Vielleicht 70 Kegel bilden die Vulkangruppe des Kunlun Shan im Nordwesten Tibets. 1.500 Meter erheben sie sich über das Hochland, bilden eine Mauer gegen die westchinesische Region Xinjiang. Vulkanologisch sind sie eine Rarität, denn sie sind sehr jung und weitab von allen tektonischen Strukturen, an denen Vulkane normalerweise entstehen:
"Sie stehen mit keiner plattentektonischen Grenze in Verbindung wie etwa der Vesuv, und auch nicht mit einem Hotspot wie die Vulkane von Hawaii. Es ist ein besonderer Vulkantyp, und es gibt ihn nicht nur in Tibet, sondern auch in der Sierra Nevada, am Ostafrikanischen Graben oder im peruanisch-chilenischen Altiplano: Immer in einer tektonischen Umgebung, in der wir keine Vulkane erwarten",
erklärt Linda Elkins-Tanton von der Arizona State University.
Produkt eines rätselhaften Prozesses
Inzwischen haben mehrere Forschergruppen versucht, dieses Rätsel zu lösen und dafür unter anderem die Lava dieser Vulkane analysiert. Das Ergebnis: Sie scheinen Produkt eines ungewöhnlichen Prozesses zu sein:
"Unter normalen Vulkanen schmelzen Gesteine, wenn sie im heißen Erdmantel nach oben steigen: Magma entsteht, sobald der Umgebungsdruck nachlässt.
Bei diesen besonderen Vulkanen passiert jedoch sozusagen das Gegenteil. Es beginnt an der Basis der Kontinentalplatte. Die Krustengesteine dort unten reagieren plastisch wie extrem zäher Honig und können regelrecht in den Erdmantel hinunter tropfen. "
"Der Erdmantel heizt dann den zähen Gesteinstropfen auf seinem Weg nach unten immer weiter auf, sodass das Tropfenmaterial schließlich zu schmelzen beginnt."
Diese Schmelze ist leichter als ihre Umgebung, steigt auf, und an der Erdoberfläche bildet sich ein sogenannter "Tropfenvulkan". Das passiert aber nur unter ganz besonderen tektonischen Bedingungen:
"In Tibet ist die Erdkruste durch die Gebirgsbildung immens verdickt. Dadurch wird die Basis so heiß, dass sich Tropfen bilden können. Das geschieht beispielsweise auch in Altiplano. In Tansania hingegen bilden sich Tropfenvulkane an den Flanken des ostafrikanischen Grabens."
Dort hat Afrika vor 35 Millionen Jahren begonnen, zu zerbrechen, denn tief aus dem Erdinneren steigt ultraheißes Material wie ein Schneidbrenner auf. In der Nähe der Oberfläche entsteht Magma, das die klassischen Vulkane des ostafrikanischen Grabens speist. Allerdings bleibt ein Teil dieses Magmas stecken, erstarrt unter den Flanken - und dieser Teil ist dann das Ausgangsmaterial für die Tropfenvulkane dort.
"Tropfenvulkanismus könnte schon auf der jungen Erde existiert haben, als die Oberfläche noch zu heiß war für Plattentektonik. Die spielt heute eine zentrale Rolle auf der Erde, recycelt unter anderem Treibhausgase.
Auf der jungen Erde hätte der Tropfenvulkanismus ins Klimageschehen eingegriffen. Tropfenvulkane hätten überall immer neues Gestein an die Oberfläche gefördert. Das reagierte mit der Atmosphäre, entzog ihr Kohlendioxid und sank irgendwann wieder in einem neuen Tropfen ab. Das wäre ein langsamer Prozess, aber er könnte durchaus so viel Kohlendioxid aus der frühen Erdatmosphäre geholt haben, um sie stabil in den Temperaturgrenzen für Lebens gehalten zu haben."
Tropfenvulkane auf der Venus vermutet
Dann hätten wir den Tropfenvulkanen viel zu verdanken. Außerdem könnte der Prozess heute noch auf der Venus wirken, überlegt Linda Elkins-Tanton. Die US-Raumsonde Venus Express hat Anzeichen für einen jungen, vielleicht nur wenige 1.000 Jahre alten Vulkanismus gefunden.
Für Plattentektonik ist die Venus zu heiß, aber Tropfenvulkane könnten existieren.