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Podcast-Reichweite
Zahlenkosmetik

Fernsehquoten und Zeitungsauflagen werden seit Jahrzehnten von neutraler Stelle erfasst. Anders sieht es bei Podcasts aus: Weil es keine einheitlichen Messstandards gibt, würfeln manche Podcaster munter Zahlen durcheinander.

Text: Annika Schneider | 13.05.2019
Eine Frau sitzt an einem Fenster, sie hat weiße Kopfhörer in ihren Ohren und hört eine Sendung.
Wie viele Hörer eine einzelne Podcast-Folge tatsächlich erreicht, ist nicht so einfach zu messen. (Unsplash/ Siddarth Bhogra)
Auf den ersten Blick sehen die Zahlen von Gabor Steingarts täglichem Podcast beeindruckend aus: Rund 416.000 Mal werde das Angebot pro Woche heruntergeladen, heißt es in einer Infografik von Steingarts Media Pioneer GmbH. Die Abbildung vergleicht die Angabe werbewirksam mit den Abozahlen von Tageszeitungen. Die knapp 170.000 Abos der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sehen gegenüber Steingarts Reichweite auf den ersten Blick alt aus.
Dass dieser Vergleich massiv hinkt, wurde auf Twitter schon vor einiger Zeit diskutiert. Denn zum einen verkaufen sich Tageszeitungen nicht nur per Abo, sondern auch in Kiosken und Zeitschriftenläden. Zum anderen lassen sich wöchentliche Downloadzahlen nicht mit der täglichen Reichweite der Presse vergleichen.
"Ich kenne niemanden, der das ansonsten wochenweise analysiert", sagte Marc Krüger im Dlf in der Mediensendung @mediasres. Der Podcastredakteur verantwortet beim Online-Portal t-online den Audiobereich. Mit dieser Maximalzahl mache Steingart den Markt für andere Podcaster, die "vielleicht genauer hinschauen", schwieriger.
Bislang kein einheitlicher Standard
Dahinter steckt ein bekanntes Problem: Wie kann man Podcast-Zahlen verlässlich messen? Für andere Medien gibt es inzwischen mehr oder weniger zuverlässige, anbieterübergreifende Verfahren, um Reichweite zu erfassen. Die Auflagen von Zeitschriften und Zeitungen berechnet die IVW, für den Hörfunk gibt es die ma Audio und Fernsehquoten misst die GfK im Auftrag der AGF. Auch für Webseiten und Social Media haben sich inzwischen Tools und Kennziffern eingebürgert, mit denen sich Nutzungszahlen vergleichen lassen.
In der Podcast-Szene fehlt ein solcher Standard bislang noch. Gleich mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich, dass die kursierenden Zahlen oft wenig aussagekräftig sind. Die Anzahl der Downloads sagt beispielsweise wenig darüber aus, ob die Audiodateien auch tatsächlich angehört worden sind. Manche Nutzer laden die neuesten Folgen automatisiert herunter – ohne den Podcast dann jemals zu hören. Und selbst wenn sie die Audiodatei tatsächlich abspielen, dann sind die Chancen statistisch gesehen hoch, dass sie schon nach kurzer Zeit abbrechen, zum Beispiel weil der Inhalt nicht ihren Erwartungen entspricht.
Widersprüchliche Hörerzahlen
Hinzu kommt, dass eine einzige Person ja auch für mehrere Downloads verantwortlich sein kann – zum Beispiel wenn das Laden wegen einer schlechten Internetverbindung mehrfach fehlschlägt. Viele Podcasts laufen bei Streaming-Anbietern wie Spotify oder Soundcloud. Hier lässt sich zumindest die Zahl der Abonnenten erfassen. Aber auch die sagt wenig darüber aus, wie viele Hörer ein Podcast tatsächlich erreicht. Die Plattformen veröffentlichen zwar Rankings - allerdings erstellen Apple, Deezer und Co. jeweils ihre eigenen Charts.
So kommt es, dass über Gabor Steingarts Podcast ganz unterschiedliche Zahlen kursieren – auch abseits der unternehmenseigenen PR. @mediasres berichtete zuletzt von rund 400.000 wöchentlichen Downloads: "Das sind geschätzt 80.000 regelmäßige Hörer." Das Medienportal meedia.de schrieb wiederum von "etwa 100.000 Abonnenten" und "dem Vernehmen nach ca. 500.000 Hörer wöchentlich". Und der Medienkonzern Axel Springer, der als Investor hinter Gabor Steingarts Medienfirma steht, behauptete, das Angebot sei "mit knapp 400.000 Streams pro Woche Deutschlands führender Daily Podcast für Politik und Wirtschaft".
Branche hat Interesse an hohen Zahlen
Diese Behauptung lässt sich weder be- noch widerlegen, solange Podcast-Reichweiten nicht von einer unabhängigen Stelle gemessen werden. Der BBC-Radiochef James Purnell forderte deswegen im Sommer 2018 für Großbritannien offizielle Charts für Podcasts. Die USA sind da schon einen Schritt weiter: Dort gibt es inzwischen den einheitlichen IAB-Standard zur Messung von Podcast-Downloads, benannt nach dem Interactive Advertising Bureau Technology Lab (IAB Tech Lab).
Fraglich ist, wie sehr die Branche überhaupt daran interessiert ist, realistische Kennzahlen zu erfassen. Vielen Podcastbetreibern geht es vor allem darum, Werbekunden vom eigenen Erfolg und der eigenen Reichweite zu überzeugen. Solange es keine einheitlichen Charts oder Standards gibt, kann sich jeder die vorteilhaftesten Zahlen herauspicken und diese beliebig darstellen – so wie in der Infografik zu Gabor Steingarts Podcast. Dessen eigenes Angebot enthält bislang keine Werbung.