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Plötzlich Winter
Warum der Klimawandel auch Kälte mit sich bringt

Der vom Tief Tristan ausgelöste Kälteeinbruch in Deutschland könnte mit dem Eisverlust in der Arktis zu tun haben, sagte der Meteorologe Özden Terli im Dlf. Nach jüngsten Erkenntnissen nehmen die Störungen des Polarwirbels zu. Das wiederum wirke sich auf unser Wetter aus.

Özden Terli im Gespräch mit Georg Ehring |
Schnee liegt in der Bahnhofstraße in der Innenstadt und zwei Langläufer laufen darüber. Nach dem heftigen Wintereinbruch in vielen Regionen Deutschlands am Wochenende soll es auch am Montag mit Extremwetter weitergehen.
Alles andere als normal - Skilaufen in einer Stadt in Thüringen (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
In einigen Teilen Deutschlands war es ziemlich heftig: kräftiger Wind, jede Menge Neuschnee, unpassierbare Straßen und Schienen, auf denen kein Zug fährt. Der derzeitige Kaltluftausbruch wird für mindestens anderthalb Wochen bleiben, sagte dazu der Meteorologe Özden Terli, der im ZDF das Wetter erklärt, im Dlf. Es komme vor allem darauf an, wie der Polarwirbel verschoben werde. "Derzeit ist er nicht da, wo er hingehört." Solche Verschiebungen könnten immer wieder auftreten.

Verbindung zum Eisverlust in der Arktis?

Insgesamt beobachte man, dass die Polarwirbel in diesem Herbst überhaupt nicht zur Ruhe gekommen seien. Hier könnten die Verbindungen mit dem Eisverlust in der Arktis ursächlich sein. Die erwärme sich derzeit dreimal so schnell wie der Rest des Planeten. Auch erste Studien deuteten darauf hin, dass die Störungen des Polarwirbels deutlich länger anhielten.
Meterologe Kachelmann zu extremer Wetterlage (08:15)
Der aktuelle Winter sei nicht so häufig ist, sagte der Meteorologe Jörg Kachelmann zum Wettertief Tristan im Dlf. Bestimmte Wetterphänomene müssten zusammenkommen, damit diese Wetterlage so auftreten könne.

Georg Ehring: Herr Terli, erst einmal ganz konkret. Woher kommt der massive Kälteeinbruch?
Özden Terli: Das ist jetzt erst einmal darauf zurückzuführen, dass im Norden ein enormes Hoch sich gebildet hat, und zwar von Grönland bis nach Skandinavien, und da hat sich die kalte Luft gesammelt. Dagegen rennt quasi die feuchtwarme Luft aus dem Südwesten an. So war es nun gut über elf Tage, muss man sagen, schon eine lange Situation. Da gab es eine Verschärfung mit diesem letzten Tief und dann kam es zu diesen Schneefällen von Samstagabend bis jetzt eigentlich noch.

Störungen des Polarwirbels halten wohl länger an

Ehring: Wie passt denn so ein Kälteeinbruch, der ja wohl auch eine ganze Zeit lang dauern wird, zum allgemeinen Trend der Erwärmung, der Erderwärmung durch die CO2-Emissionen?
Terli: Sie sagen es ja: den allgemeinen Trend. Global ändert sich ja nichts daran. Die Erwärmung schreitet ja weiter voran und das letzte Jahrzehnt war das wärmste global. So lokale Effekte kann es geben. Letztendlich führt man auch solche Kälteausbrüche durchaus auf die Veränderungen von Strömungen der Atmosphäre zurück – Stichwort Polarwirbel. Das ist ein Tief in etwa 30 Kilometern Höhe. Man nennt es auch die Stratosphäre. Normalerweise dreht der sich gegen den Uhrzeigersinn und dann kann es dazu kommen – und das kommt auch normalerweise vor -, dass er gestört wird, und dann bricht die Kälte quasi aus. In diesem Herbst, muss man sagen, kam der überhaupt nicht zur Ruhe, eierte die ganze Zeit herum, und auch Experten haben sich darüber gewundert. In der Forschung sagt man, dass das durchaus auch Verbindungen mit dem Eisverlust in der Arktis zu tun hat. Wenn man sich anschaut, wie wenig Eis wir im vergangenen Oktober hatten – die Arktis ist ja erst einmal gar nicht zugefroren. Es hat sehr lange gedauert. Letztendlich ist es ja auch so, dass wir gar nicht mehr so eine große Kälte in der Arktis haben. Die Arktis erwärmt sich dreimal so schnell wie der Rest des Planeten. Die Luft, die uns erreicht, ist auch nicht mehr so kalt wie zum Beispiel vor knapp 40 Jahren, wo es diese Schneekatastrophe gab. 78, 79 ist ja jetzt in aller Munde. Das war jetzt von der Temperatur her schon in der Form anders als damals.
Klimawandel - Eis in der Arktis schmilzt immer schneller
Gigantische Eismassen werden in den nächsten Jahrzehnten abschmelzen und damit den Meeresspiegel anheben. Dabei könnte der Beitrag grönländischer Gletscher drei- bis viermal so hoch ausfallen wie angenommen, sagte Forscher Ingo Sasgen.
Ehring: Dieser Polarwirbel, Sie sagten es, der schließt normalerweise die Kaltluft in der Arktis ein. Wird der denn durch die Klimaerwärmung immer wieder schwächer, oder was ist da der Zusammenhang?
Terli: Es ist wohl nicht die Häufigkeit, aber die Störungen des Polarwirbels halten länger an. Das ist untersucht. Marlene Kretschmer hat das untersucht, das ist ein aktuelles Paper. Da ist viel Wissenschaft hinter, da wird viel geforscht, und man muss sagen, solche Ereignisse muss man schon auch mit Wissenschaft betrachten. Meteorologie ist ja eine Wissenschaft; das ist ja nicht nur Wetter. Man nennt sie auch Physik der Atmosphäre und da muss man auch schauen, was gibt die Wissenschaft aktuell her, und das mit einfließen lassen. Zu sagen, es ist nur Wetter, ist ein bisschen kurz gegriffen und lässt die Wissenschaft ziemlich links liegen.

"Nicht der klassische Kälteausbruch wie zum Beispiel 2018"

Ehring: Was sagt denn die Wissenschaft dazu, wie lange so eine doch etwas ungewöhnliche Wettererscheinung dauern kann?
Terli: So ein Kaltluftausbruch, wie er jetzt ist – wir sehen für die nächsten mindestens mal anderthalb Wochen, dass es so bleiben wird. Es kommt darauf an, wie der Polarwirbel verschoben wird. Derzeit ist er nicht da, wo er hingehört. Er müsste genau zentral über der Arktis sein. Er ist verschoben und dementsprechend wirkt das auf die Atmosphäre. Das ist immer zeitverzögert. Knapp zwei Wochen später setzt sich das dann nach unten durch. Das ist natürlich jetzt der Idealfall. Man redet ja auch vom Split zum Beispiel. Da gibt es eine bestimmte Formation; ich will da jetzt nicht zu tief einsteigen. Dann bricht die kalte Luft erst recht aus und dann kann das über Eurasien passieren oder Amerika. Aber das war in diesem Jahr gar nicht mal so der Fall. Es war nicht der klassische Ausbruch der Kälte, wie wir es zum Beispiel 2018 gesehen haben. Das ist ausgeblieben. Und wenn man ein Jahr zurückschaut – da war der Polarwirbel sogar sehr konsistent auf dem Nordpol, hat sich fast gar nicht bewegt, und auch das ist wiederum zum Beispiel untersucht worden, dass es auf Winterstürme eine Wirkung hat. Das bedeutet, die Meeresströmungen haben sich immer weiter nach Norden verschoben, und daran orientieren sich die Winterstürme und werden kräftiger aus West. Es gibt vielerlei Verquickungen. Es hängt viel miteinander zusammen und das muss man immer betrachten und nicht immer gewinnt das gleiche Phänomen. Mal ist es das eine, mal das andere. Aber grundsätzlich daran zu zweifeln, dass die Erde sich weiter erwärmt, das ist einfach nicht angebracht.
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