Ralf Krauter: Wie bewerten Sie den Plan S?
Ulrich Herb: Es ist im Prinzip so, dass die Europäische Union und die Kommission schon länger fordern, dass ab 1.1.2020 alles, was publiziert wird wissenschaftlich, Open Acess erscheinen soll. Dieser Plan S, der macht jetzt noch ein bisschen mehr Druck und präzisiert das Ganze, auch die Rahmenbedingungen, ein bisschen mehr. Man hat insgesamt bei den Forschungsförderern ein bisschen Angst, dass das ambitionierte Ziel nicht erreicht werden kann, weil Open Access immer noch relativ langsam wächst - nicht so sehr, wie man sich das eigentlich gewünscht hatte; und weil die Kosten vielleicht höher werden, als man denkt. Das Brisante an diesem Plan S ist, dass diese Publikationsgebühren, die viele Open Access-Journale verlangen, aber eben auch nicht alle, die gedeckelt werden. Damit will man verhindern, dass die Preise explodieren, und deswegen ist der zentrale Punkt und das Flexible an diesen Plan S die Aussage, dass diese Publikationsgebühren standardisiert und mit einer Deckelung versehen werden.
Krauter: Ich habe gelesen, dass Analysen zufolge aktuell nur ungefähr 15 Prozent aller Fachmagazine dieser Forderung nach Instant Open Access entsprechen; so renommierte Journale wie Nature und Science zählen nicht dazu. Das heißt doch de facto, die Möglichkeiten, Arbeiten zu publizieren, würden für Forscher dann, wenn das Realität wird, erstmal deutlich schrumpfen.
Herb: Ganz genau. Die Wissenschaftler wären tatsächlich dazu gezwungen, in reinen Open Access Journalen zu publizieren. Das heißt, es ist es so, dass diese klassischen Subskriptionsjournale, bei denen man eben fürs Lesen zahlen muss, den hybriden Open Access zu lassen, wo man dann einen Artikel frei kaufen kann für Open Access. Und auch das schließt der Plan S aus. Das heißt, die Auswahl der Journale, in denen Wissenschaftler publizieren könnten, die würden dann tatsächlich relativ stark sinken.
Der Druck auf die Verlage wird wachsen
Krauter: Aber die Hoffnung dahinter ist natürlich, dass der Druck auf die Verlage dann auch wachsen würde, auch auf dieses Complete Open Access Modell umzustellen?
Herb: Ganz genau, das ist sicher die Absicht. Man will einfach die Verlage dazu zwingen: Wenn ihr weiter wollt Geld verdienen mit Publikationen, die aus öffentlicher Förderung im europäischen Forschungsraum entstanden sind, dann geht das nur, wenn alles unmittelbar Open Access publiziert wird in euren Journalen. Und - das ist halt das wirklich Überraschende daran - inklusive einer Preisgrenze. Denn an sich hätte natürlich kaum ein Verlag ein Problem damit zu sagen: Wir machen alles Open Access, wenn wir die Höhe der Publikationsgebühren vorgeben.
Krauter: Aber das können die Forschungsförderorganisationen natürlich nicht wollen. Die wollen ihre Ausgaben deckeln. Aber was genau würde das für die Verlage dann bedeuten, wenn die keine Abo Gebühren mehr verlangen dürfen, wenn die keine Bezahlschranken mehr einrichten dürfen. Womit verdienen die dann künftig ihr Geld?
Herb: Die allererste Frage ist: Gehen die Verlage überhaupt darauf ein? Weil es gäbe ja auch solche Zwischenschritte, dass die Verlage zum Beispiel sagen: Na ja, diese Deckelung akzeptieren wir aber nur für unsere mittelmäßigen oder für unsere weniger hochklassigen Journale, und für die höherpreisigen Journale da geben wir immer noch die Preise vor. Und dann können natürlich die Wissenschaftler, die wollen in den High Impact, natürlich auch High Price Journals, publizieren. Die können dann halt noch extra Zuzahlung leisten oder müssen das aus eigener Tasche zahlen oder müssen sich einen Kollegen suchen, der ein Projekt hat bei einem Forschungsförderer, der dann eine liberalere Preispolitik hat. Das wären Möglichkeiten. Die Verlage gehen nur teilweise auf diese Forderung ein, eben nicht für alle Journale, kann sie auch keiner dazu zwingen. Das andere ist aber auch so ein Effekt, wie man ihn zum Beispiel sieht, wenn man sich den Verlag Elsevier anguckt. Die verstehen sich schon lange nicht mehr als Verlag sondern als Research Intelligence Provider. Das heißt, die verdienen schon großes Geld mit aufbauenden Services. Die analysierend Publikationen, im besten Fall Open Access Publikationen, und entwickeln daraus zum Beispiel Vorschläge für Universitäten, in welchen Bereichen man Förderanträge einreichen soll, wo die Hot Topics sind, so dass man in Zukunft noch eine erfolgreiche Universität hat. Das hat so was von Planwirtschaft, aber das ist ein Bereich, in den viele Verlage mittlerweile schon gehen. So dass zum Beispiel für Elsevier dieses Geschäftsmodell wesentlich interessanter ist als publizieren. Der Markt befindet sich da vielleicht auch ein bisschen in einem Übergang.
Die Verlage leisten keine Qualitätssicherung
Krauter: Trotzdem regt sich Widerstand. Unter anderem war das Argument zu hören von AAAS, dem Herausgeber von Science, dieser Plan S gefährde die Qualitätssicherung mittels Peer Review, für die wir bislang zuständig sind. Ist das eine reale Gefahr, dass die Qualität auf der Strecke bleibt.
Herb: Eigentlich nicht. Es gab vor kurzem auch diese große Diskussion um diese Scheinjournale, diese Predatory Journals. Diese Gefahr gibt es eh schon. Die muss man halt anders angehen. Das hat meiner Meinung nach gar nichts mit einer Preisdeckelung zu tun oder mit Open Access. Es gab auch schon viele Closed Access Journale, die Fake Journale waren, die Pharmawerbung publiziert haben, als scheinwissenschaftliche Artikel. Also: Das Problem ist nicht neu, und außerdem muss man natürlich auch immer sagen, dass die Verlage die Qualitätssicherung nicht leisten, sondern die Wissenschaftler. Science selbst macht keine Qualitätssicherung, sondern das machen Reviewer, und sie werden von den Verlagen in aller Regel nicht dafür bezahlt. Das ist ein Scheinargument, mit dem man einen hohen Preis rechtfertigen will.
Krauter: Warum konnten sich denn, wenn das alles so plausibel klingt, deutsche Forschungsförderer wie zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG bislang nicht dazu durchringen, diese Initiative jetzt zu unterstützen? Eigentlich verfolgen die doch ganz ähnliche Ziele. Stichwort: DEAL-Verhandlung mit dem schon genannten Verlags US-Riesen Elsevier.
Herb: Die DFG hat ja heute eine Stellungnahme dazu verfasst, und da bekundet sie ja schon ihre Zustimmung zu diesem Plan S. Man muss natürlich sagen dass die DFG diese Gefahr der steigenden Publikationskosten durchaus auch sieht. Die haben ja auch ein Förderprogramm zur Einrichtung von Publikationsfonds für Open Access Artikel an Universitäten und haben da selbst eine sehr strenge Deckelung von 2000 Euro. Warum die DFG jetzt nicht unterschrieben hat? Ich könnte mir vorstellen, man will abwarten, wie das Price-Capping ausfällt. Das ist auch noch vollkommen unklar: Wie hoch wird das sein? Werden das drei-, vier-, fünftausend Euro sein oder werden es fünfhundert sein? Vielleicht hängt es davon ab. Das andere ist natürlich, dass in Deutschland dieser Wert der Freiheit von Wissenschaft und Forschung sehr sehr hoch hängt. Und es gab auch eine Klage von Konstanzer Universitätsprofessoren gegen eine Open Access Ordnung der Universität Konstanz, in der Wissenschaftler dazu verpflichtet werden sollten, Material, was schon publiziert ist im Closed Access Journal, zusätzliche Open Access zu publizieren. Dagegen gab es eine Klage, die mittlerweile, glaube ich, sogar beim Verfassungsgericht gelandet ist. Und das ist in Deutschland etwas ganz Brisantes. Und vor dem Hintergrund, den Sie selbst erwähnt haben, dass man mit diesem Price-Capping im Plan ist, die Publikationsmöglichkeiten massiv einschränkt, könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass das der Grund ist, warum DFG, BMBF hier nicht sofort auf den Zug aufgesprungen sind, weil das sofort wieder eine Diskussion und möglicherweise Klagen nach sich ziehen würde.
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