren, müsse der Beruf attraktiver werden. "Und wir brauchen mehr Quereinsteiger an der Schule."
Lehrer seien vor allem mit zu großen Lerngruppen überfordert sowie mit Kindern, die besondere Aufmerksamkeit bräuchten. "Wir werben für ein Chancenjahr", sagt Ott. Kinder im Vorschulalter sollen auf ihre Fähigkeiten getestet und bei Bedarf schulfähig gemacht werden. Auch der Berliner Senat will durch ein solches "Chancenjahr" die Deutschkenntnisse von Kindern fördern. Bereits jetzt müssen Kinder 15 Monate vor der Einschulung einen Sprachtest absolvieren und bei Defiziten einen Sprachkurs in einer Kita besuchen.
Verpflichtendes Kita-Jahr?
Die Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, Karin Prien (CDU), setzt sich für ein verpflichtendes Kita-Jahr für viereinhalbjährige Kinder mit Sprachdefiziten ein. Im Oktober 2022 ist die Initiative am grünen Koalitionspartner gescheitert. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) lehnte den Vorschlag ab. Zum nächsten Schuljahr werde man zumindest im Bereich der Perspektivschulen eine Sprachförderung im Vorschulalter einführen. Man dürfe aber auch später nicht aufhören, Kinder zu fördern, und man müsse auf Lernerfolge schauen.
"Es muss jetzt ein Weckruf durchs Land gehen", sagt Prien. "Wir brauchen mit Bund, Ländern und Kommunen die Überzeugung, dass wir gemeinsam mehr in Bildung investieren. Das ist unerlässlich. Wir sind OECD-Durchschnitt schlecht."
Zu welchen Ergebnissen kamen frühere PISA-Studien?
Die erste Studie von 2000 führte zum sogenannten PISA-Schock in Deutschland. Bei der Lesekompetenz erreichten deutsche Schüler nur 484 Punkte – und lagen damit unter dem OECD-Durchschnitt von 500. Außerdem gaben die deutschen Schüler am häufigsten an, nicht zum Vergnügen zu lesen (42 Prozent, Österreich lag nur knapp dahinter).
Ebenfalls unterdurchschnittlich fielen die Leistungen in Deutschland in Mathematik (490 Punkte) und Naturwissenschaften aus (487 Punkte). Hinzu kommt: Besonders problematisch war der Anteil der Risikogruppe, also der Schüler, deren mathematische Fähigkeiten über das Grundschulniveau nicht hinausreichen. In Deutschland war der Anteil mit fast 25 Prozent ungewöhnlich hoch. Außerdem wies Deutschland die höchsten Leistungsunterschiede zwischen den sozialen Schichten auf.
Deutschlands Aufstieg und Fall
Daraufhin kam es zu grundlegenden Reformen in der Bildungspolitik: Kindertagesstätten wurden zu Bildungseinrichtungen, Ganztagsschulen wurden eingeführt, sogenannte Risikoschüler wurden individueller gefördert. In den folgenden Jahren stiegen die Ergebnisse mit jeder weiteren Studie an. Bei der Lesekompetenz kamen deutsche Schüler im Jahr 2015 auf 509 Punkte, drei Jahre später fielen sie jedoch wieder auf 498. Damit lag Deutschland immer noch über dem internationalen Durchschnitt von 487 und auch im oberen Bereich (Stufe 3) der insgesamt 79 getesteten Länder. Zum Vergleich: Spitzenreiter Singapur erreichte 549 Punkte.
Ähnlich verlief es in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften, da fielen die deutschen Punktzahlen bereits im Jahr 2015. Zuletzt lagen sie bei 500 bzw. 503 Punkten. Auch hier lag Deutschland immer noch international auf hohem Niveau. Der internationale Durchschnitt betrug jeweils 489 Punkte.
Die höchste Lesekompetenz in Europa erzielten 2018 die Schüler der Länder Estland, Finnland und Irland. In Mathematik lagen nach Estland die Niederlande und Polen vorn.
Was ist die PISA-Studie?
PISA steht für "Programme for International Student Assessment", also ein Vergleich von Schülern auf der ganzen Welt. Getestet werden die Fähigkeiten von 15-Jährigen in Mathematik, Naturwissenschaften und im Lesen. Es geht nicht um Faktenwissen, sondern darum, wie gut Wissen angewendet und sinnvoll verknüpft wird. Ziel ist es, durch den internationalen Vergleich einen Anstoß zu geben, um Bildungspolitik zu verbessern.
Die Studie wird durchgeführt von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Die erste fand im Jahr 1999 statt und wurde im Jahr 2000 veröffentlicht, damals nahmen 32 Staaten teil. Seitdem wurde sie im Abstand von drei Jahren wiederholt, zuletzt in 81 Ländern. Im Jahr 2021 wurde PISA wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben, daher liegen nun die Ergebnisse von 2022 vor.
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