Christine Heuer: Seit gestern Abend ist es amtlich: Italiens Präsident Sergio Matarella hat den Juristen Giuseppe Conte mit der Regierungsbildung beauftragt. Der bisher völlig unbekannte Jurist soll ein Bündnis der beiden Parteien Fünf Sterne und Lega anführen. Die Fünf Sterne gelten als eher links; die Lega gilt als rechtspopulistisch.
Da braut sich möglicherweise was zusammen in Italien, was den Italienern selbst und auch dem Rest Europas noch viel Kopfzerbrechen bereiten könnte, denn diese neue Koalition in Rom mag sich in vielem uneins sein; einig ist sie sich in ihrer Ablehnung des Euro, in ihrer allgemeinen Europaskepsis und in ihrem Willen, den Sparkurs im hoch verschuldeten Italien zu beenden. Auweia! Oder wird es vielleicht doch nicht so arg, wie Ökonomen und Proeuropäer jetzt warnen? – Fragen an Reinhold Messner, den Südtiroler Extrembergsteiger und früheren Europaabgeordneten der italienischen Grünen. Guten Morgen, Herr Messner.
Reinhold Messner: Guten Morgen!
Heuer: Giuseppe Conte wird auch Ihr nächster Regierungschef. Hatten Sie von dem Mann vorher je gehört?
Messner: Nein, hatte ich nicht. Aber er wird unser Regierungschef und er ist zu akzeptieren als Ministerpräsident. Generell: Die Wahl ist geschlagen. Die Fünf Sterne haben hauptsächlich gewonnen. Salvini hat auch gewonnen, mächtig im Grunde sogar. Zusammen haben sie in der Kammer die Mehrheit. Im Senat reicht es gerade und ich bin der Meinung, ich war gestern beim großen Fest in Italien, in Trento, die Italiener sind gar nicht so aufgeregt. Das Ganze wird sich ziemlich auflösen wie das Hornberger Schießen. Zuerst einmal muss eine Regierung gebildet werden und dann erst wird Matarella, der Staatspräsident, unterschreiben oder nicht. Aber das, was sie angekündigt haben, ist einfach so weit entfernt von jeder Möglichkeit, …
"Sie werden abschmieren - da bin ich ganz sicher"
Heuer: Darüber möchte ich gleich mit Ihnen sprechen, Herr Messner. Aber eine Frage hätte ich noch zu Giuseppe Conte, weil wir gucken das aus Deutschland ein bisschen überrascht an. Hierzulande wäre so ein Politiker, der wie Kai aus der Kiste erscheint und dann die Regierung führt, eigentlich geradezu undenkbar. Sind die Italiener da anders?
Messner: Wir haben ja schon einen Ministerpräsidenten gehabt, viermal hintereinander, Berlusconi, der ja auch aus dem Nichts erschien und sogar ganz allein regiert hat eine Zeit lang. Der ist inzwischen völlig verschwunden. Der wird wahrscheinlich mit seiner Bewegung das nächste Mal gar nicht mehr vorkommen. Und die Italiener haben leider oder vielleicht auch zum Glück die Fähigkeit, im Grunde zu hoffen und dann einfach das Ganze wieder abtropfen zu lassen.
Leider ist Italien unregierbar. Dieser Herr Conte ist relativ jung. Di Maio ist viel, viel jünger. Ich habe viel mehr Sorgen bei diesen Kerlen, Di Maio oder auch Salvini. Die haben ja auch keine Erfahrung. Das zeigt ja auch ihr Programm. Die haben nie richtig gearbeitet, die haben kein Studium fertig gemacht. Die haben ja bewiesen, dass sie eigentlich nicht in der Lage sind, ein Land zu führen. Das ist nicht so einfach. Dass sie dann die Chuzpe haben, das überhaupt zu denken, das ist eine Frechheit. Aber lass‘ sie doch versuchen, sie werden abschmieren. Da bin ich ganz sicher. Die werden verschwinden. Wir verlieren wieder Zeit, die Schulden werden größer und am Ende …
Heuer: Herr Messner, dann stelle ich jetzt mal eine Frage. Entschuldigung! – Was wir hier nicht so richtig verstehen – Di Maio und Salvini, das sind die Chefs dieser beiden sehr unterschiedlichen Parteien Fünf Sterne und Lega, die sich da zusammenraufen und ein gemeinsames Regierungsprogramm entwickelt haben. Und Sie sagen, die werden abschmieren. Trotzdem wollen die Bürger in Italien diese Regierung. Was ist denn nur los mit den Italienern? Erklären Sie uns die noch mal ein bisschen.
Messner: Die Italiener haben diese beiden Gruppierungen gewählt. Es hätte auch andere Konstellationen gegeben. Es hätte auch Möglichkeiten gegeben mit den Fünf Sternen und der PD, der Partito Democratico – entspricht den Sozialdemokraten in Deutschland. Das hätte gereicht, aber das haben sie nicht getan, ähnlich wie bei den Jamaika-Verhandlungen in Deutschland, und damit kam es zu dieser Konstellation.
Nun ist diese Konstellation da. Der Bürger kann nachher, nachdem gewählt ist, nicht sagen, ich hätte lieber, dass eine andere Gruppe so stark geworden wäre. Das ist das demokratische Gebaren auch bei uns. In Italien haben wir die Demokratie zu respektieren. Aber wir wissen alle, dass die die Wahl gewonnen haben mit Versprechungen, die haarsträubend sind. Aber die Leute waren einverstanden damit. Jeder Italiener, der nicht arbeitet, kriegt 780 Euro im Monat. Die Steuern werden nicht auf null, aber unter 20 Prozent in der Summe gestellt - bei Schulden, die sagenhaft sind.
Aber glauben Sie mir, das wird alles nicht passieren, weil das ist nicht möglich. Das wird Brüssel einbremsen und dann werden die Italiener wie die beiden Parteien sagen, die in der Tat neben Conte regieren werden – der Conte wird pro forma-Ministerpräsident sein; das gab es schon öfters. Das ist der 63., 64. Ministerpräsident in Italien nach dem Krieg. – Dann werden die beiden großen Parteien sagen, die das Sagen haben, wir dürfen nicht, wir dürfen diese Steuern nicht einführen, wir müssen die alten Sätze lassen, wir können nicht jedem Italiener 700 Euro plus im Monat geben, die nicht arbeiten. Und dann werden sie versuchen zu sagen, dann müssen wir leider aus Europa raus, und dann wird Italien bremsen, es wird Neuwahlen geben und dann gehen wir aus Europa nicht heraus. Das will Italien auch gar nicht. Die Bürger wollen das nicht. Die Bürger sind denen nur auf den Leim gegangen. Das ist der übliche Populismus, hier weniger extrem von rechts oder natürlich Salvini von rechts, aber bei den Fünf Sternen ist es einfach Träumerei. Das ist ein Luftschloss, das ist alles nicht denkbar.
"Ich mach‘ mir schon Sorgen, aber auch lächelnd"
Heuer: Aber es ist angekündigt. Es ist ja angekündigt als Politik, die da umgesetzt werden soll. Machen Sie persönlich sich überhaupt keine Sorgen um die Zukunft Ihres Landes, wenn gesagt wird, wir senken die Steuern, wir erhöhen die Ausgaben und wir gehen vielleicht raus aus dem Euro und Europa?
Messner: Ich mach‘ mir schon Sorgen, aber auch lächelnd. Und die Italiener, das habe ich gestern gemerkt, sagen, das kommt alles nicht so. Es wird nicht lang dauern, dann haben wir eine neue Regierung und dann schauen wir weiter.
Heuer: Ist denn den Italienern politisch alles egal? So klingt das ja.
Messner: Nein, nein, nein, nein! – Nein, die Italiener sind relativ politisch. Aber wo haben sie diese Stimmen gekriegt? Salvini hat die Stimmen im Süden gekriegt, im Süden Italiens. Natürlich würden die meisten Süditaliener am liebsten nichts tun und genügend Geld kassieren vom Staat, das aber auf der anderen Seite nicht da ist.
Die Leute gehen zur Wahl. Die Leute glauben das alles nicht, aber trotzdem gefällt es ihnen, diese Arbeitslosenunterstützung in dieser Dimension zu kriegen. Sie müssen sich das vorstellen bei den italienischen Schulden. Dass die Italiener so gewählt haben, hat auch damit zu tun, dass sie auch dem PD nicht mehr glaubten. Es ist ja seit 50 Jahren etwas erzählt worden und es ist nie eingetroffen. Berlusconi hat am Beginn ja Verträge unterschrieben im Fernsehen und gezeigt, dass er das alles macht. Nichts hat er gemacht. Viermal hat er Ministerpräsident gespielt. Italien ist geblieben, wo es war.
Italien war mit der letzten Regierung, mit Gentiloni eigentlich ganz ordentlich gefahren. Ich habe gehofft, ich habe es auch öffentlich vorgeschlagen, das heißt bei Diskussionen, der Partito Democratico soll sich nochmals in die Verantwortung nehmen, sich selber und mit Fünf Sterne zu regieren, aber mit Gentiloni als Ministerpräsident. Der hat Erfahrung, der hat Italien verstanden, der ist ein großartiger Erzähler der italienischen Vergangenheit und damit auch ein Visionär für die Zukunft. Aber den hat man nicht gewollt. Das ist ein Herr, der vorsichtig ist, der alles getan hat, um die Regeln einzuhalten.
Und jetzt wollen die Italiener vielleicht auch hören, dass sie stark genug sind, um die Regeln von Europa zu brechen. Das ist durchaus möglich, dass ein großer Teil der Italiener das will. Ich kann nicht in alle Italiener hineinschauen und ich war gestern eigentlich nicht überrascht, dass die Regierungsbildung in Auftrag gegeben worden ist. Aber ich war überrascht: Am Abend habe ich mit vielen Leuten geredet, so nebenbei bei einem Stehempfang, dass sie sagen, es ist schlimm, es ist nicht gut, aber das wird sich alles in Wohlgefallen auflösen.
Heuer: Und möglicherweise auch dadurch in Wohlgefallen auflösen, dass selbst wenn die Regierung in Rom Ernst macht, dass dann alle sich darauf verlassen können, dass Europa hilft und einspringt?
Messner: Das haben die ja auch angekündigt oder angedeutet, dass sie sich zuerst einmal einige Schulden vom Hals holen. Das muss Europa machen, weil sonst würden sie dann versuchen, mit Europa in Diskussionen zu treten. Aber das glaube ich alles, dass das nicht kommt. Frau Merkel wird Sorgen haben, aber sie kennt auch die Italiener und weiß, dass das nicht alles lang trägt.
Das Problem ist, dass wir die Probleme, die wir haben, damit nicht lösen, dass sie nur vor uns hergeschoben werden und dass sie nur größer werden, und früher oder später könnte es sein, dass es dann wirklich zu einer Auseinandersetzung kommt, dass Italien aus dem Euro austreten muss oder eine zweite Währung macht, und das haben sie alles schon vorgeschlagen. Ich bin nur gespannt. Wir Südtiroler sitzen ja leider auch im gleichen Boot. Wir kommen mit den Steuern, die angekündigt sind, mit diesen Flat Tax, die versprochen sind von Salvini, jedenfalls nicht mehr über die Runden. Dann können wir unseren Apparat nicht mehr bezahlen, und wir sind das reichste Stück von Italien.
Heuer: Herr Messner, aus allem, was Sie sagen, höre ich heraus, die Italiener sind politik-, parteienverdrossen, die haben zu viele Enttäuschungen erlebt, die nehmen vielleicht auch die eigenen Regierungen und Regierungsbildungen nicht mehr ganz so ernst, wie das andernorts vielleicht der Fall ist, und sie wählen auch aus Protest. Ist das auch Protest gegen Europa? Sie haben es ja angesprochen. Deutschland zwingt alle zum Sparen, Europa lässt Italien mit den Flüchtlingen im Stich. Ist das eine Protestwahl gegen die anderen Europäer gewesen?
Messner: Das glaube ich nicht. Das habe ich nicht, das Gefühl. Ich bin natürlich nicht im ganzen Land unterwegs. Ich bin mehr in Deutschland unterwegs als in Italien und mehr in Österreich oder in der Schweiz, aber auch in Italien, und ich bin ja jemand, der durch die Menschen meine Informationen holt. Auch in Italien haben wir natürlich diese Informationen über das Netz. Gerade Fünf Sterne ist eine Netzpartei. Die tut ja alles am Abend im Netz dann abstimmen.
Ich halte die für relativ gefährlich, nicht für scheingefährlich; die sind gefährlich. Aber sie haben soweit über die Verhältnisse Italiens ihre Visionen verbreitet, dass das alles von den Menschen zwar gewählt wurde, aber lächelnd gewählt wurde. Bringt eh nichts, aber die anderen haben es auch nicht weiter gebracht; dann lasst die einmal versuchen. So ein bisschen wurstig, ist mir gleich, inzwischen ist eh alles den Bach runtergehend. Die Schulden sind unendlich groß; irgendwie wird es der liebe Gott oder die EU schon regeln.
"Die Italiener bräuchten einen Macron"
Heuer: Herr Messner, was empfehlen Sie den Europäern im Umgang mit diesem Italien? Gelassenheit?
Messner: Es wird nichts anderes übrig bleiben. Es wird nicht lange dauern. Die Italiener bräuchten einen Macron, einen Menschen, der fähig ist, den Italienern wieder Hoffnung zu geben, der sie auch mit Kreativität segnet. Das hatten die Italiener ja, Kreativität. Sie haben ja einige Sparten, Nahrungsmittel-Produktion, auch Tourismus, ihre großen Kunstschätze. Das ist einmalig auf der Welt, aber die nutzen sie nicht mehr. Das ist nicht mehr so wie früher. Italien hätte schon theoretisch die Chance, sich in der Mitte der EU anzusiedeln.
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