Mikrochips sind derzeit Mangelware. Aber Autos, Handys, nahezu alles, was irgendwie elektrisch ist, braucht Mikrochips. Deshalb stehen regelmäßig in deutschen Autowerken die Bänder still, weil Chips fehlen. Ein Problem dabei: Die begehrten Bauteile werden größtenteils nicht in Europa, sondern in Taiwan und Südkorea hergestellt, Kritiker sehen darin eine zu große Abhängigkeit. Die EU möchte daher eine eigene Fertigungsanlage bauen, zusammen mit dem Chiphersteller Intel.
"Fertigung sollte für Europa kein zentrales Thema sein, weil wir darin nicht stark sind", kritisiert Jan-Peter Kleinhans, der sich für die Stiftung Neue Verantwortung mit der strategischen Relevanz von Halbleitern beschäftigt. Europa hinke den Fertigungstechnologien in Taiwan 15 Jahre hinterher. Statt sich auf eine Chipfabrik in Europa zu fokussieren, solle die EU besser anstreben, im Chip-Design ein relevanter Akteur zu werden. Denn im Design liege ein großer Teil der Wertschöpfung und der technologischen Gestaltungsmöglichkeiten.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Sandra Pfister: Europa will eine eigene Halbleiterindustrie aufbauen. Klingt erst mal gut. Aber nicht für Ihre Ohren. Warum nicht?
Jan-Peter Kleinhans: Hier hat man sich den Bereich ausgesucht mit den höchsten Markteintrittsbarrieren. Die notwendigen Investitionssummen sind massiv und die Aussicht auf Erfolg ist sehr gering, und das ist am wichtigsten in meinen Augen. Es profitieren derzeit die starken europäischen Halbleiterhersteller, die paar, die wir noch haben, nicht von neuesten und modernsten Fertigungsanlagen, weil die Produkte, auf die sie sich spezialisiert haben, das gar nicht benötigen. Man investiert hier eigentlich am europäischen Markt vorbei. Der Fokus sollte stattdessen viel stärker beim Design liegen als bei der Fertigung.
Pfister: Gehen wir es mal Schritt für Schritt durch.
Kleinhans: Gerne!
Pfister: Sie haben gesagt, "die, die wir noch haben", zum Beispiel Infineon.
Kleinhans: Richtig!
Pfister: Die profitieren gar nicht davon. Die haben ja sowieso ihre eigene Fabrik, die haben einen geschlossenen Kreislauf. Richtig?
Kleinhans: Ja. Die sind natürlich genauso von ausländischen Zulieferern, von ganz vielen abhängig, wie der gesamte Rest der Welt. Es gibt kein Land, was derzeit autark und auch auf absehbare Zeit autark im Bereich Halbleiter sein wird. Das ist eine massiv arbeitsteilige und komplexe und tiefe Wertschöpfungskette, wo wir letztlich sechs wichtige Regionen haben. Das sind die USA, Südkorea, Taiwan, China, Japan und Europa. Wenn man eines dieser Länder aus der Gleichung herausnimmt, dann fällt ein bisschen die Wertschöpfungskette in sich zusammen.
Kleinhans: Zulieferer-Netzwerk wird immer global sein
Pfister: Aber für Taiwan und China und die USA fällt die Wertschöpfungskette weit weniger schnell zusammen, wenn Europa herausgeht, als anders herum. Wir haben ja jetzt gemerkt, wie abhängig wir sind.
Kleinhans: Nicht unbedingt! Sie müssen sich vorstellen: Die modernsten Fertigungsanlagen, die derzeit in Südkorea und in Taiwan stehen, ist TSMC, Taiwan Semiconductor Manufacturing Company – das ist der führende Auftragsfertiger in der Welt; der sitzt in Taiwan –, und Samsung sitzt in Südkorea. Beide können keinen einzigen Chip produzieren, ohne Equipment aus den Niederlanden, ASML. Das heißt: Wenn sie Zugang zu diesem Equipment verlieren, was auch mit wichtigen deutschen Zulieferern gebaut wird, zum Beispiel Zeiss oder Trumpf, dann können auch die keine Chips mehr produzieren.
Genauso sind auch die europäischen Halbleiterhersteller – Sie hatten eben schon Infineon erwähnt, NXP, STMicroelectronics, Bosch. Wenn man denen jetzt den Zugang zu US-amerikanischer Design-Software nehmen würde, dann könnten auch die keine Chips mehr entwickeln. Das meinte ich mit arbeitsteilig.
Natürlich ist derzeit ein starker Fokus politisch auf die Fertigung. Man kann es sich auch schön vorstellen. Wir haben diese große, sehr teure Fabrik und in der werden Chips hergestellt. Aber dabei wird vergessen, dass auch diese Fabrik nicht alleine dasteht, sondern sie ist von einem globalen Zulieferer-Netzwerk abhängig, was auch immer global sein wird.
Kleinhans: Auf Chip-Design fokussieren, nicht auf Fertigung
Pfister: Das heißt, die EU macht im Moment einen Fehler, wenn sie sich so sehr auf die Fertigungsanlage konzentriert, weil sie merkt, wir sind von Taiwan und von Samsung in Korea abhängig? Sie sollte sich, wenn ich Sie richtig verstehe, eher auf die Vorstufe konzentrieren, nämlich die Chip-Entwicklung, das Chip-Design, das ja vor allem in den USA stattfindet im Moment?
Kleinhans: Genauso sieht es aus. Letztlich wenn es darum geht, wieder in Europa Technologie zu gestalten und zu erschaffen, ist es nicht der richtige Schritt zu sagen, wir wollen jetzt in die Fertigung gehen, vor allen Dingen nicht in die Auftragsfertigung. Was TSMC und Samsung am Ende des Tages machen, ist nicht etwas Technologie erschaffendes, sondern sie sind Auftragsfertiger. Sie fertigen das Design von Apple, was Apple geschaffen hat und entwickelt hat, für Apple. Aber die Wertschöpfung liegt vor allen Dingen hier bei Apple oder Nvidia oder dem Chip-Designer, der das in Auftrag gegeben hat, und da sollte Europa hin. Europa sollte wieder moderne Chips entwickeln.
Pfister: Europa ist relativ gut darin, an Universitäten die Grundlagenforschung für so etwas zu machen, aber konnte das bislang industriell nur selten in die Fläche bringen. Warum ist das so? Warum hakt es an der Stelle?
Kleinhans: Das fällt ja Europa anscheinend grundsätzlich schwer und davon lenkt in meinen Augen auch die Debatte um die Fabrik, um die Zwei-Nanometer-Fabrik ab. Wir müssten uns viel stärker damit beschäftigen, wie stärken wir denn speziell auch Hardware-Startups in Europa. Warum haben wir denn so wenig Ausgründungen aus den europäischen Forschungs-Clustern? Im Halbleiterbereich ist das vor allen Dingen Fraunhofer in Deutschland. Genauso die Frage Wagniskapital für Hardware-Startups, weil Sie brauchen erst mal viel mehr Infrastruktur und auch einen längeren Atem. Davon liest man aber sehr wenig in der europäischen Strategie.
Kleinhans: Erfolg ist sehr ungewiss
Pfister: Man liest sehr viel darüber, dass wir eine Auftragsfabrik in Europa hochziehen könnten, bei der dann auch Intel mitspielen will. Intel hat in den vergangenen Jahren ja eher davon reden gemacht, dass sie ein paar Pannen hatten und die Hightech-Chips, die sie eigentlich bauen wollten, so gar nicht richtig hingekriegt haben. Was haben die Europäer davon, dass Intel einsteigt?
Kleinhans: Letzteres ist die entscheidende Frage. Die wichtige Ankündigung in den letzten Monaten war ja, dass Intel jetzt auch in die Auftragsfertigung ein zweites Mal einsteigen will. Das hat Intel schon mal vor einigen Jahren probiert, auch Auftragsfertiger zu werden, und das hat überhaupt nicht geklappt. Das dauert viele, viele Jahre und ist sehr ungewiss, ob dieses Mal Intel damit wirklich erfolgreich wird.
Das heißt: Wenn sich jetzt ein Briton mit Pat Gelsinger trifft und darüber spricht, inwieweit jetzt eine Intel-Fabrik in Europa subventioniert werden soll, basiert das einzig und allein auf der Hoffnung, dass Intel in fünf Jahren, in acht Jahren, in drei Jahren – keiner weiß, wie lange das dauert und ob es gelingt –, tatsächlich erfolgreich ein neues Geschäftsfeld, nämlich die Auftragsfertigung für sich inhouse etablieren kann. Das ist wirklich die Katze im Sack.
Pfister: Das ist ein bisschen das Prinzip Hoffnung.
Kleinhans: Ja!
Pfister: Andererseits verstehe ich: Dadurch, dass wir im Moment einen solchen Mangel an Halbleitern haben, und die Europäer das Gefühl haben, da geraten wir auch zwischen die Räder der Weltpolitik – China, Taiwan, USA –, ich verstehe dieses Bedürfnis zu sagen, wir müssen uns langfristig in der Hinsicht autark machen.
Kleinhans: Ja, das kann man verstehen. Der Ausbau von Kapazitäten ist sinnvoll, auch in Europa. In Europa ist es aber nicht sinnvoll, beim Ausbau der Kapazitäten auf die modernsten Fertigungsverfahren zu setzen, das heißt die Fabriken, die 20 Milliarden Euro kosten, die Fertigungsverfahren, für die es kaum europäische Kunden gibt, sondern in Europa ist es in meinen Augen sinnvoller, auch vor dem Hintergrund der Chip-Knappheit, langfristig eher ältere Kapazitäten auszubauen. Nur man darf sich der Illusion nicht hingeben, dass man hier auch in zehn Jahren autark werden könnte, oder dass Autarkie überhaupt im Halbleiterbereich ein sinnvolles Ziel wäre.
"Wir sind 15 Jahre hinter Taiwan"
Pfister: Warum können wir Taiwan nicht mehr einholen, dass wir da immer um drei Jahre hinterherlaufen?
Kleinhans: Wir sind nicht drei Jahre hinter Taiwan. Machen Sie sich da keine Illusionen. Wir sind 15 Jahre hinter Taiwan. Das modernste Fertigungsverfahren in Taiwan sind derzeit fünf Nanometer. Die modernste Fertigungsanlage in Europa hat 22 Nanometer. Das heißt, allein von den Fertigungsverfahren her sind wir fünf Generationen hinterher, und ungefähr alle zwei Jahre wird ein neues Fertigungsverfahren vorgestellt. Deswegen finde ich das so frappide, dass die Debatte so verzerrt ist. Wir stehlen Aufmerksamkeit von den eigentlich viel wichtigeren Themen.
Fertigung sollte für Europa kein zentrales Thema sein, weil darin sind wir nicht stark. Davon profitieren unsere europäischen Unternehmen nicht. Und vor allen Dingen: TSMC fertigt etwas für andere. Das ist nicht der Hauptteil der Wertschöpfung. Technologie gestalte ich als Apple oder als Nvidia, wenn ich diesen Chip designe. Das sollte Europa anstreben, weil da haben wir nichts! Wir haben kein europäisches Pendant zu Nvidia oder zu Qualcomm. Auch bei den Chips sind wir komplett vom Ausland abhängig. Da wäre es aber sinnvoll, aufzuholen und wieder eigene Chips in Europa zu entwickeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.