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Plauser Totentanz

Im Jahre 1485 erschien in Paris ein Buch, das schon nach einem Jahr ein echter Bestseller war, sieben weitere Auflagen erfuhr, in zahlreichen europäischen Ländern abgekupfert wurde und eine Fortsetzung gab man dann auch noch heraus. Es war ein Buch grausigen Inhalts, vorgetragen jedoch in humoreskem Ton und versehen mit geradezu fröhlich anmutenden Holzschnitten. Und weil das alles so herrlich einprägsam war, malte man die Bilder so oder ähnlich ab und lernte den Inhalt auswendig: Das Buch hieß La Danse macabre des Hommes , putzmunter holte darin der Tod in Gestalt eines vergnügten Skeletts alle möglichen Männer ab: Herzog, Ritter, König, Bauer, Abt, Junge und Dieb.

Liane Dirks |
    In dem Fortsetzungsband La Danse macabre des Femmes sind es dann die Frauen: Jungfrau, Mutter, Äbtissin, Königin und alte Vettel und der weiteren mehr. Seit dieser Zeit gibt es die sogenannten Totentänze, gemalte Geschichten von Sensemanns Gleichmacherei, Ermahnungen zur Umkehr, Belehrungen über das Vergängliche, und natürlich hat diese Kunstform den Zeitläuften gemäß sich in ihrem Sinn gewandelt, in ihren Grundzügen aber nicht. Was im Mittelalter als Schockeffekt gedacht war, wurde in der Neuzeit zu religiöser Erbauungsliteratur, später zu rationaler Konfrontation und schließlich in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts zur Anklage gegen Krieg und Verderben, durch vom Menschen verursachte Qualen also. Hier allerdings verlor der Totentanz etwas ihm ursprünglich Eigenes, nämlich jene seltsame Mischung, jenes paradoxe Verhältnis von Leben und Tod, ausgedrückt in der fröhlichen Vitalität des Knochenmanns, die einst so gefallen haben muss. Eine nicht unerhebliche Feststellung über unser gewandeltes Verhältnis zum Tod.

    In Südtirol ist ein Künstler nun zu den Ursprüngen der Danse macabre zurückgekehrt, auf den Friedhofsmauern des Städtchens Plausen hat Luis Stefan Stecher einen Totentanz gemalt, also dorthin, wo der Totentanz auch im Mittelalter zu finden waren, damit man bzw. frau wusste, was auf Gottes Acker los ist. Modern freilich hat er die Betonplatten gestaltet, doch der Ikonographie des danse macabre durchaus streng folgend.

    "Tanzen tun wir alle gern - nur nicht mit so dünnen Herrn" . Mit aufgebauschten Luftgewändern holen grinsende Gerippe flotte Frauen im Tanzschritt ab, sie stoppen Motorradfahrer, legen Hand auf musizierende Trinker, kichern im Garten des Eigenheims hinter dem Rücken der Familie, trommeln dem letzten Reiter Geleit und zerren an des Narren Maske. Nehmen sanft das Kind von der Mutter weg und weisen auf das helle Licht des Jenseits.

    "Halt an ein Weilchen, bleib stehen - dann weißt du vielleicht wie weitergehen", heißt es auf dem Spruchband im ersten Bild. Geschrieben freilich im Südtiroler Dialekt. Rosa Ohrenmäuse, aus dem Gentech-Labor laufen die Weltkugel rauf zu einem Wegkreuz auf dem Adieu , adio , ad deum steht und um das Totenschädel gruppiert sind. Auf fast allen Tafeln ist so die Welt zu sehen, gewissermaßen von oben herab, so als hätten wir Ahnung. In der Mitte rechteckig ein Loch, das Grab, der Sinnspruch oben drüber, ein ockerfarbenes Band und locker gruppiert, der Mensch/ der Tod, das Licht/ der Schatten, die Erde/ das All, die Gegensätze unserer Existenz also.

    Dass wir diese Bilder nicht nur im Touristenstädtchen Plausen betrachten können, sondern auch in Buchform, ist dem Folio Verlag zu verdanken und der Tochter des Künstlers: Ulli Stecher. Sie erläutert jede einzelne Tafel, gibt Wissenswertes über die Entstehungsgeschichte als Beigabe mit, manchmal ein bisschen zu viel, aber man muss es auch nicht unbedingt lesen. Es zählen die 17 Tafeln und da ist mit leichter Hand und im Spiel mit den alten Vorbildern Luis Stefan Stecher etwas Erstaunliches gelungen: er hat die Ikonographie des Genre Totentanz aktualisiert. Und im Vorbeimarsch des Lebens jenes so befremdende und berührende Innehalten eingefangen. So ist es, denkt man beim Betrachten, und so war es auch immer schon. Leich is Leich, beim Heimgehen "saimr olle gleich."