Der Dortmunder Journalist Felix Huesmann ärgert sich noch immer, auch wenn der Grund dafür schon fünf Monate zurückliegt. Es ist ein Dossier aus der "Zeit". Die Wochenzeitung hatte Anfang Mai ein sechsseitiges Dossier über Husmanns Wohnort veröffentlicht, die Dortmunder Nordstadt:
"Die Sachen, die da beschrieben werden, sind ja nicht falsch. Hier gibt es total elende Zustände, an denen man tagtäglich vorbei geht. Ich fand aber zum einen, dass das sehr einseitig war und dass diese Einseitigkeit nicht gut gekennzeichnet war. Es wurde so getan, als würde über die große Nordstadt geschrieben, tatsächlich handelte das Meiste aber über wenige Straßenzüge."
Podcast "Nordstadtgespräche" sucht das Miteinander
Die "Zeit"-Autoren haben ein dystopisches Bild der Nordstadt gezeichnet, kritisiert Husmann - so wie zuvor schon ein Journalist der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und weitere Kollegen: "Die Leute kommen kurz hierhin, berichten kurz wie schrecklich alles ist, produzieren Schlagzeilen und es bleibt aber immer sehr eindimensional - nein, nicht immer, aber häufig sehr eindimensional. Und da ich die Nordstadt aus verschiedenen Facetten wahrnehme, dachte ich mir, ich versuche das mal etwas mehrdimensionaler darzustellen."
Das will Husmann seit Juni mit einem Podcast schaffen - "Nordstadtgespräche" lautet der Name. Ein solches Format aus und über einen sozial schwachen Stadtteil gab es vorher in ganz Deutschland nicht.
"Armut, Kriminalität, Drogen. Viele Menschen leben hier in elenden Verhältnissen. Die Nordstadt hat allerdings auch ganz andere Seiten. Darüber möchte ich in diesem Podcast sprechen. Mit Menschen aus dem Viertel. Mit Freunden und Fremden, mit Nachbarn und Experten..."
Wer den Podcast hört, lernt etwa, dass die lokalen Bildungsangebote zwar gut sind. Das bringt den Stadtteil aber nicht voran, weil die Bildungsgewinner irgendwann wegziehen und neue Abgehängte nachkommen. Oder dass die Nordstadt schon seit dem 19. Jahrhundert ein Ort für Migration und die daraus entstehenden Probleme ist. Von einem "Multiproblemviertel" spricht die Polizei auch heute noch. Als im September 2016 Beamte bei einem Einsatz von einer größeren Menschenmenge umzingelt wurden, veröffentlichten zwei CDU-Landtagsabgeordneten eine Pressemitteilung: "Jetzt haben wir also auch in Dortmund rechtsfreie Räume. (...) Man muss hier von einer No-Go-Area sprechen."
Überregionale Zeitungen haben negatives Dortmund-Bild gezeichnet
Auch wenn die Dortmunder Polizei dem widersprach, machte die NRW-CDU vermeintliche No-Go-Areas erfolgreich zum Thema vor der Landtagswahl im Mai. Binnen sieben Wochen erschienen nacheinander große Artikel in der "FAZ", der "Zeit" und der "Süddeutschen Zeitung".
Texte, die sich kaum unterscheiden, meint Janis Brinkmann, Professor für Publizistik und langjähriger Mitarbeiter des Dortmunder Institut für Journalistik: "Ich glaube da sind Geschichten rausgekommen, die aber inhaltlich alle recht ähnlich sind. Man würde, wenn man sich das anguckt ähnliche Bilder finden, ähnliche Protagonisten, die da eine Rolle spielen, zumindest erfüllen sie in diesen Geschichten ähnliche Zwecke und ja, am Ende wir natürlich ein sehr negatives Bild von der Nordstadt gezeichnet."
Wäre er kein Dortmunder, hätte Brinkmann wahrscheinlich selbst nach diesen Bildern gesucht. Negativthemen würden überregional nun mal mehr interessieren und sich auch in diesen Redaktionen besser verkaufen lassen. Eine positive Geschichte unterzubringen wäre zwar journalistisch reizvoll, aber da befürchtet er: "Um es plakativ oder einfach zu sagen: Es knallt nicht genug."
Wenig Interesse an Dortmund nach Landtagswahlen
Entsprechend viele Presseanfragen gingen vor der Landtagswahl in NRW bei der Dortmunder Polizei ein. Journalisten wollten sich ein Bild von dem Stadtteil machen und Beamte im Dienst begleiten. Seit Mitte Mai tendieren diese Anfragen laut Polizei wieder gegen Null, nachhaltige Berichterstattung gab es nicht. Für Janis Brinkmann nicht verwunderlich:
"Um eine kontinuierliche, anknüpfende Berichterstattung zu haben, über mehrere Wochen auch nach der Wahl, unabhängig davon, müsste man eigentlich wieder einen neuen Aufhänger haben. Weil man kann jetzt nicht zwei Mal die gleiche Elendsreportage schreiben. Gerade nicht im Überregionalen. Das Thema ist jetzt erschlagen, es ist durch erstmal und man wartet jetzt auf neue Erkenntnisse.
Lokaljournalisten könnten sich an Themen des Podcasts orientieren
Erkenntnisse, die Husmanns Podcast liefern kann? Der Macher gibt sich optimistisch.
"Ich glaube schon, dass ich es schaffen kann, mit diesem Podcast lücken zu füllen und Dinge in den Fokus zu rücken, die in anderen Medien nicht so stark thematisiert werden," so Huesmann.
Janis Brinkmann ist allerdings skeptisch: "Die Frage ist, ob überregionale Medien das wahrnehmen und dann muss man gucken, ob denn hier vielleicht die Zielgruppe auf überregionale Journalisten gelegt ist, und ob nicht eher Dortmunder Lokaljournalisten da nach Themen und Perspektiven suchen, ich glaube, dass das eher realistischer ist."
Bei den Dortmunder Nordstadtbloggern war das 2013 genauso, sagt Brinkmann. Der Blog gehöre mittlerweile zur Inspirationsquelle von Lokalradio und Zeitung in Dortmund.