Dirk-Oliver Heckmann: Für Bundesverkehrsminister Dobrindt von der CSU ist die Sache klar. Von 2016 an sollen alle Autofahrer für die Nutzung deutscher Straßen eine Abgabe zahlen. Mehrkosten sollen den deutschen Autofahrern aber nicht entstehen. Einige Nachbarstaaten drohen bereits mit einer Klage wegen Diskriminierung und auch die EU-Kommission fordert eine Gleichbehandlung aller Autofahrer.
Mein Kollege Martin Zagatta hat gestern Abend mit Professor Karl-Hans Hartwig gesprochen. Er ist Seniorprofessor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Universität in Münster. Und der Verkehrsexperte hält das, was Dobrindt gestern vorgestellt hat, für keinen großen Wurf.
Karl-Hans Hartwig: Wenn es darum geht, möglichst schnell Geld zu generieren, dann ist das schon okay. Das ist jetzt ganz kurz gefasst. Wenn es nur darum geht, wirklich eine Finanzierungsfunktion zu erfüllen, dann kann man das so machen. So würde ich es mal sagen. Das heißt aber nicht, dass das jetzt nun irgendwie eine besonders gute Lösung ist, wie man das macht. Das ist wieder eine andere Geschichte.
Martin Zagatta: Warum nicht? Sie sind da skeptisch?
Hartwig: Die Verkehrswissenschaft ist eigentlich schon lange dafür, dass man Kfz-Steuer abschafft und durch eine Maut ersetzt, denn die Kfz-Steuer ist ja so eine Art Flatrate. Sie zahlen für den Besitz eines Fahrzeuges, unabhängig von der Nutzung. Die Wissenschaft möchte eigentlich immer eine nutzungsabhängige Maut, also kilometerabhängig.
"Unklar ist, ob die Einnahmen auch wirklich die Ausgaben decken"
Zagatta: Aber das wäre wahrscheinlich noch schwieriger umzusetzen?
Hartwig: Ja, das ist zu teuer wahrscheinlich. Das heißt aber, man schafft ab sinnvollerweise ein System, was verkehrspolitisch nicht effizient ist, ersetzt es aber durch eine Maut, die genauso wenig effizient ist. Das ist das erste Problem, das ich sehe. Dann gibt es noch weitere, die beispielsweise darin bestehen, dass mir noch vollkommen unklar ist, ob die Einnahmen auch wirklich die Ausgaben decken. Denn die Einführung einer Maut kostet ja auch Geld. Sie haben ja Kontrollkosten, Bürokratiekosten. Sie haben ja von dieser etwas komplizierten Umrechnung jetzt der Maut in die Kfz-Steuer und zurück berichtet. Alles das verursacht ja Kosten. Die Maut soll ja ausgedehnt werden auf alle Straßen, also nicht nur auf die Bundesautobahnen und vielleicht die Bundesfernstraßen, sondern auf die Kommunalstraßen, auf die Landesstraßen. Da muss ja kontrolliert werden, ob die auch alle die Maut bezahlt haben. Das macht die Polizei nicht, sondern da müssen irgendwelche besonderen, von der Bundesanstalt für Straßenwesen oder irgendwo anders her Personen beauftragt werden zu kontrollieren, ob die Maut auch bezahlt wird.
Zagatta: Ist das, was Dobrindt da jetzt einführen will, überhaupt eine Maut, oder ist das jetzt eine Straßenbenutzungssteuer, wenn man es auf den Punkt bringen will, und insofern doch irgendwie wieder, was Sie vorhin Flatrate genannt haben?
Hartwig: Auf jeden Fall ist es eine Flatrate, egal wie es genannt wird. Für mich ist nur sehr bedenklich, dass man jetzt einführt eine sogenannte Infrastrukturabgabe. So heißt es ja offiziell. Und eine Abgabe ist auch eine Steuer und eine Steuer ist nicht zweckgebunden, und das führt mich zum dritten Problem nämlich dieser Maut, die jetzt eingeführt werden soll. Es ist gar nicht sichergestellt bisher, dass die Einnahmen dann auch wirklich in den Straßenbau wieder fließen. Ich habe bisher außer dem Hinweis, dass man will, dass das zweckgebunden verwendet wird, keine einzige Regel oder kein Verfahren gefunden, wo so was beschrieben wird.
Zagatta: Das könnte man aber in ein solches Gesetz hineinschreiben?
Hartwig: Da bin ich sehr skeptisch. Man hat ja auch bei der Einführung der Mineralölsteuer, 1959 oder wann das war, eine Zweckbindung ins Gesetz reingeschrieben. Aber diese Zweckbindung wird ja jedes Jahr durch die jeweilige Bundesregierung und das jeweilige Parlament wieder aufgehoben seit 1960. Eigentlich ist der Teil der Mineralölsteuer, der aus dem Verkehr kommt, zweckgebunden für die Straßeninfrastruktur zu verwenden. Das hat noch nie jemand gemacht. Und denken Sie an die LKW-Maut, als sie eingeführt wurde 2003. Da war das Argument der Politik, wenn wir jetzt die LKW-Maut haben, dann haben wir zusätzliche Einnahmen für die Bundesautobahnen insbesondere. Kaum war die LKW-Maut eingeführt, hat der Bund seine Ausgaben für die Autobahnen genau um den Anteil reduziert, der durch die LKW-Maut reingekommen ist. Also Nullsummenspiel, wenn Sie es so wollen.
"Man führt jetzt praktisch Ungerechtigkeiten ein"
Zagatta: Herr Hartwig, jetzt scheint es, dem Verkehrsminister Dobrindt aber vor allem darum zu gehen, da für Gerechtigkeit zu sorgen. So ist das ja im Wahlkampf diskutiert worden, so ist wahrscheinlich das Ganze auch in den Koalitionsvertrag hinein gekommen. Er will Autofahrer aus dem Ausland dazu bringen, dass sie, auch wenn sie durch Deutschland fahren, dafür zahlen, so wie deutsche Autofahrer das in vielen Nachbarländern auch machen müssen. Das scheint mit diesem Modell aber zu gelingen?
Hartwig: Aber nur zur Hälfte, denn überlegen Sie mal, wenn Sie mal hier in den Norden gehen: In Holland zahlt man keine Maut, in Belgien zahlt man keine Maut, in Dänemark zahlt man keine Maut, in England zahlt man keine Maut. Die müssen jetzt bei uns alle eine Maut bezahlen, obwohl wir bei ihnen keine Maut bezahlen. Ich weiß nicht, ob das gerecht ist. Man führt jetzt praktisch da Ungerechtigkeiten ein, indem man versucht, sie auf andere Weise zu vermeiden. Außerdem muss man immer daran erinnern, dass ja die Österreicher und die Schweizer und die Franzosen und die Italiener und wer auch immer, die selbst eine Maut haben, dass die Inländer ja auch die Maut bezahlen. Ich glaube, was wir jetzt einführen, ist einmalig in der Welt, dass man eine Maut einführt, also eine Straßenbenutzungsgebühr nur für Ausländer.
Zagatta: Glauben Sie, dass das vereinbar ist mit dem EU-Recht? Davon geht der Minister aus.
Hartwig: Ich bin mir sehr unsicher. Ich hatte vor mehreren Jahren mal ein ähnliches Modell empfohlen, nämlich Einführung einer Vignette, zunächst in einer Übergangsphase, weil eine normale Maut, eine nutzungsabhängige Maut zu teuer ist, und dann eine Kompensation über die Kfz-Steuer. Da haben die Juristen gesagt, das ist nicht mit dem EU-Recht kompatibel, weil das eine Diskriminierung von EU-Mitbürgern aus anderen Bundesländern ist.
Heckmann: Soweit Professor Karl-Hans Hartwig, Seniorprofessor des Instituts für Verkehrswissenschaft aus Münster. Das Gespräch führte mein Kollege Martin Zagatta.
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