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Plagiate aktuell
"Viele Berufstätige sind nebenbei zum Doktortitel gekommen"

Journalist und Autor Bernd Kramer hat Plagiate analysiert und kommt zu dem Schluss, dass die prominenten Plagiatsfälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Jährlich kämen bis zu drei Prozent aller Dissertationen auf irgendeine Weise betrügerisch zustande. Ganz viele Fälle würden rein zufällig aufgedeckt.

Bernd Kramer im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: In unserer losen Reihe "Plagiate aktuell" gibt es heute mal wieder eine Folge. Diesmal: Mediziner. Das "Handelsblatt" hat recherchiert, was mancher schon immer geahnt hat: In der Medizin, wo Doktorarbeiten auch schon mal in vier Monaten entstehen, wird es mit der Redlichkeit nicht immer so ganz ernst genommen. Den Kollegen liegen fast ein Dutzend Fälle vor, in denen die Habilitationsschrift eines Profs mehr oder weniger identisch ist mit den Arbeiten seiner Doktoranden. Solchen Schmalspurwissenschaftlern hat der Journalist und Autor Bernd Kramer jetzt ein ganzes Buch gewidmet: "Der schnellste Weg zum Doktortitel. Warum selbst recherchieren, warum selbst schreiben, wenn's auch anders geht?" - ist der nicht ganz ernst gemeinte Titel. Bernd Kramer, der schnellste Weg zum Doktortitel endete für viele Politiker in letzter Zeit ja peinlich und mit Amtsverlust. Haben sich die prominenten Plagiatoren einfach zu blöd angestellt?
    Eine Mischung aus Halbehrlichkeit
    Bernd Kramer: Tja, das ist eine gute Frage. Was auffällt, ist, dass viele Plagiatoren praktisch die Spuren selbst legen, über die sie überführt werden. Meistens ist es so eine Mischung aus Halbehrlichkeit und ein wenig den Weg der Erleichterung gehen, das heißt, man schreibt eine Stelle ab, aber zitiert nur einen Teil der abgeschriebenen Stelle und führt dann praktisch das, was man abgeschrieben hat, im Literaturverzeichnis auf. Und das führt natürlich dann schnell dazu, dass der kritische Leser auf die richtige Fährte geführt wird.
    Am besten nicht auf Literatur verweisen
    Götzke: Besser wäre es also, ganze Passagen zu übernehmen und keine Literaturangabe zu machen?
    Kramer: Genau, am besten überhaupt nicht auf die Literatur verweisen, aus der man sich da bedient hat. Und das machen überraschend viele Plagiatoren dann doch irgendwie falsch.
    Götzke: Welche schnellen Alternativen zum Plagiat würden Sie für den schnellen Doktor denn empfehlen?
    Kramer: Na ja, empfehlen ist natürlich so eine Sache. Ich würde irgendwie überhaupt nicht empfehlen zu betrügen, aber es ist interessant, dass es doch immer wieder geht. Das Einfachste wäre wahrscheinlich, sich einen Ghostwriter zu suchen, der eine garantiert plagiatsfreie Dissertation einem schreibt, damit werben diese Anbieter ja auch, und die dann einfach einzureichen. Kostet nur ein bisschen.
    Götzke: Sie haben das Ganze ja in Ihrem Buch analysiert und kommen zu dem Schluss: Die Promifälle sind nur die Spitze des Eisbergs.
    Eine Restgröße wird immer bleiben
    Kramer: Ja, es gibt Schätzungen, wonach, ich weiß nicht, ein, zwei, drei Prozent aller Dissertationen jedes Jahr auf irgendeine Weise betrügerisch zustande kommen. Was auffällt, ist, dass ganz viele Fälle wirklich rein zufällig aufgedeckt werden.
    Götzke: Viele Fälle, die Sie auch in Ihrem Buch beschreiben, haben sich vor diesen prominenten Fällen Guttenberg, Schavan und Co. ereignet. Haben Sie den Eindruck, dass sich seitdem was geändert hat, oder sind die Leute immer noch, ich würde mal sagen, so dreist zu plagiieren?
    Kramer: Es gibt bestimmt immer noch welche, die so dreist sind. Also, das ... Eine Restgröße Betrug wird immer bleiben, denke ich. Was auffällt, ist, dass das Thema zumindest, glaube ich, bei Doktoranden eine große Rolle spielt, da gibt es heute eine weit verbreitete Angst, dass man vielleicht versehentlich sogar plagiiert, und dafür gibt es auch Beispielfälle. Vor allem in der Musikgeschichte zum Beispiel, dass Songs sich als Plagiat herausgestellt haben und der Komponist wusste das gar nicht und hat dann unbewusst plagiiert. Und die Angst geht teilweise, glaube ich, bei Doktoranden inzwischen auch um.
    Götzke: Im Zuge Ihrer Recherchen, was ist da der spektakulärste Betrug für Sie gewesen?
    Kramer: Es gab viele Fälle, wo man sich wirklich fragt, wie kann das möglich sein. Es gab zum Beispiel an der Universität Würzburg lange Jahre ein Institut für Medizingeschichte, das auch mit einem Promotionsberater zusammengearbeitet hat und wo sich dann hinterher herausstellte, dass der Professor sozusagen handschriftlich offenbar die Dissertation selbst geschrieben hat und die Doktoranden die möglicherweise nur abgetippt und eingereicht haben. Er bestreitet das, er sagt, sie sind dann in Klausur gegangen und haben, Doktorand und er als Professor, zusammen diesen Text formuliert und er hat ihn handschriftlich protokolliert. Und das ist seltsam, dass das wirklich funktioniert hat so lange, und damit viele Berufstätige nebenbei zum Doktortitel gekommen sind.
    Es gibt keine anderes Mittel um zur Elite zu gehören
    Götzke: Ein Protagonist in Ihrem Buch, der nennt den Doktor das Ausrufezeichen vor dem Namen jedes Akademikers. Warum sind die Deutschen so versessen auf dieses Ausrufezeichen?
    Kramer: Ich glaube, es hängt zum einen damit zusammen, man hatte irgendwie kein anderes Mittel, um zur Elite zu gehören. Also, in Frankreich zum Beispiel gibt es die Grande Ecole, diese Elitehochschulen, so was hat man in Deutschland eigentlich traditionell nicht, und das einzige Mittel ist im Prinzip der Doktortitel. Damit zeigt man, man gehört zur Elite, und das ist gleichzeitig auch so eine etwas mysteriöse, magische Elite, weil man nicht so genau weiß, was steckt da jetzt hinter. Also, diese Doktorarbeiten liest irgendwie kein Mensch, das eröffnet natürlich so den Raum der Fantasie, da hat jemand viel geforscht, hat irgendwas geschrieben, irgendwie eine völlig unsinnige Mühe in Kauf genommen, viele Jahre auf etwas verzichtet, um etwas zu schreiben, was dann kein Mensch liest. Und das wirft natürlich Fragen auf und das ist irgendwie ... Irgendwie, glaube ich, ist da noch so ein gewisser Zauber, der da drin ist, was es vielleicht bei Elitehochschulen in dem Sinne nicht so gibt.
    Götzke: Ihr letztes Kapitel haben Sie "Weg mit dem Titel" genannt. Warum halten Sie Promotionen für überflüssig? Es gibt ja immerhin Zehntausende, die eine ernsthafte wissenschaftliche Karriere anstreben und deswegen promovieren.
    Die Forschung sollte zählen, nicht der Titel
    Kramer: Ja, ja, absolut. Ich glaube, dass das kein Widerspruch sein muss. Natürlich würde ich jetzt nicht sagen, dass man nicht forschen sollte und dass niemand eine wissenschaftliche Karriere anstreben sollte. Aber die Frage ist irgendwie, warum braucht es dafür einen Titel, das gibt es in anderen Berufen auch nicht. Wenn ich mich jetzt als Berufseinsteiger irgendwo bewerbe, dann bekomme ich nicht nach drei Jahren plötzlich einen Titel, den ich dann auch noch völlig kontextfrei in sämtlichen Lebensbereichen mir auf die Visitenkarte oder aufs Klingelschild schreiben kann. Das ist irgendwie was, was es so eigentlich nirgends gibt in der Gesellschaft. Und ich frage mich, warum es das in der Wissenschaft geben sollte. Vor allem, weil es ja eigentlich auch darum geht, was forscht man und zu welchen Erkenntnissen kommt man und betreibt man gute Forschung? Die Forschung an sich sollte zählen und nicht dieser Titel.
    Götzke: Vielleicht sollte man differenzieren zwischen Karrieredoktor und einem Doktortitel, Promotion mit wissenschaftlichen Ambitionen?
    Kramer: Ja, diese Differenzierung sollte man machen, aber ich glaube, sie ist auch ein bisschen scheinheilig. Weil, es ist einfach so natürlich, dass die Karrierewege in der Wissenschaft in Deutschland so sind, wir haben 25.000 Doktoranden jedes Jahr, je 25.000 Doktortitel, die vergeben werden, aber nur ein Bruchteil wird es überhaupt schaffen, auf eine Professur zu kommen, ich glaube, irgendwie unter zehn Prozent oder so was dieser ganzen Doktoranden. Das heißt, irgendwie muss es ja einen Anreiz geben, das zu machen, und der Anreiz ist natürlich, dass es auch irgendwie eine Bedeutung hat außerhalb der Hochschulen. Und ich glaube, davon leben die Hochschulen auch. Denn ein Professor will natürlich gerne viele Doktoranden haben, das erhöht sein Prestige, der hat dann natürlich seinen Mitarbeiterstab, und diese starre Hierarchie an den Hochschulen lebt natürlich auch davon, dass viele Doktorarbeiten geschrieben werden, ohne dass da je eine wissenschaftliche Karriere drauf folgt.
    Götzke: Weg mit dem Doktortitel, meint der Autor Bernd Kramer. Er hat eine launige Kulturgeschichte des Promotionsbetrugs geschrieben. "Der schnellste Weg zum Doktortitel" heißt es.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.