Georg Ehring: Das sind schon Berge: 37 Kilo Plastikmüll hinterlässt jeder Mensch in Deutschland jedes Jahr - Tendenz stark steigend. Denn trotz des Aus für Gratis-Plastiktüten wächst der Aufwand, den wir mit Verpackungen treiben. Besonders skurril dabei: Früchte wie eine Ananas ohne Schale in Plastik eingehüllt, selbst Eier gibt es inzwischen vorgeschält in künstlicher Verpackung. Dabei haben Einzelhändler wie jetzt die Discounter Lidl und Aldi publikumswirksam Strategien zur Verringerung des Verpackungsaufwandes vorgestellt. Frage an Professor Michael Braungart von der Leuphana-Universität in Lüneburg: Sind solche Strategien reine PR oder können sie etwas erreichen?
Michael Braungart: Natürlich! Strategien sind schon mal ein Anfang, weil es zeigt, dass auch Discounter darüber nachdenken, wie man wirklich das Problem lösen kann. Nur, das Problem ist natürlich viel größer. Jeder Kaugummi ist ja schon Plastik, er wird aus Erdöl hergestellt. Das heißt, es gibt ganz viele andere Themen, die gar nicht dabei betrachtet sind. Ein Auto enthält etwa 200 Kilo Plastik. Im Baubereich werden etwa gleich viele Mengen eingesetzt. Das Plastikproblem ist viel, viel größer noch. Trotzdem sollte man schon mit der Verpackung anfangen. Nur da ist die jetzige Strategie eher so, dass man das Falsche perfekt macht oder mit perfekt macht man es falsch. Denn wenn die Verpackungen jetzt noch leichter werden, dann lohnt es sich überhaupt nicht mehr, sie zu recyceln, und man hat damit eigentlich wirklich nichts gelöst. Man hat nur das Falsche optimiert.
Reine Plastiksorten und ein Plastikpfand
Ehring: Wie sähe denn eine bessere Strategie aus, aus Ihrer Sicht?
Braungart: Man könnte alle Verpackungen aus drei Kunststoffen machen, und zwar aus reinen Kunststoffen. Zum Beispiel einer wäre Nylon 6, einer wäre PET. Dann könnte man alle Verpackungen bei Lidl, bei Aldi mit einem Pfand versehen. Man würde den Leuten eine Pfandkarte geben und mit dieser Pfandkarte könnten sie dann einkaufen. Da wären 30 Euro Pfand drauf; das heißt, sie könnten 150 Gegenstände einkaufen und würden dann das Pfand damit aufbrauchen. Und hätten dann natürlich ein Interesse, diese Verpackungen wieder zurückzubringen. PET lässt sich sechs, sieben Mal recyceln für denselben Zweck, und zwar in Lebensmittelqualität. Das gilt auch für Polypropylen. Man muss nur sortenrein diese Verpackungen haben. Man muss vor allem das PVC endlich wegnehmen und muss die giftigen Pigmente rausnehmen, damit man wirklich mit dem Zeug etwas anfangen kann. Dann könnte man diese Verpackungen zurückbringen und dann könnte man im letzten Schritt, wenn sechs, sieben Mal recycelt worden ist, das PET zum Beispiel biologisch abbaubar machen, weil eines der Hauptplastikprobleme ist der Textilabrieb. Man könnte dann Polyester-Textilien machen. In einer Auster finde ich etwa 1.500 Plastikteile. Ein Drittel davon ist Textilabrieb. Das heißt, auch der Abrieb von Textilien muss so sein, dass es als Plastik in biologische Kreisläufe gehen kann, und so könnte man wirklich ein echtes System machen, wo alle Verpackungen Pfand haben, und dann lohnt es sich auch wieder, die Dinge zurückzubringen. Dann lohnt es sich auch wirklich, mit den Materialien wieder etwas anzufangen.
"Der Grüne Punkt hat für die Umwelt nichts gebracht"
Ehring: Das wäre eine grundsätzliche Umstellung. Warum kommt die nicht, noch nicht mal in Ansätzen?
Braungart: Zuerst denken wir immer noch, dass das Plastikproblem ein Moralthema ist oder ein Verantwortungsthema, anstatt eine Innovationschance. Dadurch könnte man viel schönere Verpackungen machen. Nicht nur wir Deutsche denken, dass man die Moral vergisst, wenn man gerade Stress hat. Der Grüne Punkt hat für die Umwelt überhaupt nichts gebracht. Nichts von PVC ist weggekommen, kein einziges giftiges Pigment ist verschwunden, gar nichts, und die Verpackungsmenge hat sich in der gleichen Zeit, in den letzten 25 Jahren, verdoppelt. Weil man meinte, mit der Wiedervereinigung könnte man sich jetzt Umwelt nicht leisten, anstatt zu begreifen, dass wir in Europa die Verpackungsweltmeister sind mit lauter giftigem Dreck, wo auch das Lebensmittel damit noch kontaminiert wird. Wenn man nämlich die billigste Verpackung nimmt, dann ist das Lebensmittel auch nicht wirklich geschützt und nimmt den ganzen Dreck aus der Verpackung mit auf.
"Zehn Prozent weniger Schweinerei zu machen, hilft gar nichts"
Ehring: Sie wollen Plastik ersetzen - nicht durch Papier oder Glas, sondern durch besseres Plastik.
Braungart: Ja, man sollte Plastik nicht verteufeln. Man muss für jeden Bereich die richtige Verpackung finden - abgesehen davon, dass die Papierverpackungen auch großenteils Plastik sind, etwa die Beschichtung. Wir brauchen insgesamt eine Plastikstrategie und nicht ein bisschen. Zehn Prozent weniger Schweinerei zu machen, das hilft uns gar nichts. Das hält uns nur beschäftigt. Plastik hat riesen Chancen, aber wir bleiben auf halbem Wege stecken. Wir haben die Verpackungen leicht gemacht und wir haben sie so gemacht, dass sie möglichst billig und möglichst schnell sind. Ein Joghurtbecher hat 600 Chemikalien drin, die nur verwendet werden, damit der Joghurtbecher billig und leicht und energiesparend ist. Aber mit dem Zeug ist so nichts anzufangen. Wir sollten Kunststoffe wirklich so einsetzen, wie ihre Fähigkeit ist. Nylon lässt sich endlos praktisch einsetzen, hätte wunderbare Möglichkeiten. Dann könnte das Nylon zunächst zur Verpackung verwendet werden und danach in den Teppichboden gehen und könnte dort dann ständig verwendet werden, also ein Upcycling. Zuerst die vermeintlich primitive Verwendung für Verpackung und danach die nächste Nutzung. Lassen Sie uns eher Plastik als Chance begreifen, aber so, dass es wirklich technischer Mehrstoff ist, dass es in die Technosphäre zurückgeht. Die Dinge, die verschleißen, die müssen in die Biosphäre. Da gehören zum Beispiel die Bremsbeläge dazu, da gehören die Autoreifen dazu, auch die Schuhsolen. Das ist alles auch Plastik. Das heißt, wir könnten jetzt alles noch mal neu erfinden, und dabei hilft es uns gar nichts, das Plastik zu verteufeln. Weil wie gesagt, es hat viele, viele wunderbare Eigenschaften. Aber zum anderen wirklich echte Lösungen zu haben und nicht dasselbe ein klein bisschen weniger schlecht zu machen.
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