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Plagiatsvorwürfe
"Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien"

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen weist die Plagiatsvorwürfe gegen sich zurück. Die Internet-Plattform VroniPlag Wiki behauptet, sie habe fremde Texte bei ihrer Doktorarbeit als ihre eigenen ausgegeben. Der Politikwissenschaftler Ulrich von Ahlemann sagte im DLF, diese Plattform verurteile nicht, sie hebe nur den Finger.

Ulrich von Ahlemann im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 09.07.2015 auf einer Veranstaltung im Niedersächsischen Landtag in Hannover (Foto: Susann Prautsch/dpa
    Die CDU-Vizevorsitzende weist die Plagiatsvorwürfe vehement zurück. (picture allliance / dpa / Susann Prautsch)
    Jochen Spengler: Hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrer Doktorarbeit geschummelt? Das heißt, hat sie in ihrer medizinischen Promotion zu erheblichem Teil fremde Texte als eigene ausgegeben? Das behauptet die Internet-Plattform VroniPlag Wiki. Sie hatte schon in den Doktorarbeiten anderer Minister Plagiate nachgewiesen. Am Ende standen die Aberkennung der Doktortitel und Rücktritte, etwa von Karl Theodor zu Guttenberg und von Annette Schavan. Der Fall von der Leyen wiege sogar schwerer als der Fall Schavan, sagt VroniPlag. Die CDU-Vizevorsitzende weist dagegen die Vorwürfe vehement zurück.
    Wir wollen das Thema nun im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Ulrich von Ahlemann vertiefen. Er war lange Jahre Professor an der Uni Düsseldorf. Schönen guten Abend, Herr Professor.
    Ulrich von Ahlemann: Guten Abend, Herr Spengler.
    Spengler: Lassen Sie uns zunächst mal kurz klären, wer da eigentlich die Vorwürfe erhebt. Frau von der Leyen spricht von Aktivisten, die im Internet versuchten, Zweifel zu streuen. Das klingt so ein bisschen nach Anarchie, nach Neid, nach pickligen Nerds. Wie seriös ist denn diese Internet-Plattform VroniPlag Wiki?
    Die Universität muss tätig werden
    von Ahlemann: Diese VroniPlag Wiki ist mittlerweile durchaus anerkannt. Da arbeiten sicher auch manche Nerds mit dunkel gerahmten Brillen mit, aber da werden die beraten (teilweise arbeiten die auch mit) durchaus von seriösen Professoren, zum Beispiel von der Humboldt-Universität in Berlin, die schon darauf achten, dass hier nicht fahrlässig gearbeitet wird. Aber diese VroniPlag-Plattform, die verurteilt nicht. Die hebt nur den Finger: Wir haben da was gefunden, prüft das noch mal nach. Und das haben dann die Hochschulen und Universitäten zu prüfen. In einigen Fällen, auch bei sehr prominenten, haben die bereits gesagt, ja, das reicht uns nicht zu einer Verurteilung oder zu einer Aberkennung, zum Beispiel bei dem Außenminister Steinmeier und bei dem Bundestagspräsidenten Lammert. Bei anderen hat man gesagt, ja, es reicht uns, und dann müssen wir als Universität jetzt tätig werden.
    Spengler: Frau von der Leyen wird vorgeworfen von VroniPlag, dass 12 Prozent des Textes in ihrer Doktorarbeit, in ihrem 62seitigen Hauptteil ein Plagiat sei. Jetzt haben Sie gesagt, die Internet-Plattform stellt nur fest, sie bewertet aber nicht. Stimmt das denn? Geht sie nicht doch zu weit, wenn sie sagt, das ist ein bedingter Vorsatz und der Fall ist schwerer als der von Frau Schavan?
    von Ahlemann: Ja, das ist natürlich sicher ein gravierender Vorwurf. Das ist bereits natürlich schon eine Wertung. Da sollte sich VroniPlag lieber zurückhalten damit, sondern sollte es dann den sachkundigen Gremien überlassen an den Universitäten, die da wirklich die Fälle sehr eingehend dann prüfen und untersuchen, ob es mehr Schludrigkeiten sind, oder ob es wirklich vorsätzliches Handeln ist in einem Plagiatsfall, und das ist natürlich ernst. Wenn ein vorsätzliches Handeln vorgeworfen wird, dann sind die Konsequenzen in der Regel wirklich so, dass die Doktortitel aberkannt werden.
    Spengler: Nun ist Frau von der Leyen Medizinerin und die Doktorarbeiten im Bereich Medizin sind normalerweise viel kürzer als die eines Geisteswissenschaftlers oder Ingenieurs. Oft heißt es sogar, es würde den Ärzten ziemlich leicht gemacht. Müssen an Doktorarbeiten von Medizinern andere Maßstäbe angelegt werden?
    Medizinische Doktorarbeiten sind kürzer
    von Ahlemann: Da das nun mal so ist, muss das wohl so sein. Es hat sich über Jahrzehnte, vielleicht sogar über Jahrhunderte eingebürgert, dass die medizinischen Doktorarbeiten praktisch schon während des Studiums angefertigt werden. Ja, das sind größere ausgebaute Seminararbeiten gegenüber Fakultäten, den fast allen anderen Fakultäten, die richtige nach dem Studium, nach dem Magisterdiplom, heutzutage nach dem Mastertitel. Alles ist abgeschlossen, das Studium ist fertig, man ist junger Wissenschaftler und dann geht man an die Promotion. Das ist in den Naturwissenschaften genauso wie in den Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften oder bei den Juristen. Deswegen sind die medizinischen Doktorarbeiten einfach von der Struktur her kürzere, kleine Arbeiten, wo mit Daten aus bestimmten Untersuchungen gearbeitet wird, die ausgewertet werden, in enger Zusammenarbeit mit einem Team an einem Institut. Historiker liefern manchmal 500 Seiten ab, wo sie fünf Jahre dran arbeiten und für Archive in ganz Europa herumreisen. Das kann man mit einer medizinischen Doktorarbeit überhaupt nicht vergleichen.
    Spengler: Müssen denn dann solche Plagiatsvorwürfe nicht auch relativiert werden?
    von Ahlemann: Die Plagiatsvorwürfe werden natürlich von einer Sachverständigenkommission untersucht, die im Fall von Hannover nur aus Medizinern besteht, also fast nur - es gibt sicherlich da auch einen Rechtsberater -, denn die Medizinische Hochschule in Hannover ist ja eine medizinische quasi Universität und hier sind nicht aus allen möglichen Fakultäten zusammengewürfelte Gremien. Aber auch an den normalen Universitäten werden Doktortitel nicht von der Spitze der gesamten Universität vergeben, sondern von den einzelnen Fakultäten. Deswegen sind die auch zuständig, weil sie die Doktortitel vergeben, für einen möglichen Entzug von Doktortiteln. Insofern sind sie auch unmittelbar sachkundig, weil diejenigen eines Fachs in einer Fakultät das schon dann beurteilen können.
    Noch ist alles offen
    Spengler: Angenommen es käme in diesem Fall zum Entzug des Doktortitels, müsste dann Frau von der Leyen das Verteidigungsministerium verlassen, das sie ja bislang recht achtbar führt?
    von Ahlemann: Wenn der Doktortitel tatsächlich fallen würde, dann wird es wohl eine Parallele geben müssen wie in zwei anderen Fällen, wo Bundesminister ihren Doktortitel abgeben mussten, nämlich bei Herrn von und zu Guttenberg und bei Frau Schavan. Wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, das ist aber völlig offen, dann wird es eng werden.
    Spengler: Das ist klar! Aber wieso müsste sie denn dann zurücktreten? Ich meine, man muss keinen Doktortitel haben, um ein Verteidigungsministerium zu führen.
    von Ahlemann: Das ist richtig. Wenn aber ihr Vorsatz unterstellt wird, dann ist das eine gewisse Form von akademischem Betrug und dieses ist doch ein ganz gravierender Vorwurf, und das ist ja in den anderen Fällen auch so gehandhabt worden. Auch Guttenberg war Verteidigungsminister und hat sozusagen nur seinen juristischen Doktortitel verloren, den er als Verteidigungsminister nicht unbedingt braucht für die Ausübung seines Amtes.
    Spengler: Herr Professor von Ahlemann, ist das eigentlich Ihrer Ansicht nach Zufall, dass nun eine mögliche Nachfolgerin von Angela Merkel angegriffen wird?
    von Ahlemann: Ja. Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien. Natürlich gibt es viele Kritiker von Frau von der Leyen und sicher auch Neider, aber das ist eine Sache, von der ich nicht glaube, dass sie ganz gezielt und bewusst von interessierter Seite in Gang gesetzt wird. Diese Plattform VroniPlag arbeitet breit, sie arbeitet über alle Politiker von allen Parteien, alle waren schon betroffen, auch wenn bürgerliche Parteien da etwas stärker bisher in Mitleidenschaft gezogen wurden, aber an eine Verschwörung glaube ich hier nicht.
    Spengler: Womit erklären Sie sich das eigentlich, dass vor allen Dingen Unions- und FDP-Politiker in Mitleidenschaft gezogen worden sind?
    von Ahlemann: Bei bürgerlichen Parteien sind die bürgerlichen Werte - und dazu gehört ein Doktortitel - höher angesehen als etwa bei Grünen oder sozialdemokratischen Parteien. In der sozialdemokratischen Ochsentour kann ein Doktortitel sogar als elitär schädigend wirken.
    Spengler: Das meint Professor Ulrich von Ahlemann. Das Gespräch mit dem Politikwissenschaftler haben wir vor der Sendung am Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.