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Plan- und hilflos

Das Personalkarussell der deutschen SPD ist zurzeit in vollem Gange. Aber auch in Schweden stecken die Sozialdemokraten derzeit in einer tiefen Krise. Alexander Budde berichtet aus Stockholm.

03.11.2005
    Andere mögen sich plagen, doch im Stammland der Sozialdemokratie scheint die Welt noch in Ordnung: Einmütig stellen sich die Delegierten auf dem Parteitag in Malmö hinter ihren Vorsitzenden Göran Persson. In zehn Monaten stehen Parlamentswahlen an. Noch einmal soll der 56-jährige Regierungschef als Spitzenkandidat in die Schlacht ziehen. Mit jubelnder Begeisterung kann der gemütliche Vorsitzende nach bald zehn Jahren im Amt kaum mehr rechnen. Da muss sich Göran Persson eben selber loben:

    "Es ist nicht viel dabei, die sozialdemokratische Partei zu führen. Es bedarf bloß
    reichlich Erfahrung und Geschick, einem dicken Fell und schier unendlicher Geduld. Und etwas Gefühl für Humor sollte auch im Spiel sein."

    Die Freude am Regieren ist der einstigen Lichtgestalt der europäischen Sozialdemokratie längst vergangen. Vorbei die Zeiten, als man noch Spottlieder auf ihn dichtete, weil der Arbeitersohn aus der Vorstadt offenbar alles in den Griff bekam, woran andere verzweifelten.

    Plan- und hilflos, viel zu spät und unkoordiniert hatte die Regierung in Stockholm auf die Tsunami-Katastrophe in den schwedischen Feriengebieten in Südostasien reagiert. Das Versagen in der Krise hat dem Ansehen des Premiers schwer geschadet. Und auch das Denkmal des eisenharten Reformers Persson beginnt zu bröckeln.

    Die niedrige Arbeitslosenquote von derzeit nur fünf Prozent basiere auf geschönten Zahlen, giftet etwa der konservative Oppositionsführer Fredrik Reinfeldt. Tatsächlich sei jeder vierte Schwede im erwerbsfähigen Alter ohne Beschäftigung:

    "Mehr als 500.000 Arbeitnehmer wurden in den Vorruhestand geschickt. Die Kluft wird immer größer zwischen denen, die noch eine Arbeit haben und solchen, die sich keine gute Ausbildung leisten können und die auf staatliche Fürsorge angewiesen sind."

    Viele Schweden ohne Arbeit, Frührentner und Langzeitkranke, tauchen in der Statistik gar nicht auf, das hat die Regierung selbstkritisch eingeräumt. Von weiteren Zumutungen für die sozial Schwachen aber will Persson nichts wissen. Für Schulen, Altenpflege und Familienförderung soll es künftig sogar mehr Geld geben. Mit den Bürgerlichen käme die soziale Kälte über das Land, mahnt Persson die Genossen.

    "Wir haben viel erreicht, aber die Leute verstehen nicht, wo wir hinwollen. Betrug wirft man uns vor und falsche Zahlen. Wir müssen das Vertrauen der Schweden zurückgewinnen."

    Seit fast 70 Jahren regieren die Sozialdemokraten, zumeist ohne eigene Mehrheit im Parlament und in jüngster Zeit auch ohne das richtige Gespür für die Stimmung im Lande. Das Referendum zur Einführung des Euro ist kläglich gescheitert. Über die Europäische Verfassung wird gar nicht erst abgestimmt, denn es gäbe keine Mehrheit. Selten waren die Zeichen für einen politischen Wechsel in Schweden so deutlich, meint der Politologe Olof Pettersson:

    "Die Sozialdemokraten haben bis heute eine übermächtige Stellung in der schwedischen Politik, aber die Partei ist auch tief gespalten. Wo soll es hingehen mit Europa? Wie geht es weiter mit den notwendigen Reformen? Über diese Fragen ist sich niemand einig. Und gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit mit der politischen Elite insgesamt. Neue Ideen sind gefragt. Die Erinnerung an die einstigen Erfolge wird auf Dauer zu wenig sein."