Susanne Kuhlmann: Brände und Fabrikeinstürze mit vielen Toten und Verletzten haben uns die Augen geöffnet für die Bedingungen, unter denen Textilarbeiter in Bangladesch und anderen Billiglohn-Ländern einen Großteil unserer Kleidung nähen. Es geht um sichere Arbeitsplätze, aber auch um auskömmliche Löhne und insgesamt erträgliche Existenzbedingungen. Dass es in anderen Branchen nicht besser aussieht, darauf macht heute Misereor aufmerksam, das Hilfswerk der Katholischen Kirche.
Am Telefon ist Benjamin Luig, der sich bei Misereor mit Agrarpolitik und Ernährung befasst. Guten Tag!
Benjamin Luig: Guten Tag.
Kuhlmann: Den heutigen Welternährungstag wollen Sie nutzen, um uns die Lebensbedingungen von Plantagenarbeitern nahezubringen, und zwar mit einer Studie, die zeigt, dass viele Landarbeiter nicht satt zu Essen haben. Was wissen Sie über deren Situation?
Luig: Nun, die Situation ist sehr besonders. Bis heute leben Tee- oder Zuckerrohrarbeiter faktisch auf den Plantagen, auf denen sie arbeiten. Das heißt, sie hängen komplett mit ihrer Existenz, mit ihrer Ernährung oder mit ihrem Arbeitsschutz oder der Gesundheitsversorgung direkt von ihrem Arbeitgeber ab, und das macht sie extrem verwundbar. Wir haben viele Berichte aus eigentlich allen Kern-Teeanbaugebieten weltweit, sei es aus Kenia, aus Indien, Malawi oder Sri Lanka, dass es vielfach zur Form von Diskriminierung kommt, bis heute.
Das kann so aussehen, dass es eine Verweigerung von Gesundheitsvorsorge gibt, dass es ungeeignete Unterkünfte gibt, oder mangelnde Wasserversorgung, und absurderweise - das heben wir besonders hervor in unserer Studie - ist es auch so, dass diese Arbeiter selber, die Ernährung schaffen, die andere Menschen mit Nahrungsmittel versorgen, selber oft mangelernährt sind.
Löhne sind häufig unter dem Existenzminimum
Kuhlmann: Warum ist das so? Warum gibt es Hunger und Armut unter diesen Plantagenarbeitern?
Luig: Es gibt bis heute einen starken Preisdruck auf die Plantagenproduzenten selber. Das heißt, es hat in vielen Regionen das zentrale Problem, dass die Löhne schlichtweg niedrig sind und auch unter Existenzminimum sind. Wir haben zum Beispiel in Malawi die Situation, dass wir Berichte haben, dass Löhne für Plantagenarbeiter 50 Prozent unterhalb der von der Weltbank definierten Grenze zur extremen Armut liegen, und auch in Indien, zum Beispiel in Assam, einer Haupt-Teeregion weltweit, sind die Löhne deutlich unterhalb der Armutsgrenze.
Kuhlmann: Nun gelten ja in vielen dieser Länder mit Teeplantagen gesetzliche Mindestlöhne. Warum kommen die bei den Arbeitern offenbar nicht an?
Luig: Diese Löhne existieren meist nur auf dem Papier. Es ist zum Beispiel so, dass sogenannte Sachleistungen, das was ich zunächst sagte, minimale Unterkunft oder Essensrationierung oder so, direkt mit in diese Löhne einberechnet werden und die Geldlöhne dann faktisch deutlich darunter liegen. Wir haben in vielen der Regionen, die auch in Investment-Tee exportieren, zum Beispiel in Kenia, so gut wie keine gewerkschaftliche Organisation. Und wir haben auch eine mangelnde Inspektion von staatlicher Seite. Das heißt, oft werden diese Ministandards, die auf dem Papier existieren, auch nicht ausreichend kontrolliert.
"Situation von Landarbeitern stärker wahrnehmen"
Kuhlmann: Was muss passieren? Wie kann die Situation verbessert werden?
Luig: Wir richten unseren Appell auch an die Bundesregierung, weil uns wichtig ist, dass die Situation von Plantagen- und von Landarbeitern insgesamt überhaupt wieder stärker wahrgenommen werden muss, auch in der Entwicklungspolitik. Weltweit ist es in der Entwicklungspolitik eigentlich so, dass diese soziale Gruppe der Land- und der Plantagenarbeiter komplett ignoriert wird. Auch die Bundesregierung zum Beispiel hat im Grunde keine eigene Strategie. Das wichtigste Instrument, was ganz dringend geschaffen werden muss, sind existenzsichernde Löhne. Da müssen, glaube ich, die Staaten weltweit zusammenarbeiten. Es müssen aber auch vor allem die Handelskonzerne, die den Tee weltweit vermarkten, in die Pflicht genommen werden. Es gibt drei Handelskonzerne, die 80 Prozent des Weltmarkts im Grunde unter sich aufteilen, und es ist nicht schwer, sich klar zu machen, dass ein wesentlicher Teil des Preisdrucks auf die Plantagen natürlich von denen ausgeht.
Kuhlmann: Zum heutigen Welternährungstag erläuterte Benjamin Luig von Misereor eine Studie des Hilfswerks, die beschreibt, warum viele Plantagenarbeiter sich nicht genug Essen leisten können. Danke dafür nach Aachen.
Luig: Gerne. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.