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Plogging
Doppelt gutes Gewissen

Sie unterscheiden sich von Joggern durch ihre Mülltüten: Plogger sammeln Müll, während sie ihre Runden drehen. Immer häufiger durchkämmen kleine Plogger-Trupps deutsche Parks und Städte. Geschätzte zehn Kilo Müll können so in nur einer Stunde zusammenkommen.

Von Tobias Krone |
Ein Jogger sammelt mit Handschuhen und einem Abfallsack auf dem Boden liegenden Müll.
Der neue Trendsport Plogging aus Schweden erobert die Städte. Das Wort setzt sich aus den Worten "Plocka" und "Jogging" zusammen. (picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich)
Im Englischen Garten München ist an diesem Tag einiges los. Die Joggingsaison ist angebrochen. Doch für den Mittvierziger Frank Brodmerkel und ein Dutzend anderer Menschen im Sportlerdress ist heute in erster Linie Frühjahrsputz angesagt. Großreinemachen im Park. Die Gruppe ist ein Plogging Mob.
"Natürlich ist das ein Kunstwort aus Plokka aus dem Schwedischen und Joggen, so hat sich Ploggen gebildet. Letztlich geht’s ein bisschen um körperliche Bewegung und dabei noch was für die Umwelt tun – also für den Körper und für die Umwelt."
Joggen mit etwas Sinnvollem verbinden
Der Trend kam vergangenes Jahr aus Skandinavien. Und weil der PR-Berater für Umwelttechnik ohnehin gern für Ökologie unterwegs ist – warum nicht gleich mit Mülltüte.
"Naja gut, Joggen tun viele, wollen sich jetzt im Frühjahr wieder bewegen, ihre Wurströllchen von der Hüfte kriegen. Warum soll man das nicht noch mit was Sinnvollem verbinden? Die meisten laufen irgendwo rum, sind genervt, wenn sie Müll am Boden rumliegen sehen, und ärgern sich darüber, dass die Leute so rücksichtslos sind. Aber natürlich bücken sich die Leute nicht. Habe ich früher auch nicht gemacht."
Heute wird sich gebückt. Und zwar fürs doppelt gute Gewissen. Das Plogging hört sich neu an, hat in Bayern aber eine gewisse Tradition. Das Ramadama – zu deutsch: Räumen tun wir.
"Das gibt’s natürlich schon seit dem Krieg, dass man die Trümmer wegräumt. Jetzt sind’s natürlich eher die Mülltrümmer. "
Schon vergangenes Jahr rief Frank Brodmerkel vier Mal zum Plogging Mob auf Facebook auf. Erfahrene Plogger haben Gummihandschuhe und alte Plastiktüten dabei. Dann geht’s los.
Eva Jubitz trägt keine Sportsachen, ihr Mantel ist elegant, ihr Gesicht geschminkt:
"Ich habe danach noch einen Termin in der Stadt, ich wollte zu einer Lesung gehen und da wollte ich dann nicht im Jogginganzug kommen."
Sie durchkämmt im Schritttempo die Wiese, auf der sich im Sommer Hunderte Jugendliche treffen. Und hält angestrengt Ausschau.

"Ich seh hier gerade überhaupt keinen Müll. – Da vorne sehe ich was, da gehen wir jetzt hin."
Plogging statt Fridays for Future
Vor allem Kronkorken liegen hier. In ein paar Metern Entfernung geht ihr 14 Jahre alter Stiefsohn Lennart. Der Schüler zieht das Plogging den Schülerstreiks von Fridays for Future vor, denn: "ich krieg einen Verweis und ich habe keine Lust auf einen Verweis. Deswegen…"
Für seine demonstrierenden Altersgenossen könnte so ein Plogging Mob auch ein Test sein, wie ernst sie es mit der Umwelt meinen. Sagt er: "Ich finde, die ganzen Jugendlichen, die demonstrieren gehen, sollten hier vor allem mitmachen. Weil viele nutzen es einfach aus, um Schule zu schwänzen. Aber wenn man hier mitgeht und zeigt, dass man wirklich für die Umwelt ist, finde ich es eine gute Sache."
Im Gebüsch am Bach liegen eine halb vergrabene Herrenboxershorts und ein paar Bierflaschen. Wohl noch vom vergangenen Sommer.
"Guck mal, da liegt ne Felge. Aber die lassen wir mal…"
Reporter: "Die liegt ja schon auf dem Mülleimer."
"Ja, das ist ja eh ganz brav"
Alfred Weiß, 45, dunkle Haare, Hornbrille, pickt auf der Wiese Taschentücher auf. Der Pfleger fühlt sich unter Ploggern pudelwohl: "Weil ich früher da das so ein bisschen allein gemacht habe. Und man kam sich irgendwie blöd vor. Wenn man so was allein macht, und nicht weiß, dass es anderen Leute auch so geht, dass sie sich an dem Müll stören und so weiter. Da dachte ich, es ist so eine Art Zwangserkrankung: die normalen Leute machen das nicht, die überlassen das halt den professionellen Müllmännern oder so."
Doppelt zufrieden
‚Normale‘ Leute - wie dieses Joggerpärchen zum Beispiel, das ich für einige Meter meines Rückwegs begleite:
"Ich find’s saucool, ich habe neulich ein Video auf Facebook gesehen, wo die das gemacht haben. Aber ich stelle mir das schwierig vor, wenn du ständig den Lauffluss unterbrichst, oder?"
Reporter: "Okay, ihr macht jetzt nicht mit?"
"Ich glaub nicht. Aber wenn ich zufällig irgendwo drüberstolpere, schmeiß ich es in den Mülleimer."
Anders als die 23 Jahre alte Studentin Anna in Trainingsjacke und Jogging-Leggins, die mit ihren beiden Freunden auf dem Rückweg zum Versammlungspunkt beachtlich Fahrt aufnimmt – mit kurzen Unterbrechungen bei Kaugummipapier und Kippenschachtel.
"Macht mega Spaß, man glaubt ja nicht, wie viele Leute sich einfach bedanken, dass man hier den Müll mitnimmt. Da frage ich mich, wer schmeißt ihn dann weg."
Reporter: "Ist es nicht doof, dauernd anhalten zu müssen – sich bücken…"
"Das ist jetzt wahrscheinlich kein Trainingseffekt, aber deswegen mache ich es ja nicht. Es macht Spaß."
Genau eine Stunde später werden alle Plastiktüten zusammengeschüttet – geschätzte zehn Kilo Müll haben wir zusammengetragen – und legen ihn nun neben einem Mülleimer ab. Etwas verschwitzt, müde, aber doppelt zufrieden löst sich der Plogging Mob auf.