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Plädoyer für einen neuen Antikommunismus

Kommunismus ist nicht gleich Kommunismus. Denn was Rosa Luxemburg darunter verstand, war nicht unbedingt das, was sich Che Guevara dachte. Die verschiedenen Strömungen und Ideen darzustellen, das hat sich das "Das Handbuch des Kommunismus" zur Aufgabe gemacht.

Von Hans-Joachim Föller |
    Den größten Propagandaerfolg der Kommunisten sah der Publizist Joachim Fest in der Tabuisierung von Hinweisen auf Ähnlichkeiten von National- und Realsozialismus. Wie Recht er damit hatte, zeigte sich vor 13 Jahren. Damals erschien das "Schwarzbuch des Kommunismus", ein Skandalerfolg. Herausgeber des anstößigen Opus: der französische Historiker Stéphane Courtois. Er präsentierte die Zahl von geschätzt 80 bis 100 Millionen Toten, die der Kommunismus zu verantworten hatte, und erbrachte den Nachweis, dass die linke Variante des Totalitarismus keinen quantitativen Vergleich mit dem Nazireich zu scheuen braucht. Nun hat derselbe Autor "Das Handbuch des Kommunismus" herausgegeben. Gleich zu Beginn nimmt sich Courtois einer Legende an: der Legende, der Kommunismus sei eine gute Idee gewesen, die nur schlecht umgesetzt wurde.

    Bereits unter Lenin zeichnete sich das Auseinanderklaffen von kommunistischem Ideal (nämlich dem gemeinschaftlichen Glück und der heiligen Gleichheit, die schon "Gracchus" Babeuf 1795 verkündet hatte) und Wirklichkeit ab: Tatsächlich waren die Führungsriege und die Verwaltungsbeamten der Staatspartei "gleicher" als alle anderen. Dieser Graben vertiefte sich 1928/1929 während der Revolution unter Stalin und festigte sich in der Regierungszeit seiner Nachfolger.
    Die Sowjetunion blieb in der Geschichte in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Alle kommunistischen Regime waren von diesem Grundwiderspruch gekennzeichnet: Auf der einen Seite stand die Ideologie der Gleichheit, auf der anderen die Lebenswirklichkeit der überwiegend armen Bevölkerung, die unter den Privilegien der Mächtigen zu leiden hatte. Zugleich tönte die kommunistische Propaganda von den "Verbrechen des Kapitalismus" und verkündete, in der UdSSR habe das Glück eine Heimstatt. Auf Dauer ließen sich die menschlichen Tragödien, die sich in der Sowjetunion abspielten, selbst dort nicht verbergen. So kam es, dass Nikita Chruschtschow 1956 während des XX. Parteitages der KPdSU immerhin einige Verbrechen Stalins zugegeben hatte. Nun stand die Frage im Raum, wie es dazu hatte kommen können, dass das schöne Ideal solch schlimme Folgen zeitigte. Ein genaues Studium der Werke Lenins, Stalins, Maos, Guevaras und Trotzkis zeigt jedoch, dass die kommunistischen Anführer niemals ein humanistisches Ideal versprochen hatten.

    Ihnen ging es darum, die absolute Macht zu erlangen, darum, zuerst die Partei und später die gesamte Gesellschaft zu beherrschen. Sie stellten sich ganz in den Dienst der Sache, nämlich der radikalen Zerstörung des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft sowie des Aufbaus eines kommunistischen Staatswesens. Legitimiert war dieses Bestreben einzig durch Ideologie und Machtwillen. Marx schloss das "Kommunistische Manifest" 1848 mit den Worten: "Sie (die Kommunisten) erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung".
    Das heißt: Die Nutzung des Terrors als gewöhnliches Regierungsinstrument durch die Bolschewiki war kein Zufall, sondern die Konsequenz aus einer verhängnisvollen politischen Philosophie. Die Gründungsfigur des Kommunismus im 20. Jahrhundert war Lenin. Er entwickelte die kommunistische Ideologie und den Organisationstyp der Partei, die immer recht hat. Den Grundstein zum Bolschewismus legte Lenin in seiner Schrift "Was tun?" Darin entfaltet er den Gedanken, dass das revolutionäre Bewusstsein nur von außen an das Proletariat herangetragen werden kann - durch revolutionäre Intellektuelle wie ihn zum Beispiel. Der Gründer der Sowjetunion propagiert eine Geheimorganisation, die im Untergrund wirkt, zentralistisch aufgebaut ist und aus wenigen, streng ausgewählten Mitgliedern besteht, sogenannten Agenten.

    "Mir gefällt dieses Wort", schreibt er, "denn es betont klar und deutlich die gemeinsame Sache, der alle Agenten ihre Vorhaben und Handlungen unterordnen (...). Wir aber brauchen eine militärische Organisation von Agenten". Er ist fasziniert von der durchrationalisierten modernen Organisationsform einer Armee oder eines kapitalistischen Großunternehmens, deren Führung "die Einheit des Willens" verkörpere.
    Für Freiheit bleibt da kein Raum. Als Führer der Bolschewiki plädiert Lenin für Berufsrevolutionäre und eine strenge Parteidisziplin. Nach seinem Modell wird die Partei von einer radikalen Gruppierung beherrscht, und diese untersteht wiederum dem Diktat eines einzelnen Mannes. Ergänzt wird diese Politik durch das Prinzip der Säuberung. Zunächst wird die Partei von unzuverlässigen und störenden Elementen gesäubert, später die Gesellschaft. Genau darin besteht eine wesentliche Grundlage des sowjetischen Totalitarismus. Das gleiche gilt für den Sowjet-Staat DDR. Über die SED-Diktatur schreiben die beiden einzigen nicht-französischen Autoren des Bandes Klaus Schroeder und Jochen Staadt im Kapitel "Kommunismus in Deutschland". Bei der Charakterisierung des Herrschaftstypus der DDR nehmen die beiden Wissenschaftler vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin eine bemerkenswerte Unterscheidung vor: zwischen einer wesentlich gewalttätigeren Frühphase, etwa bis 1970, und einer etwas milderen Herrschaftspraxis, den Jahren bis 1989.

    Der SED-Staat kannte weder Gewaltenteilung noch kulturellen, sozialen oder politischen Pluralismus. In den letzten beiden Jahrzehnten verringerte sich die Umsetzungskraft des totalitären Herrschafts- und Gestaltungsanspruchs. Der ihr von den veränderten internationalen Rahmenbedingungen und der innerdeutschen Systemkonkurrenz aufgezwungene Wechsel vom gewaltsamen totalitären System zu einem spättotalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat konnte jedoch den Niedergang und Untergang des SED-Staates nicht verhindern.
    Den Untergang der Diktatur hat die einst staatstragende Partei nach mehreren Häutungen und Mutationen überlebt. Zurzeit nennt sie sich "Die Linke". Ihr Freiheitsverständnis, auch das wird herausgearbeitet, ist jedenfalls nicht das des Grundgesetzes. Vielmehr hat sie ihren Freiheitsbegriff an die SED-Ideologie angelehnt. Solche fragwürdigen Traditionsbestände im ideologischen Gepäck der Linkspartei stellen für die Bundesrepublik eine Herausforderung dar. Auch deshalb beklagen Schroeder und Staadt die Auflösung des antitotalitären Konsens´. Denn beachtliche Teile der deutschen Gesellschaft sind inzwischen auf dem linken Auge blind geworden. Tatsächlich sei aber der Antikommunismus in einer zivilen Gesellschaft eine notwendige politische Tugend. Fazit: Mit seinem 862 Seiten umfassenden Handbuch des Kommunismus ist Courtois buchstäblich ein gewichtiges Werk gelungen. Die 22 fast ausschließlich französischen Fachautoren informieren die Leser in gut lesbaren Beiträgen zu 171 Begriffen aus der Geschichte und Gegenwart des Kommunismus, wie beispielsweise "Stalin", "Ulbricht", "Antifaschismus" und "Kulturrevolution". Ein vergleichbares Werk gibt es derzeit im deutschen Sprachraum nicht. Wer fundiertes Orientierungswissen zum Thema Kommunismus sucht, wird hier fündig.

    "Das Handbuch des Kommunismus" ist bei Piper erschienen. Es kostet 49,95 Euro, ISBN: 3-492-05260-6. Stéphane Courtois ist der Herausgeber.