Archiv

Podcast "Merzcast"
Meister des Lärms

Die US-amerikanischen Musiker Greh Holger und Mike Connelly sprechen in ihrem Podcast „Merzcast“ über das Werk des Noise-Künstlers Masami Akita alias Merzbow. Das Projekt gibt Aufschlüsse über den besonderen Sound des japanischen Lärmgiganten - und motiviert dazu, selbst nach neuen Klängen zu suchen.

Von Raphael Smarzoch | 27.04.2019
Auf dem Bild sind die Macher des Merzcasts Mike Connelly und Greh Holger zu sehen. Sie halten eine CD von Merzbow in der Hand und lächeln in die Kamera
Die Macher des "Merzcasts": Mike Connelly (l.) und Greh Holger mit einer CD von Merzbow (Merzcast)
"Die Geschichte, die mit Merzbow und Masamis Werk einhergeht, ist beispiellos. Er macht das seit Ende der 70er-Jahre. Er hat nie damit aufgehört. Er hat nie Kompromisse gemacht. Es ist aufregend für uns, sich in sein Werk einzuarbeiten und seine gesamte Arbeit zu erforschen."
Ein ambitioniertes Projekt, das sich Mike Connelly mit seinem Kollegen Greh Holger vorgenommen hat. Masami Akita hat unter dem Namen Merzbow schließlich mehr als 300 Alben veröffentlicht. Ein gigantisches Werk, das stetig größer wird. Denn mit 65 Jahren ist Merzbow noch immer aktiv. Seine Musik: komplex und vielschichtig.
"Ich finde immer etwas Neues"
"Es ist, wie abstrakte Kunst zu betrachten. Jedes Mal, wenn ich eine Merzbow-Platte höre, finde ich etwas Neues, worauf ich mich konzentrieren kann. Ich finde andere Klangschichten und Sounds. Es ist Noise-Musik. Man kann aus ihr seine eigenen Interpretationen ziehen und eine sehr persönliche Beziehung zu ihr aufbauen."
Das trifft auch auf Greh Holger zu. Als Hive Mind komponierte er selbst laute Geräuschmusik. Mit Chondritic Sound leitet er bis heute ein Label für experimentelle Nischenklänge. Sein Podcast-Partner Mike Connelly spielte in Bands wie Wolf Eyes oder Hair Police. Noise-Musik ist fest verankert im Leben der beiden US-Amerikaner. Mit dem Merzcast möchten sie auch unbedarfte Hörer an Merzbows Sound heranführen.
Das Who’s Who der internationalen Musikszene
Das Prinzip des Podcasts ist schnell erklärt: Ein Gast kommt zu Besuch, der sich ein Merzbow-Album ausgesucht hat. Die Gästeliste liest sich bislang wie ein Who’s Who der internationalen experimentellen Musikszene: Russell Hasswell, Philip Best oder Peter Rehberg von Editions Mego waren bereits da. Vor der Aufnahme jeder Episode hören alle gemeinsam das ausgewählte Album. Dabei werden Notizen gemacht. Es wird nicht miteinander gesprochen. Anschließend drücken die Podcaster auf "record".
Greh Holger: "Die meiste Interaktion, die wir miteinander haben, ist Blickkontakt oder ein aufgeregtes ‚Oh Yeah‘, wenn etwas Cooles geschieht."
Ein Podcast über Masami Akitas Musik steht vor der Herausforderung, die abstrakten Sounds des japanischen Noise-Giganten in Worte zu fassen. Auch wenn sich aus seinen Klanginfernos hin und wieder konventionelle Instrumente herausschälen, sind es doch hauptsächlich schwer identifizierbare Klänge, die seine Stücke bestimmen. Man hört metallische Klänge, Verzerrungen, Feedbacks, digitale und analoge Verunreinigungen, schräge Rhythmen und Loops. Es stellt sich also die Frage, wie redet man über Noise-Musik?
Greh Holger: "Ich tendiere dazu, einen sehr direkten Zugang zu den Geräuschen zu entwickeln, über die wir sprechen. Ich denke nach über die Art der Sounds und das Equipment, das möglicherweise benutzt wurde, weil mich das fasziniert. Ich mag Synthesizer und Effektpedale. Mike kreiert zu jeder Veröffentlichung eine Art Story. Ich denke, die Art und Weise, wie wir über dieses Zeug reden, ist ein netter Kontrapunkt ."
Blick auf das Frühwerk
So beschreibt Mike Connelly etwa seine Eindrücke, die er beim Hören des Merzbow-Albums "Open at 8am" hatte. Auf dem Cover ist eine Tankstelle abgebildet. Das inspiriert Connelly dazu, die Musik mit einem großen, benzinfressenden Auto zu assoziieren. Die Atmosphäre der Unterhaltung wirkt gelöst. Die Hörerinnen und Hörer haben den Eindruck, selbst mit am Tisch zu sitzen und sich über Merzbow auszutauschen.
Mike Connely: "Wir wollen, dass es wirkt, als höre man ein paar Leuten bei einer lockeren Diskussion zu."
Obwohl Merzbow auch heute noch aktiv ist, blicken Greh Holger und Mike Connelly mit ihren Gästen häufig auf sein Frühwerk zurück. Sie diskutieren dann etwa ihre erste Begegnung mit Merzbows Musik und warum sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Merzbows Stücke offenbaren die unendlichen Möglichkeiten, die Musik haben kann und bewegten viele Fans, nach anderen seltsamen Klängen zu suchen. Der Merzcast wiederum reanimiert dieses Bedürfnis, nach dem Rätselhaften, Seltsamen und Neuen in der Musik zu forschen.
Greh Holger: "Ich bin nicht allzu nostalgisch und vergangenheitsfixiert. Man taucht in etwas Unbekanntes ein. Ich denke, es geht mehr um die Faszination, etwas Neues zu entdecken, als Nostalgie."