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Plattform des politischen Aktionismus

Sie präsentiert sich als eine Art Leistungsschau der Subversion, die 7. Berlin Berlinale. Es geht um die Suche nach einer neuen Revolutionskunst. Um Widerstand als ästhetisches Phänomen, das nicht nach gelehrten Einschätzungen und Traditionsbezügen fragt, sondern sich der Themen bedient, die buchstäblich auf der Straße liegen.

Von Carsten Probst | 25.04.2012
    Mit Skepsis hat das Feuilleton in den letzten Monaten die Vorbereitungen zu dieser Berlin Biennale verfolgt, insbesondere die erklärte Absicht ihres Künstlerischen Leiters Artur Zmijewski, sie diesmal zu einer Plattform von Kunst als zu der des politischen Aktivismus zu machen. Mit Skepsis wurde im Vorfeld die Einladung des russischen Künstlerkollektivs "Woina" zu "Co-Kuratoren" der Biennale bedacht, das im Kampf gegen Wladimir Putins Machtapparat auch vor inszenierten Gewaltaktionen auf der Straße nicht zurückschreckt. Oder jene viel diskutierte Kunstaktion "Deutschland schafft es ab" des Aktionskünstlers Martin Zet, bei dem der Bestseller Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" in einer großen Sammelaktion symbolisch vernichtet werden sollte.

    Der Rundgang über die verschiedenen Orte der Biennale bestätigt zwar den aktivistischen Grundeindruck, entschärft ihn zugleich aber auch durch die schiere Masse verschiedener Gruppen und Bewegungen, die sich hier wie auf einer teils ironisch übertreibenden Leistungsschau der Subversion präsentieren können.

    Am traditionellen Hauptspielort der Biennale, den KunstWerken in der Auguststraße, ist es ein Saal in der dritten Etage, der das kuratorische Prinzip wie im Brennglas bündelt. "Breaking the News" ist der Saal übertitelt. An den Wänden laufen gleichzeitig neun Videoprojektionen mit Aufnahmen von Demonstrationen, Protestaufmärschen oder aktivistischen Aktionen, die nicht selten von Polizei und Ordnungskräften niedergeknüppelt werden. Die Auflösung eines Occupy-Camps in einem Video der Medienaktivistengruppe "Filmpiraten", Anti-Roma-Proteste in Tschechien, gefilmt von dem österreichisch-tschechischen Künstler David Rych; Straßenaktionen der ukrainischen Feministinnengruppe "Femen" gegen Sextourismus und postsowjetische Ausbeutung von Frauen. Berichte zum Medienkollektiv "Mosireen" aus Kairo, das aus der ägyptischen Revolution hervorging; Straßenschlachten in Athen.

    Das vielstimmige Schlachtengetümmel auf den Straßen wühlt auf und erschafft ein Kaleidoskop gelebter Demokratie, gelebter Einmischung, so will es Artur Zwmijeski, den Kunst oder, besser gesagt, Bilder als Medium dieser Vielstimmigkeit faszinieren. Er, der selbst als provozierender Videokünstler bekannt wurde, weil er in seinen Filmen den Finger auf historische und moralische Wunden der europäischen Zivilgesellschaft legt - er selbst hat diese Biennale als eine riesige Collage angelegt, als offenes Gesamtkunstwerk, zu dem die Besucher und die Aktivisten fortlaufend aufgefordert sind immer mehr beizutragen und nichts stellvertretend irgendwelchen Künstlern zu überlassen.
    Ansätze für solche Konzepte gab es bereits früher, zuletzt bei der documenta 11 vor zehn Jahren, doch Zmijewski hat das Prinzip noch einmal radikalisiert. Der Hauptsaal im Erdgeschoss der KunstWerke hat sich in eine Art Aktionsfläche für die globalen antikapitalistischen Sammlungsbewegungen verwandelt, Anonymus, Anonyma, Occupy und zahlreiche Bürgerinitiativen, die für basisdemokratische Belange eintreten, sei es im Finanzbereich, im Internet, gegen Rechts oder auch in Fragen der politisch-religiösen Toleranz, einschließlich Aktionen für einen palästinensischen Staat oder die Neuansiedlung des Judentums nach Polen. Dazu zählt auch die bemerkenswerte Einbeziehung des Deutschlandhauses nahe dem Potsdamer Platz, das künftig die Dauerausstellung der "Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung" beherbergen wird, die besonders in Polen und Tschechien mit Argwohn bedacht wird, sich auf dieser Biennale der Aktivisten aber ebenfalls vorstellen darf. Zmijewski zu unterstellen, es gehe im rein um eine politische Instrumentalisierung der Biennale, geht ganz offensichtlich an der Sache vorbei.

    Sieht man es wohlwollend, dann geht es dieser Biennale um die Suche nach einen neuen Revolutionskunst, wie sie schließlich auch am Beginn der europäischen Moderne stand. Um Widerstand als ästhetisches Phänomen, das nicht nach gelehrten Einschätzungen und Traditionsbezügen fragt, sondern sich der Themen bedient, die buchstäblich auf der Straße liegen. So etwas kann schnell peinlich und naiv wirken. In der geradezu wüsten Häufung verschiedenster Richtungen aber wandelt sich diese Biennale zum Katalysator von demokratischer Gegenwart. Selten zuvor hat die Berlin Biennale ihre eigene Zeit so lebendig aufgenommen und vermittelt wie diese.