E-Mails checken, bei Facebook einloggen, den Online-Warenkorb bestücken und noch schnell einen Artikel bei "Spiegel Online" lesen. Das ist der digitale Alltag. Er ist selbstverständlich für viele. Aber das ist auch der digitale Albtraum - überfordernd für andere:
"Wo man irgendwie das Gefühl hat, alles liefe viel schneller ab, als man es mitbekommen und verstehen kann, und wo sich der Fortschritt im Zeitraffertempo abzuspielen scheint."
Das Internet hat den Alltag beschleunigt. Das ist der Ausgangspunkt, an dem Ossi Urchs und Tim Cole ihr Buch beginnen. Die beiden sind Internetexperten, sie bloggen etwa und beraten Unternehmen, wie diese sich digital aufstellen können. Urchs und Cole schreiben, viele Menschen seien durch die Digitalisierung orientierungslos und, erschöpft. Ihr Kopf komme nicht mehr mit. Was folgt, ist aber kein Manifest gegen das Internet. Nein, es ist ein Plädoyer für die Digitalisierung. Mit der wir uns auseinandersetzen sollten, denn:
"Digitalisierung und Vernetzung sind kein Schnupfen, sie gehen nicht wieder weg."
Sagt der Journalist Tim Cole. Das gemeinsame Buch mit Ossi Urchs möchte ein Kompass sein für den digitalen Planeten – und zu einem neuen Denken anregen. Ein Denken, das es leichter macht, die vernetzte Welt zu verstehen und sie zu gestalten. Dabei betonen beide Autoren, selbst 1954 und 1950 geboren, dass man dafür nicht zu alt sein kann. Quintessenz: Das Internet macht uns alle nicht dümmer, sondern klüger.
"Indem wir also immer mehr lernen, in diesem Meer von Informationen zu baden und zurechtzukommen, desto mehr entwickeln wir die Fähigkeit selbstbestimmt zu denken und das, glaube ich, ist ein sehr gutes Ergebnis der digitalen Revolution."
Keine Rede also von digitaler Demenz. Ihr Buch wendet sich damit auch gegen Autoren wie etwa Manfred Spitzer oder Frank Schirrmacher.
"Diese 'Kritiker' des Internets können sich nicht vorstellen, dass Menschen sehr wohl die Fähigkeit besitzen (...) haarscharf zwischen relevanten und irrelevanten Informationen zu unterscheiden. Sie sehen die Menschen als Vieh, das nur stumm wiederkäuen und sich ansonsten von medialen Hirten, wie ihnen vorantreiben lassen muss in eine ungewisse, fremdgesteuerte Zukunft."
Mit diesem Szenario wollen sich Urchs und Cole nicht abfinden. Sie wollen einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen. Auf ihren 280 Seiten provozieren sie Kopfschütteln, sie regen aber auch zum Nachdenken an. Sie gehen auf verschiedene Lebensbereiche ein, die sich durch das Internet verändern: etwa die Arbeitswelt, die politische Mitbestimmung oder die Privatsphäre.
"Wir glauben, dass wir ein Recht haben auf Privatheit, und stellen uns vor, dass wir die Tür zumachen können und eine Welt dadurch schaffen, in der nur wir Zugang haben. Und das ist natürlich in einer Welt der totalen Transparenz und Offenheit, auf die wir zusteuern, ob wir wollen oder nicht, natürlich überholt. De facto werden wir in Zukunft in einem digitalen Dorf leben, und in einem Dorf weiß jeder alles über jeden. Das ist einfach so. Das ist aber auch gar nicht so furchtbar schrecklich."
Widerspruch keimt an dieser Stelle auf – denn für manch einen ist diese Vorstellung eines digitalen Dorfs durchaus schrecklich. Aber Cole und Urchs schieben hinterher: Es lasse sich auch in der digitalen Gesellschaft steuern, wer was von wem wisse. Es könne so etwas wie eine digitale Diskretion geben. Wer durchs digitale Schlüsselloch luge, der werde schon jetzt als unverschämt, ja peinlich empfunden.
"Wenn wir uns alle einig sind, dass es einfach nicht nett ist, die Bilder von der betrunkenen Kollegin von der Weihnachtsfeier ohne ihr Wissen auf Facebook postet. Wenn wir uns einig sind, dass das ein Regelverstoß ist, dann gibt es natürlich Möglichkeiten, diejenigen, die dagegen verstoßen, auszugrenzen, indem man sie einfach ausschließt aus der Kommunikation. Das ist die Höchststrafe – wenn man so will - im Zeitalter der totalen Kommunikation."
Problematisch an diesen Thesen: Urchs und Cole haben einen Menschen vor Augen, der anpassungsfähig und bereit ist, sich von seiner Couch zu erheben und sich verändern möchte - und der dazu auch noch eine guter Mensch ist, ohne die Neugierde des Boulevards. Dieser Grundansatz ist problematisch. Was auch für andere Aussagen des Buches gilt. Etwa für jene zur Arbeitswelt:
"Fakt ist: Der vernetzte Arbeiter hat niemals ‚Feierabend‘, er kommuniziert fortgesetzt mit Freunden und Arbeitskollegen, mit Kunden oder Vorgesetzten."
Aber wollen wir das überhaupt? Ständig vernetzt und ohne Feierabend? Cole und Urchs wollen provozieren, ohne Frage. Ein wichtiger anderer Aspekt allerdings wird nur am Rande behandelt: die möglichen Gefahren durch das Internet. Geheimdienste, die uns überwachen, Cyberangriffe, die Atomkraftwerke lahmlegen könnten - das alles hätte mehr Raum verdient, weil das die Ängste der Menschen sind.
Und trotzdem: "Digitale Aufklärung" ist ein wichtiges Buch, weil es sich einer wichtigen Debatte widmet. Es stellt richtige Fragen. Rechtliche beispielsweise: Brauchen wir ein neues Urheberrecht?
"Es hat sich zur Kreativitätsbremse entwickelt und sollte deshalb abgeschafft werden."
Handlungsbedarf sehen die Autoren auch auf diesem Feld: Ist mein Smartphone vor polizeilicher Durchsuchung geschützt genauso wie mein Computer? Hier gebe es noch keine eindeutige Rechtsprechung. Cole und Urchs skizzieren zudem, welche Folgen die Digitalisierung für die Demokratie haben könnte:
"Die radikalste Antwort auf diese Frage lautet: Sie kann politische Parteien ersetzen, und zwar durch unmittelbare Beteiligung der Bürger."
Dass Parteien damit überflüssig werden, so weit gehen die Autoren dann aber nicht. Erneut unbeantwortet bleiben die Fragen "Wie steht es um den Datenschutz bei möglichen Abstimmungen via Internet?" und "Wie kann so eine Abstimmung vor Hackerangriffen geschützt werden?". Unter dem Strich ist das Buch "Digitale Aufklärung" eine gute Diskussionsgrundlage zweier Vordenker, eine philosophische Abhandlung. Sowohl für Laien als auch für Experten. Verständlich geschrieben und herausfordernd.
Auch wenn es jene kaum mehr überraschen kann, die ohnehin schon im Internet Zuhause sind und mit der Formulierung "Ich geh mal kurz ins Netz" schon lange nichts mehr anfangen können. Und dennoch: Auch für sie kann sich ein Blick in dieses Buch lohnen – als Zusammenfassung einer wichtigen Diskussion darüber, wie wir künftig mit der Vernetzung leben können und wollen.
Ossi Urchs/Tim Cole: Digitale Aufklärung. Warum uns das Internet klüger macht.
Carl Hanser Verlag, 280 Seiten, 18,90 Euro
ISBN: 978-3-446-43673-2
"Wo man irgendwie das Gefühl hat, alles liefe viel schneller ab, als man es mitbekommen und verstehen kann, und wo sich der Fortschritt im Zeitraffertempo abzuspielen scheint."
Das Internet hat den Alltag beschleunigt. Das ist der Ausgangspunkt, an dem Ossi Urchs und Tim Cole ihr Buch beginnen. Die beiden sind Internetexperten, sie bloggen etwa und beraten Unternehmen, wie diese sich digital aufstellen können. Urchs und Cole schreiben, viele Menschen seien durch die Digitalisierung orientierungslos und, erschöpft. Ihr Kopf komme nicht mehr mit. Was folgt, ist aber kein Manifest gegen das Internet. Nein, es ist ein Plädoyer für die Digitalisierung. Mit der wir uns auseinandersetzen sollten, denn:
"Digitalisierung und Vernetzung sind kein Schnupfen, sie gehen nicht wieder weg."
Sagt der Journalist Tim Cole. Das gemeinsame Buch mit Ossi Urchs möchte ein Kompass sein für den digitalen Planeten – und zu einem neuen Denken anregen. Ein Denken, das es leichter macht, die vernetzte Welt zu verstehen und sie zu gestalten. Dabei betonen beide Autoren, selbst 1954 und 1950 geboren, dass man dafür nicht zu alt sein kann. Quintessenz: Das Internet macht uns alle nicht dümmer, sondern klüger.
"Indem wir also immer mehr lernen, in diesem Meer von Informationen zu baden und zurechtzukommen, desto mehr entwickeln wir die Fähigkeit selbstbestimmt zu denken und das, glaube ich, ist ein sehr gutes Ergebnis der digitalen Revolution."
Keine Rede also von digitaler Demenz. Ihr Buch wendet sich damit auch gegen Autoren wie etwa Manfred Spitzer oder Frank Schirrmacher.
"Diese 'Kritiker' des Internets können sich nicht vorstellen, dass Menschen sehr wohl die Fähigkeit besitzen (...) haarscharf zwischen relevanten und irrelevanten Informationen zu unterscheiden. Sie sehen die Menschen als Vieh, das nur stumm wiederkäuen und sich ansonsten von medialen Hirten, wie ihnen vorantreiben lassen muss in eine ungewisse, fremdgesteuerte Zukunft."
Mit diesem Szenario wollen sich Urchs und Cole nicht abfinden. Sie wollen einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen. Auf ihren 280 Seiten provozieren sie Kopfschütteln, sie regen aber auch zum Nachdenken an. Sie gehen auf verschiedene Lebensbereiche ein, die sich durch das Internet verändern: etwa die Arbeitswelt, die politische Mitbestimmung oder die Privatsphäre.
"Wir glauben, dass wir ein Recht haben auf Privatheit, und stellen uns vor, dass wir die Tür zumachen können und eine Welt dadurch schaffen, in der nur wir Zugang haben. Und das ist natürlich in einer Welt der totalen Transparenz und Offenheit, auf die wir zusteuern, ob wir wollen oder nicht, natürlich überholt. De facto werden wir in Zukunft in einem digitalen Dorf leben, und in einem Dorf weiß jeder alles über jeden. Das ist einfach so. Das ist aber auch gar nicht so furchtbar schrecklich."
Widerspruch keimt an dieser Stelle auf – denn für manch einen ist diese Vorstellung eines digitalen Dorfs durchaus schrecklich. Aber Cole und Urchs schieben hinterher: Es lasse sich auch in der digitalen Gesellschaft steuern, wer was von wem wisse. Es könne so etwas wie eine digitale Diskretion geben. Wer durchs digitale Schlüsselloch luge, der werde schon jetzt als unverschämt, ja peinlich empfunden.
"Wenn wir uns alle einig sind, dass es einfach nicht nett ist, die Bilder von der betrunkenen Kollegin von der Weihnachtsfeier ohne ihr Wissen auf Facebook postet. Wenn wir uns einig sind, dass das ein Regelverstoß ist, dann gibt es natürlich Möglichkeiten, diejenigen, die dagegen verstoßen, auszugrenzen, indem man sie einfach ausschließt aus der Kommunikation. Das ist die Höchststrafe – wenn man so will - im Zeitalter der totalen Kommunikation."
Problematisch an diesen Thesen: Urchs und Cole haben einen Menschen vor Augen, der anpassungsfähig und bereit ist, sich von seiner Couch zu erheben und sich verändern möchte - und der dazu auch noch eine guter Mensch ist, ohne die Neugierde des Boulevards. Dieser Grundansatz ist problematisch. Was auch für andere Aussagen des Buches gilt. Etwa für jene zur Arbeitswelt:
"Fakt ist: Der vernetzte Arbeiter hat niemals ‚Feierabend‘, er kommuniziert fortgesetzt mit Freunden und Arbeitskollegen, mit Kunden oder Vorgesetzten."
Aber wollen wir das überhaupt? Ständig vernetzt und ohne Feierabend? Cole und Urchs wollen provozieren, ohne Frage. Ein wichtiger anderer Aspekt allerdings wird nur am Rande behandelt: die möglichen Gefahren durch das Internet. Geheimdienste, die uns überwachen, Cyberangriffe, die Atomkraftwerke lahmlegen könnten - das alles hätte mehr Raum verdient, weil das die Ängste der Menschen sind.
Und trotzdem: "Digitale Aufklärung" ist ein wichtiges Buch, weil es sich einer wichtigen Debatte widmet. Es stellt richtige Fragen. Rechtliche beispielsweise: Brauchen wir ein neues Urheberrecht?
"Es hat sich zur Kreativitätsbremse entwickelt und sollte deshalb abgeschafft werden."
Handlungsbedarf sehen die Autoren auch auf diesem Feld: Ist mein Smartphone vor polizeilicher Durchsuchung geschützt genauso wie mein Computer? Hier gebe es noch keine eindeutige Rechtsprechung. Cole und Urchs skizzieren zudem, welche Folgen die Digitalisierung für die Demokratie haben könnte:
"Die radikalste Antwort auf diese Frage lautet: Sie kann politische Parteien ersetzen, und zwar durch unmittelbare Beteiligung der Bürger."
Dass Parteien damit überflüssig werden, so weit gehen die Autoren dann aber nicht. Erneut unbeantwortet bleiben die Fragen "Wie steht es um den Datenschutz bei möglichen Abstimmungen via Internet?" und "Wie kann so eine Abstimmung vor Hackerangriffen geschützt werden?". Unter dem Strich ist das Buch "Digitale Aufklärung" eine gute Diskussionsgrundlage zweier Vordenker, eine philosophische Abhandlung. Sowohl für Laien als auch für Experten. Verständlich geschrieben und herausfordernd.
Auch wenn es jene kaum mehr überraschen kann, die ohnehin schon im Internet Zuhause sind und mit der Formulierung "Ich geh mal kurz ins Netz" schon lange nichts mehr anfangen können. Und dennoch: Auch für sie kann sich ein Blick in dieses Buch lohnen – als Zusammenfassung einer wichtigen Diskussion darüber, wie wir künftig mit der Vernetzung leben können und wollen.
Ossi Urchs/Tim Cole: Digitale Aufklärung. Warum uns das Internet klüger macht.
Carl Hanser Verlag, 280 Seiten, 18,90 Euro
ISBN: 978-3-446-43673-2