Katrin Zöfel: Es ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Medizin. 1980 – vor 30 Jahren also – erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Welt für pockenfrei. Die gefürchteten Pocken verschwanden, weil weltweit Massenimpfungen durchgeführt worden waren. Die Impfungen wurden eingestellt. Das aber könnte einem anderen Virus die Chance gegeben haben, sich auszubreiten: dem Aidsvirus. Das zumindest schreiben US-amerikanische Forscher heute im Online-Fachblatt "Biomed Central". Mein Kollege Martin Winkelheide hat die Studie gelesen und ist jetzt bei mir im Studio. Wie sind die Forscher denn überhaupt darauf gekommen, einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Pockenimpfung und dem Beginn der Aids-Epidemie zu suchen?
Martin Winkelheide: Es haben sich ja schon viele Forscher gefragt: Wie kommt es eigentlich, dass sich das Aidsvirus so schnell ausgebreitet hat? Und man hat versucht, die frühe Zeit der Aids-Epidemie zu rekonstruieren und was heute unter den Forschern einigermaßen Konsens ist, ist dass in den 20er-, 30er-Jahren – vielleicht ein bisschen früher – das Virus mehrfach vom Affen auf den Menschen übergesprungen ist. Übergesprungen klingt ein bisschen abstrakt – wahrscheinlich ist es Folge eines Jagdunfalls gewesen. Denn Menschen haben in Afrika auch häufig schon Affen gejagt und auch gegessen. Also das heißt, entweder sind sie vom Affen verletzt worden oder sie haben sich über das Essen von infiziertem Fleisch angesteckt – das weiß man so ungefähr. Man kann es auch anhand von Stammbäumen rekonstruieren. Man weiß auch, wo es war: Es war im westlichen Zentralafrika, im heutigen Kamerun. Und von da aus ist es wahrscheinlich losgegangen. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass die Forscher in den USA sich jetzt angeguckt haben: Wie war das denn mit den Pocken? Also: Wo sind die Pocken verschwunden, wie lange hat man wo geimpft? Sie haben sich das angeguckt und haben gesehen: In den 50er- bis 70er-Jahren, je nachdem wo man besonders erfolgreich war, hat man eben auch schneller aufgehört zu impfen. Und dann haben die Forscher diese beiden Verteilungsmuster sozusagen verglichen, aber haben gesagt, das muss doch irgendwie zusammenhängen. Und dann haben sie sich das genauer angeguckt.
Zöfel: Und gibt es einen Zusammenhang? Können die Forscher einen Mechanismus erklären?
Winkelheide: Das war das, was sie versucht haben. Also sie haben jetzt geguckt: Wenn sich dort, wo früher aufgehört wurde, gegen die Pocken zu impfen, das Aidsvirus gut ausgebreitet hat, dann könnte das irgendwie zusammenhängen. Und dann, haben sie gesagt, müssen wir aber sehen, dass wir irgendwie einen Mechanismus finden. Was passiert auf Zellebene? Sie haben dann Freiwillige gegen Pocken geimpft und haben Blut genommen und das Blut mit dem von Ungeimpften verglichen. Und es gibt eben einen frappierenden Punkt, der ihnen auch sofort aufgefallen ist: Das Pockenvirus nutzt eine ähnliche Tür, um in Zellen reinzukommen wie das Aidsvirus. Und das Aidsvirus braucht zwei Strukturen auf der Zelle. Das Eine ist ein Co-Rezeptor, CCR5 nennen die Mediziner und Fachleute das, und genau diesen Faktor nutzt das Pockenvirus auch. Jetzt ist es bei einer Impfung eigentlich so: Man impft gegen ein Virus, man impft nicht so, dass irgendetwas mit den Zellen passiert. Aber was die Forscher dann gesehen haben, ist: Wenn jemand gegen Pocken geimpft wird, dann bildet der besonders viele Botenstoffe, Immunstoffe – vor allen Dingen aus einer Kategorie, sogar Chemokine. Die haben eine Eigenheit: die setzen sich sozusagen auf diese Struktur von Immunzellen drauf, die eben das Pockenvirus und das Aidsvirus als Tür benutzen. Also einfach gesagt: Wer gegen Pocken geimpft ist, dessen Immunzellen sind geschützt davor, dass das Aidsvirus reinkommt. Das heißt, man kann damit eine Infektion von Zellen verhindern. Und das haben die im Labor sozusagen nachgewiesen.
Zöfel: Und wie lange hat der Schutz im Labor funktioniert?
Winkelheide: 15 Monate ungefähr. Aber das Hauptproblem bei der Studie ist: Sie haben sozusagen Blutuntersuchungen gemacht, sie haben nicht nachgewiesen: Ja, die Menschen können sich tatsächlich nicht anstecken. Denn man steckt sich in der Regel über Geschlechtsverkehr an. Und das passiert in den Schleimhäuten und eben nicht im Blutsystem. Und das ist die große Schwachstelle in der Studie. Das heißt, eigentlich kann es den Anfang der Aids-Epidemie doch nicht richtig erklären. Und die anderen Faktoren, soziale Faktoren, waren sicherlich viel wichtiger. Also dass sich das Aidsvirus entlang der Handelsrouten ausgebreitet hat, dass es zeitgleich auch Epidemien von sexuell übertragbaren Krankheiten gegeben hat, die eben eine Ansteckung mit Aids einfacher machen. Und man muss immer sehr vorsichtig sein, wenn man sozusagen einen Faktor verallgemeinert und sagt, das Ende der Pocken war der Anfang der Aids-Epidemie – das ist zu kurz gegriffen.
Zöfel: Martin Winkelheide über Spekulationen von US-Forschern, die einen Zusammenhang zwischen Pockenimpfung und Immunität gegen HIV sehen.
Martin Winkelheide: Es haben sich ja schon viele Forscher gefragt: Wie kommt es eigentlich, dass sich das Aidsvirus so schnell ausgebreitet hat? Und man hat versucht, die frühe Zeit der Aids-Epidemie zu rekonstruieren und was heute unter den Forschern einigermaßen Konsens ist, ist dass in den 20er-, 30er-Jahren – vielleicht ein bisschen früher – das Virus mehrfach vom Affen auf den Menschen übergesprungen ist. Übergesprungen klingt ein bisschen abstrakt – wahrscheinlich ist es Folge eines Jagdunfalls gewesen. Denn Menschen haben in Afrika auch häufig schon Affen gejagt und auch gegessen. Also das heißt, entweder sind sie vom Affen verletzt worden oder sie haben sich über das Essen von infiziertem Fleisch angesteckt – das weiß man so ungefähr. Man kann es auch anhand von Stammbäumen rekonstruieren. Man weiß auch, wo es war: Es war im westlichen Zentralafrika, im heutigen Kamerun. Und von da aus ist es wahrscheinlich losgegangen. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass die Forscher in den USA sich jetzt angeguckt haben: Wie war das denn mit den Pocken? Also: Wo sind die Pocken verschwunden, wie lange hat man wo geimpft? Sie haben sich das angeguckt und haben gesehen: In den 50er- bis 70er-Jahren, je nachdem wo man besonders erfolgreich war, hat man eben auch schneller aufgehört zu impfen. Und dann haben die Forscher diese beiden Verteilungsmuster sozusagen verglichen, aber haben gesagt, das muss doch irgendwie zusammenhängen. Und dann haben sie sich das genauer angeguckt.
Zöfel: Und gibt es einen Zusammenhang? Können die Forscher einen Mechanismus erklären?
Winkelheide: Das war das, was sie versucht haben. Also sie haben jetzt geguckt: Wenn sich dort, wo früher aufgehört wurde, gegen die Pocken zu impfen, das Aidsvirus gut ausgebreitet hat, dann könnte das irgendwie zusammenhängen. Und dann, haben sie gesagt, müssen wir aber sehen, dass wir irgendwie einen Mechanismus finden. Was passiert auf Zellebene? Sie haben dann Freiwillige gegen Pocken geimpft und haben Blut genommen und das Blut mit dem von Ungeimpften verglichen. Und es gibt eben einen frappierenden Punkt, der ihnen auch sofort aufgefallen ist: Das Pockenvirus nutzt eine ähnliche Tür, um in Zellen reinzukommen wie das Aidsvirus. Und das Aidsvirus braucht zwei Strukturen auf der Zelle. Das Eine ist ein Co-Rezeptor, CCR5 nennen die Mediziner und Fachleute das, und genau diesen Faktor nutzt das Pockenvirus auch. Jetzt ist es bei einer Impfung eigentlich so: Man impft gegen ein Virus, man impft nicht so, dass irgendetwas mit den Zellen passiert. Aber was die Forscher dann gesehen haben, ist: Wenn jemand gegen Pocken geimpft wird, dann bildet der besonders viele Botenstoffe, Immunstoffe – vor allen Dingen aus einer Kategorie, sogar Chemokine. Die haben eine Eigenheit: die setzen sich sozusagen auf diese Struktur von Immunzellen drauf, die eben das Pockenvirus und das Aidsvirus als Tür benutzen. Also einfach gesagt: Wer gegen Pocken geimpft ist, dessen Immunzellen sind geschützt davor, dass das Aidsvirus reinkommt. Das heißt, man kann damit eine Infektion von Zellen verhindern. Und das haben die im Labor sozusagen nachgewiesen.
Zöfel: Und wie lange hat der Schutz im Labor funktioniert?
Winkelheide: 15 Monate ungefähr. Aber das Hauptproblem bei der Studie ist: Sie haben sozusagen Blutuntersuchungen gemacht, sie haben nicht nachgewiesen: Ja, die Menschen können sich tatsächlich nicht anstecken. Denn man steckt sich in der Regel über Geschlechtsverkehr an. Und das passiert in den Schleimhäuten und eben nicht im Blutsystem. Und das ist die große Schwachstelle in der Studie. Das heißt, eigentlich kann es den Anfang der Aids-Epidemie doch nicht richtig erklären. Und die anderen Faktoren, soziale Faktoren, waren sicherlich viel wichtiger. Also dass sich das Aidsvirus entlang der Handelsrouten ausgebreitet hat, dass es zeitgleich auch Epidemien von sexuell übertragbaren Krankheiten gegeben hat, die eben eine Ansteckung mit Aids einfacher machen. Und man muss immer sehr vorsichtig sein, wenn man sozusagen einen Faktor verallgemeinert und sagt, das Ende der Pocken war der Anfang der Aids-Epidemie – das ist zu kurz gegriffen.
Zöfel: Martin Winkelheide über Spekulationen von US-Forschern, die einen Zusammenhang zwischen Pockenimpfung und Immunität gegen HIV sehen.