Für das jetzt von der britischen Regierung ins Spiel gebrachte Modell einer vorübergehenden Zollunion mit der EU nach dem Brexit gibt es ein bekanntes Vorbild: die 1996 vereinbarte Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Der große Vorteil aus Sicht beider Parteien dabei: Zölle zwischen den Mitgliedstaaten werden abgeschafft. Aber die Zollunion geht - anders als ein Freihandelsabkommen - noch einen deutlichen Schritt weiter: Demnach sind auch für die Importe aus Drittländern die Zölle vereinheitlicht. Anders ausgedrückt: Für Einfuhren aus den USA gibt es keinen deutschen, belgischen oder türkischen Zoll, sondern es gilt ein einheitlicher EU-Zoll.
Genau deshalb aber, so der Direktor der renommierten Brüsseler Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff, könnte sich eine Zollunion zwischen der EU und Großbritannien nach dem türkischen Modell noch als schwierig erweisen: "Die Türkei ist also mit der Europäischen Union in einer Zollunion. Was Güter angeht, nicht was Dienstleistungen angeht. Das bedeutet, die Türkei kann nicht externe Handelsverhandlungen abschließen mit Drittländern. Sondern ist eben in der Zollunion daran gebunden, was die EU aushandelt. Und gerade das wollen ja viele in Großbritannien nicht".
Und daran hat sich nichts geändert. Weiterhin heißt es aus London, während der Übergangszeit werde man sich bemühen, starke neue Handelsbeziehungen auf der ganzen Welt zu verhandeln. Schließlich seien solche Abkommen gerade nach dem Brexit extrem wichtig.
Modell der Zollunion zwischen EU und Türkei taugt nur bedingt
Wie jedoch dieser offene Widerspruch mit der bisherigen EU-Position aufgelöst werden kann, ist derzeit völlig offen. Gleichzeitig taugt das bisherige Modell einer Zollunion zwischen der EU und der Türkei nur bedingt für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Union mit Großbritannien. Denn der Dienstleistungssektor ist bislang von diesem Abkommen ausgeklammert – auch wenn die EU-Kommission Ankara inzwischen eine erweitere Zollunion in Aussicht gestellt hat. Die Verhandlungen dazu liegen aber wegen der angespannten bilateralen Beziehungen derzeit auf Eis.
Für London aber, so der Wirtschaftsexperte Wolff, scheide eine abgespeckte Version einer Zollunion wie mit der Türkei ohnehin aus: "Für Großbritannien ist es aber mindestens genauso wichtig, was für Arrangements gefunden werden bezüglich der Dienstleistungen, besonders der Finanzdienstleistungen. Und da ist das entscheidende nicht die Zölle, sondern eher regulatorische Fragen". Und die könnten durchaus kompliziert wie zeitaufwendig werden.
Doch aus Kommissionssicht ist das derzeit ohnehin alles Zukunftsmusik. Natürlich werden derzeit intern längst Überlegungen angestellt, wie die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien gestaltet werden können. Doch an der offiziellen Linie ändert dies nichts: erst muss es eine substantielle Einigung bei den Scheidungsgesprächen geben – dies betrifft die Bereiche Austrittskosten, Status der EU Bürger in Großbritannien sowie die künftige Grenze zwischen Nordirland und Irland – bevor die EU bereit ist, in die zweite Verhandlungsphase über die künftigen Beziehungen überhaupt einzutreten.