Der Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins "Katapult" Benjamin Fredrich erhob gestern (25.06.2020) in einem Online-Beitrag schwere Vorwürfe gegen den Hamburger Verlag Hoffmann und Campe. Nach einer erfolgreichen Zusammenarbeit bei dem Grafik-Band "100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern" im Frühjahr 2019, habe der Verlag eine Fortsetzung der Reihe ohne die Katapult-Redaktion veröffentlicht. Man hatte sich finanziell nicht einigen können. Doch im großen Stil seien Ideen der Katapult-Redaktion verwendet worden, ohne deren Zustimmung, so der Vorwurf von Chefredakteur Benjamin Fredrich.
Tin Fischer, Autor des umstrittenen Fortsetzungsbandes "Gute Karten" bestritt, ebenfalls gestern, die Plagiatsvorwürfe.
Miriam Zeh: Ich habe diesen Streit mit dem Rezensenten dieser Sendung und Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht Tilman Winterling besprochen. Herr Winterling, Katapult-Chefredakteur Fredrich wirft Hoffmann und Campe nicht nur Plagiat vor, sondern kritisiert auch die Zusammenarbeit mit dem Verlag, unter anderem eine zu geringe Autorenbeteiligung. Was hat sich Hoffmann und Campe hier aus ihrer Sicht vorzuwerfen?
Tilman Winterling: Man kann natürlich natürlich nicht reinschauen. Wir wissen auch nicht, wie die Verträge aussehen, die die für den ersten Band geschlossen haben. Aber Fredrich wirft ja ganz konkret vor, dass er gern eine Beteiligung hätte in Höhe von 20 Prozent. Diese Beteiligung, die er hier fordert, selbst wenn er sagt, sie haben vom ersten Band 70.000 Exemplare verkauft, ist sehr hoch und ist auch im Buchbereich sehr hoch - wobei es hier natürlich auch Unterschiede gibt. Im Romanbereich wird das sehr, sehr selten sein. Da muss man ein absoluter Weltautor sein, um überhaupt in diese Bereiche zu kommen. Hier ist es aber so: Katapult hat eine ganz eigene Reichweite, hat wohl - wenn man dem Artikel von Fredrich folgt - fast sämtliche Inhalte selber gemacht, das Cover selber gemacht, den Satz selber gemacht, das Layout. Dann sind natürlich auch sehr hohe Beteiligungen möglich. Ob das unbedingt 20 Prozent sein müssen, kann ich jetzt nicht sagen, weil man eben den wirtschaftlichen Hintergrund nicht kennt. Aber tatsächlich wäre bei dieser Vorgeschichte und wenn man diese beiden Karten sich anguckt, eine sehr hohe Beteiligung wahrscheinlich durchaus gerechtfertigt.
Plagiatsvorwürfe "wahrscheinlich nicht justiziabel"
Zeh: Besonders schwer wiegen ja diese Plagiatsvorwürfe von Benjamin Fredrich, das Cover des Fortsetzungsbandes "Gute Karten" sei genau wie das erste Buch aufgebaut. Der ganze Band sei ähnlich gelayoutet und Karten gab es eben inhaltlich schon einmal im Katapult-Magazin. Wie ist das juristisch einzuordnen?
Winterling: Also, man muss hier ein bisschen trennen, denke ich. Einmal zwischen der Empörung und überaus verständlichen Wut, die Fredrich vorträgt und einem wirklich justiziablem Verhalten. Er selber sagt ja auch, dass wegen zwei Punkten Katapult schon gegen Hoffmann und Campe erfolgreich vorgegangen ist juristisch, nämlich einmal die Veränderung des Covers des ersten Bandes, die wohl geplant war und gegen die Nutzung des Titels. Also, das sind zwei Hebel, die eingesetzt wurden. Einmal übers Urheberrecht, also Bearbeitungsrechte und einmal übers Markenrecht, Titelschutzrechte. Wenn da tatsächlich schon vorgegangen wurde, ist das gut und richtig und wahrscheinlich tatsächlich auch von zwei Seiten juristisch geprüft, wenn man sich da geeinigt hat. Hier ist es jetzt aber so, dass die Plagiatsvorwürfe, so wie sie sind, wahrscheinlich nicht justiziabel sind. Denn ein Konzept an sich ist nicht richtig schutzfähig und hier würde es eher darauf ankommen. Würde man jetzt Karten nebeneinander legen und die sind tatsächlich das eine das Plagiat vom anderen, dann wird es wieder justiziabel als Urheberrechtsverletzung zum Beispiel. Das scheint hier aber nicht der Fall zu sein, weswegen Fredrich ja auch dann irgendwie den Angriff nach vorne wählt und das eben PR-mäßig statt juristisch versucht zu lösen.
"Daten sind Allgemeingut"
Zeh: Wir haben es hier auch mit einer ganz bestimmten Textsorte und Recherchen zu tun. In diesem Buch finden sich Karten über die Leuchttürme in Europa, die Herkunft von Eiern oder die Verbreitung von Löwen. Das ist ja ein klassischer Datenjournalismus. Wie verhält es sich da überhaupt mit dem Plagiat? So ein Datenjournalismus musst ja immer auf Vorerkenntnissen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen anderer.
Winterling: Das ist ja tatsächlich auch, was Tin Fischer, also der Autor des neuen Buchs von Hoffmann und Campe in seiner Erwiderung anführt. Und da hat er natürlich auch ein ganzes Stück weit recht. Denn die Daten gehören ja nicht Katapult. Die gehören ja auch nicht jemandem, der die rausgefunden hat. Es kommt dann immer auf die Aufarbeitung an. Denn die Daten an sich sind ja Allgemeingut. Die sind nicht urheberrechtlich geschützt. Deswegen würde es hier dann darauf ankommen, wie wurde das dann gestalterisch zum Beispiel umgesetzt? Wenn man da Katapult original und Hoffmann und Campe Fälschungen nebeneinanderlegt und Parallelen sieht. Dann wird es eben wieder justiziabel. Bis dahin ist es eher eine Aufregung, die - wie gesagt - durchaus verständlich verständlich ist über die Art und Weise, wie Hoffmann und Campe das Ganze angeht. Aber konkret von einem Plagiat sprechen kann man nur, wenn man das wirklich nebeneinanderlegt und sagt: So ist es.
Vorwürfe als medienwirksamer "Schachzug"
Zeh: Katapult-Chefredakteur Benjamin Fredrich hat seine Vorwürfe ja nun recht medienwirksam - Sie haben es bereits beschrieben, Herr Winterling - öffentlich gemacht. Wie beurteilen Sie denn dieses Vorgehen?
Winterling: Also, das ist natürlich jetzt aus PR-Sicht mit Sicherheit ein sehr, sehr kluger Schachzug gewesen. Denn gerade diese Sachen, die er ebenfalls schildert, also: Eine Abmahnung wegen Urheber- oder Titelschutzverletzung ist ja eher was, was im Geheimen bleibt. Man einigt sich dann außergerichtlich und das dringt aber nicht nach außen. Hier ist es ja so, dass er die Punkte - und das ist das besonders Geschickte - wo wahrscheinlich keine große juristische Handhabe ist, dann umso besser nach außen dreht und damit einen viel größeren Effekt erzielt, als einfach nur eine Unterlassungserklärung in der Schublade zu haben, mit der er dann sowieso nichts anfangen kann, weil Hoffmann und Campe eben diese Verletzung nicht wiederholt. Also, das ist's schon sehr klug. Das ist einfach sehr geschickt gemacht. Wobei es wahrscheinlich sogar, wenn man - ich habe auch beide Bücher vorliegen - sie nebeneinander legt, natürlich durchaus man auf die Idee kommen könnte, dass man hier vielleicht im Wettbewerbsrecht nochmal von Nachahmung sprechen könnte. Denn Fredrich schildert es ja selbst: Format ist gleich und die Aufmachung ist gleich, also möglicherweise könnte man sogar noch juristisch was machen.
Hier ist es aber so: Ich glaube, den Weg, den er gewählt hat ist tausendmal effektiver, als irgendwie über Juristen im Hinterzimmer Lösungen zu suchen. Er hat eine unfassbare Aufmerksamkeit generiert für sich und seinen Verlag - weil er ja auch quasi am Ende sagt: Aufgrund dieser ganzen Erfahrungen gründen wir jetzt unseren eigenen Verlag. Und das ist mit einer Unterlassungserklärung nicht im Ansatz irgendwie zu bekommen. Also, das muss man sagen: Hut ab, well played!
Die Stellungnahme von Hoffmann & Campe
Die Presseleiterin des Verlags, Lisa Bluhm, hat auf Anfrage des Deutschlandfunk am frühen Nachmittag folgende Stellungnahme an die Buchredaktion geschickt:
"Es stimmt nicht, dass Hoffmann und Campe das Buch kopiert hat. Hoffmann und Campe hat gemeinsam mit Katapult ein besonderes Buchkonzept entwickelt, das als Reihe angedacht war und woraus der Band '100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern' hervorgegangen ist. Dieses Buch wurde ein großer und anhaltender Erfolg, über den wir uns sehr freuen. Leider ist Katapult nach dem Einsetzen dieses gemeinsam erreichten Erfolgs zu einem größeren Verlag gegangen. Wir bedauern das, zumal wir gerne weitere Bände mit Katapult gemacht hätten."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassung wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.