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Pizza oder Chinesisch?

Die Party ist laut, Dutzende von Leuten reden durcheinander - und trotzdem kann man einen einzelnen Gesprächspartner verstehen. Diese Fähigkeit des menschlichen Gehörs, das selektive Hören, hilft nicht nur Partylöwen. US-Forscher haben darauf aufbauend eine Gehirn-Computer-Schnittstelle der besonderen Art entwickelt.

Von Frank Grotelüschen | 16.05.2012
    "Sie stehen in einem vollen Raum mit Leuten, die alle durcheinanderreden. Dennoch können Sie sich auf den Gesprächspartner konzentrieren, dem sie zuhören wollen, und können alle anderen ausblenden.

    Und obwohl sie sich auf jemanden konzentrieren, scheint Ihr Gehirn alles zu registrieren, was sonst noch zu hören ist. Denn ruft jemand Sie vom anderen Ende des Raums beim Namen, horchen Sie sofort auf - und zwar ohne dass sie sich auf diese Person konzentriert hätten."

    Das selektive Gehör fasziniert Ross Maddox von der University of Washington in Seattle schon seit Langem. Unklar aber war folgende Frage: Wann setzt diese Fähigkeit aus? Ab welchem Hintergrundpegel also kann sich ein gesundes Gehör nicht mehr auf eine bestimmte Stimme konzentrieren? Um das zu beantworten, dachten sich Ross Maddox und sein Kollege Adrian Lee ein Experiment aus. Und zwar bekamen ihre Probanden am PC und per Kopfhörer ein wildes Durcheinander vorgespielt, eine Art akustische Buchstabensuppe.

    "Dann erschien auf dem Bildschirm ein Buchstabe, zum Beispiel ein J. Auf diesen Buchstaben sollten sich die Probanden konzentrieren, sollten ihn aus dem akustischen Salat heraushören. Und immer, wenn das J durch einen R ersetzt wurde, sollten sie auf einen Knopf drücken."

    Kontinuierlich steigerten die Forscher den Schwierigkeitsgrad und ließen den akustischen Hintergrund immer chaotischer werden.

    "Die Ergebnisse dieser Experimente haben uns ziemlich überrascht: Bei den komplexeren Hörbeispielen hätten wir nie damit gerechnet, dass die Probanden die Aufgabe, einzelne Buchstaben herauszuhören, bewältigen können. Aber sie haben es tatsächlich geschafft. Selbst vor einem extrem chaotischen Hintergrund haben die Probanden 70 Prozent der Buchstaben richtig erkannt."

    Die verblüffend hohe Erkennungsrate brachte Lee und Maddox auf eine Idee. Vielleicht ließe sich das selektive Hören ja nutzen, um einen Rechner zu bedienen. Eine neue Methode der Gedankensteuerung, eine Gehirn-Computer-Schnittstelle der besonderen Art.

    "Man könnte jemandem eine Collage aus verschiedenen Wörtern vorspielen und gleichzeitig seine Hirnströme messen, also sein EEG. Aus diesem EEG ließe sich dann ablesen, auf welches Wort sich dieser Mensch gerade konzentriert. Und diese Information könnte man dazu nutzen, einen Computer zu steuern oder einen Rollstuhl."

    Interessant wäre das zum Beispiel für sog. Locked-in-Patienten - Menschen, die so stark gelähmt sind, dass sie sich praktisch nicht mehr verständigen können. Per Kopfhörer würde man ihnen eine Collage vorspielen, in der einige wenige Wörter vorkommen wie links, rechts, geradeaus oder stopp. Konzentriert sich der Patient auf das Wort "links", würde ein Sensor das EEG messen. Ein Algorithmus würde es analysieren und den Rollstuhl nach links lenken. Und eines Tages, glaubt Adrian Lee, könnte jeder von uns von der neuen Technik profitieren.

    "Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Auto, sind hungrig und wollen etwas per Internet bestellen, ohne was ins Handy eintippen zu müssen. Dann könnten sie sich eine Art akustische Speisekarte vorspielen lassen. Eine der Stimmen würde dann zum Beispiel immer 'Pizza, Pizza, Pizza' sagen, eine andere dagegen 'Chinesisch, Chinesisch, Chinesisch.'"

    Der schlaue EEG-Sensor würde, man ahnt es schon, einem den Wunsch nicht von den Lippen ablesen, sondern direkt von der Hirnrinde. Doch bevor solche Visionen wahr werden können, müssen Maddox und Lee noch einiges an Grundlagenarbeit erledigen. Vor allem müssen sie herausfinden, wie man das EEG richtig deutet und feststellt, ob sich jemand zum Beispiel auf das Wort "Pizza" konzentriert oder auf das Wort "Chinesisch".