Tobias Armbrüster: Die Deutschen und der Islam, das ist ein Thema, das immer wieder zu Streit und politischen Debatten führt – auch deshalb, weil viele Deutsche den Eindruck haben, der Islam in Deutschland werde in gewisser Weise ferngesteuert, etwa aus der Türkei und aus Saudi-Arabien. Vor allem die Imame an deutschen Moscheen, die oft aus der Türkei rekrutiert werden und die kein Wort Deutsch sprechen, sind vielen Deutschen unheimlich. Tatsächlich hat sich Deutschland, das kann man sagen, bislang sehr zurückgehalten bei der Ausbildung von muslimischen Geistlichen und auch von muslimischen Pädagogen. Das Feld wurde anderen Ländern überlassen. Aber das soll sich jetzt ändern. Die Bundesregierung hat vor zwei Jahren verkündet, dass an vier deutschen Universitäten spezielle Institute eingerichtet werden sollen, Institute für islamische Theologie. Ausgewählt wurde unter anderem die Universität Tübingen, sie wird heute als erste Hochschule in Deutschland ihr Institut eröffnen, und am Telefon begrüße ich Professor Bernd Engler. Er ist der Rektor der Universität. Schönen guten Morgen, Herr Engler.
Bernd Engler: Einen schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Engler, wer genau wird da bei Ihnen ausgebildet?
Engler: Ja ich denke, vor allen Dingen Pädagogen, die an Gymnasien islamischen Religionsunterricht abhalten werden, aber auch natürlich Imame, aber auch eine sehr, sehr breite Gruppe von Studierenden, die das Studium pflegen wollen mit ganz anderen Berufsaussichten: für die Medien, für Sozialdienste und vieles andere mehr.
Armbrüster: Sprechen wir mal über die Imam-Ausbildung. Das liegt den meisten wahrscheinlich am ehesten am Herzen. Was läuft da bei Ihnen in Tübingen anders, etwa als bei einer Imam-Ausbildung in der Türkei?
Engler: Zum einen wollen wir natürlich gar nicht zu allererst auf ein bestimmtes Berufsbild hin ausbilden, sondern wir wollen unseren Studierenden eine möglichst breite, sehr ausgewogene Ausbildung in allen Facetten der islamischen Theologie bieten, wie etwa auch in den christlichen Theologien. Von daher wollen wir gar nicht zunächst mal den Prediger im Blick haben, sondern denjenigen, der auf einem sehr breiten Fundament steht, die Religionswissenschaft auch vertreten kann, und von daher ist die Imam-Ausbildung eigentlich eher ein Sekundärziel.
Armbrüster: Ist denn das, was da in Ihren Lehrinhalten steht, ein eher, wenn man das so sagen kann, liberaler Islam?
Engler: Ich denke, vor allen Dingen ein pluraler Islam, denn das Entscheidende ist ja natürlich, dass der Islam sehr, sehr viele Facettierungen hat, und ich denke, in dem Moment, wo wir diese Pluralität im Blick haben, werden wir auch den Studierenden eine gewisse Liberalität mit auf den Weg geben.
Armbrüster: Was machen Sie zum Beispiel mit solchen Sachen wie der Scharia-Rechtsprechung?
Engler: Natürlich wird auch islamisches Recht an der Universität Tübingen zu unterrichten sein, aber auch hier ist es ja wie mit vielen anderen Lehrgebieten so, dass die unterschiedlichen Rechtsschulen diskutiert werden sollen, und von daher glaube ich auch, dass hier die Pluralität eine gewisse Ausgewogenheit herbeiführen wird.
Armbrüster: Das heißt, das wird durchaus eine Rechtsprechung sein, die auch die Scharia beinhaltet, und da wird Scharia, kann man das sagen, propagiert?
Engler: Nein. Zum einen: Scharia heißt ja nicht, ein bestimmtes Rechtssystem zu predigen, sprich bestimmte Urteile nach Recht, wie es beispielsweise in Saudi-Arabien gilt, vorzunehmen, sondern im Grunde genommen eine ausgewogene Interpretation unterschiedlicher Rechtsschulen ins Feld zu führen, und Sie sehen ja natürlich auch, dass, wenn Sie in unterschiedliche islamische Länder schauen, das Recht sehr, sehr unterschiedlich gepflegt wird.
Armbrüster: Sind Sie sich denn sicher, dass Muslime in Deutschland diese hier in Tübingen ausgebildeten muslimischen Theologen überhaupt ernst nehmen?
Engler: Das ist natürlich ein ganz zentrales Anliegen auch des Wissenschaftsrats gewesen bei seinen Empfehlungen, und aus diesem Grund haben wir ja neben dem Institut der sogenannten Berufungskommission, die auf die akademische Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber achten, einen Beirat eingeführt, der dafür sorgen wird, dass genau diese Akzeptanz in den Moscheegemeinden hergestellt werden kann, denn dort sind Verbände eingeschlossen, dort sind Moscheegemeinden eingeschlossen und es wäre natürlich töricht, Studierende auszubilden, die als Absolventen für die Moscheegemeinden gar nicht infrage kommen.
Armbrüster: Aber im Zweifelsfall wäre es doch wahrscheinlich eher so, dass ein Muslim in Deutschland eher einen islamischen Theologen aus seinem islamischen Land bevorzugen würde?
Engler: Das sehe ich gerade nicht so. Ich glaube eigentlich, dass die Zeit mehr als reif ist, hier in Deutschland Muslime auszubilden, sodass sie in ihren Kirchengemeinden, in ihren Moscheegemeinden tätig werden können, denn wir sehen natürlich, dass während die Muslime in Deutschland, die beispielsweise als Gastarbeiter aus der Türkei in der ersten Generation nach Deutschland kamen, sehr wohl natürlich Imame aus der Türkei bevorzugen, in der zweiten Generation das schon leicht anders war. Und gerade in der dritten Generation, in der sehr viele Kinder gar nicht mehr das Türkische so beherrschen wie Vertreter der ersten und zweiten Generation, ist es umso dringender, deutschsprachige Imame und vor allen Dingen auch deutschsprachige Pädagogen diese religiösen Vorstellungen kommunizieren zu lassen.
Armbrüster: Herr Professor Engler, sind diese Ausbildungszentren, so wie Ihres jetzt in Tübingen, ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Macht und der Einfluss des Islam bei uns in Deutschland weiter ausbreiten?
Engler: Ich denke, eigentlich nicht. Ich glaube eher, dass es ein Anzeichen dafür ist, dass wir die religiösen Empfindungen der Muslime etwas ernster nehmen, als wir es in den Jahren zuvor getan haben. Die Muslime in Deutschland haben sich natürlich immer, was ihre Religion und ihre religiöse Praxis anbelangt, eher in die Hinterhöfe abgedrängt gesehen, und ich glaube, das ist ganz gut, wenn damit Schluss ist.
Armbrüster: Können Sie denn verstehen, wenn viele Leute Bedenken haben bei so etwas?
Engler: Ich denke, Bedenken sind ernst zu nehmen. Ich kann sie auch teilweise verstehen, weil viele natürlich mit Muslimen wenig Kontakt haben und vor allen Dingen auch deren religiöse Praxis nicht richtig einschätzen können. Man denkt sofort an Burka und Scharia, und zwar in der schlimmsten Ausprägung, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Muslime sehr, sehr viel offener, sehr viel pluraler denken, als wir uns das gemeinhin vorstellen.
Armbrüster: An der Universität Tübingen wird heute das erste Institut für islamische Theologie in Deutschland eröffnet. Wir haben darüber gesprochen mit Professor Bernd Engler, dem Rektor der Universität. Besten Dank, Herr Engler, für das Gespräch.
Engler: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bernd Engler: Einen schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Engler, wer genau wird da bei Ihnen ausgebildet?
Engler: Ja ich denke, vor allen Dingen Pädagogen, die an Gymnasien islamischen Religionsunterricht abhalten werden, aber auch natürlich Imame, aber auch eine sehr, sehr breite Gruppe von Studierenden, die das Studium pflegen wollen mit ganz anderen Berufsaussichten: für die Medien, für Sozialdienste und vieles andere mehr.
Armbrüster: Sprechen wir mal über die Imam-Ausbildung. Das liegt den meisten wahrscheinlich am ehesten am Herzen. Was läuft da bei Ihnen in Tübingen anders, etwa als bei einer Imam-Ausbildung in der Türkei?
Engler: Zum einen wollen wir natürlich gar nicht zu allererst auf ein bestimmtes Berufsbild hin ausbilden, sondern wir wollen unseren Studierenden eine möglichst breite, sehr ausgewogene Ausbildung in allen Facetten der islamischen Theologie bieten, wie etwa auch in den christlichen Theologien. Von daher wollen wir gar nicht zunächst mal den Prediger im Blick haben, sondern denjenigen, der auf einem sehr breiten Fundament steht, die Religionswissenschaft auch vertreten kann, und von daher ist die Imam-Ausbildung eigentlich eher ein Sekundärziel.
Armbrüster: Ist denn das, was da in Ihren Lehrinhalten steht, ein eher, wenn man das so sagen kann, liberaler Islam?
Engler: Ich denke, vor allen Dingen ein pluraler Islam, denn das Entscheidende ist ja natürlich, dass der Islam sehr, sehr viele Facettierungen hat, und ich denke, in dem Moment, wo wir diese Pluralität im Blick haben, werden wir auch den Studierenden eine gewisse Liberalität mit auf den Weg geben.
Armbrüster: Was machen Sie zum Beispiel mit solchen Sachen wie der Scharia-Rechtsprechung?
Engler: Natürlich wird auch islamisches Recht an der Universität Tübingen zu unterrichten sein, aber auch hier ist es ja wie mit vielen anderen Lehrgebieten so, dass die unterschiedlichen Rechtsschulen diskutiert werden sollen, und von daher glaube ich auch, dass hier die Pluralität eine gewisse Ausgewogenheit herbeiführen wird.
Armbrüster: Das heißt, das wird durchaus eine Rechtsprechung sein, die auch die Scharia beinhaltet, und da wird Scharia, kann man das sagen, propagiert?
Engler: Nein. Zum einen: Scharia heißt ja nicht, ein bestimmtes Rechtssystem zu predigen, sprich bestimmte Urteile nach Recht, wie es beispielsweise in Saudi-Arabien gilt, vorzunehmen, sondern im Grunde genommen eine ausgewogene Interpretation unterschiedlicher Rechtsschulen ins Feld zu führen, und Sie sehen ja natürlich auch, dass, wenn Sie in unterschiedliche islamische Länder schauen, das Recht sehr, sehr unterschiedlich gepflegt wird.
Armbrüster: Sind Sie sich denn sicher, dass Muslime in Deutschland diese hier in Tübingen ausgebildeten muslimischen Theologen überhaupt ernst nehmen?
Engler: Das ist natürlich ein ganz zentrales Anliegen auch des Wissenschaftsrats gewesen bei seinen Empfehlungen, und aus diesem Grund haben wir ja neben dem Institut der sogenannten Berufungskommission, die auf die akademische Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber achten, einen Beirat eingeführt, der dafür sorgen wird, dass genau diese Akzeptanz in den Moscheegemeinden hergestellt werden kann, denn dort sind Verbände eingeschlossen, dort sind Moscheegemeinden eingeschlossen und es wäre natürlich töricht, Studierende auszubilden, die als Absolventen für die Moscheegemeinden gar nicht infrage kommen.
Armbrüster: Aber im Zweifelsfall wäre es doch wahrscheinlich eher so, dass ein Muslim in Deutschland eher einen islamischen Theologen aus seinem islamischen Land bevorzugen würde?
Engler: Das sehe ich gerade nicht so. Ich glaube eigentlich, dass die Zeit mehr als reif ist, hier in Deutschland Muslime auszubilden, sodass sie in ihren Kirchengemeinden, in ihren Moscheegemeinden tätig werden können, denn wir sehen natürlich, dass während die Muslime in Deutschland, die beispielsweise als Gastarbeiter aus der Türkei in der ersten Generation nach Deutschland kamen, sehr wohl natürlich Imame aus der Türkei bevorzugen, in der zweiten Generation das schon leicht anders war. Und gerade in der dritten Generation, in der sehr viele Kinder gar nicht mehr das Türkische so beherrschen wie Vertreter der ersten und zweiten Generation, ist es umso dringender, deutschsprachige Imame und vor allen Dingen auch deutschsprachige Pädagogen diese religiösen Vorstellungen kommunizieren zu lassen.
Armbrüster: Herr Professor Engler, sind diese Ausbildungszentren, so wie Ihres jetzt in Tübingen, ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Macht und der Einfluss des Islam bei uns in Deutschland weiter ausbreiten?
Engler: Ich denke, eigentlich nicht. Ich glaube eher, dass es ein Anzeichen dafür ist, dass wir die religiösen Empfindungen der Muslime etwas ernster nehmen, als wir es in den Jahren zuvor getan haben. Die Muslime in Deutschland haben sich natürlich immer, was ihre Religion und ihre religiöse Praxis anbelangt, eher in die Hinterhöfe abgedrängt gesehen, und ich glaube, das ist ganz gut, wenn damit Schluss ist.
Armbrüster: Können Sie denn verstehen, wenn viele Leute Bedenken haben bei so etwas?
Engler: Ich denke, Bedenken sind ernst zu nehmen. Ich kann sie auch teilweise verstehen, weil viele natürlich mit Muslimen wenig Kontakt haben und vor allen Dingen auch deren religiöse Praxis nicht richtig einschätzen können. Man denkt sofort an Burka und Scharia, und zwar in der schlimmsten Ausprägung, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Muslime sehr, sehr viel offener, sehr viel pluraler denken, als wir uns das gemeinhin vorstellen.
Armbrüster: An der Universität Tübingen wird heute das erste Institut für islamische Theologie in Deutschland eröffnet. Wir haben darüber gesprochen mit Professor Bernd Engler, dem Rektor der Universität. Besten Dank, Herr Engler, für das Gespräch.
Engler: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.