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Podemos-Abgordneter
"Sie haben nicht verstanden, dass sich das System gewandelt hat"

Spanien steht vor Neuwahlen, die Regierungsbildung ist gescheitert. Dass es soweit gekommen ist, hat nach Ansicht des Podemos-Abgeordneten Pablo Bustinduy auch damit zu tun, dass die bisher politisch Handelnden einen Wandel des politischen Systems verschlafen hätten. Während man woanders in Europa auf Augenhöhe mit Podemos umgegangen wäre, gäbe es in Spanien noch eine ganz andere politische Kultur, sagte Bustinduy im Deutschlandfunk.

Pablo Bustinduy im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der spanische Podemos-Abgeordnete Pablo Bustinduy in einer Parlamentsdebatte
    Der spanische Podemos-Abgeordnete Pablo Bustinduy in einer Parlamentsdebatte (dpa / picture alliance / Zipi)
    Christoph Heinemann: Wieso war es nach der Wahl im Dezember nicht möglich, eine Regierung zu bilden?
    Pablo Bustinduy: Wir haben es versucht. Wir sind zu Verhandlungen mit der Sozialistischen Partei gegangen, um eine Koalitionsregierung bilden zu können. Die Sozialistische Partei wollte einer Einigung mit uns nicht zustimmen. Sie wollten, dass wir nicht in die Regierung eintreten, sie aber dennoch parlamentarisch unterstützten würden. Und zwar eine Regierung, an der auch die Partei Ciudadanos teilnehmen sollte. Wir haben grundsätzlich klargestellt, dass wir eine Regierung mit einer progressistischen Mehrheit anstreben wollten.
    Heinemann: Es gibt ein Problem mit der Sozialistischen Partei?
    Bustinduy: Es besteht ein allgemeines Problem der Anerkennung, nicht nur in der Sozialistischen Partei. Ich glaube, dass die bisher politisch Handelnden noch nicht verstanden haben, dass sich das Parteiensystem und das politische System in Spanien gewandelt haben. Bei den letzten Wahlen sind wir mit den Sozialisten fast gleichgezogen. In Europa wäre in einem solchen Fall eine Koalition zwischen gleichen Kräften auf Augenhöhe die Folge.
    Entrevista en Español:

    Im spanischen Original können Sie das Interview hier hören.
    Koalitionen neu für politische Kultur
    Heinemann: In Deutschland haben wir uns an allerlei Koalitionen gewöhnt. Wieso ist eine Koalitionsbildung in Spanien so schwierig?
    Bustinduy: Das hat mit einer politischen Kultur zu tun. Vor allem mit der Zeit des Übergangs in die Demokratie. Damals sorgte das Wahlrecht für Privilegien. Nicht nur die Kontrolle über das Parlament wurde damit geregelt, sondern auch über die gesamte Macht im Staat. Das zu ändern wird Spanien gut tun. Damit wird die parlamentarische Kultur vertieft und diese demokratischer, reifer und europäischer. Das wird allerdings dauern. Die Sozialistische Partei fühlt sich durch uns bedroht und möchte diesen Wandel nicht wahrhaben.
    Heinemann: Ist die Korruption ein Ergebnis dieser alten Kultur?
    Bustinduy: Diese alte politische Kultur, die Straflosigkeit in Aussicht gestellt hat, hat die Korruption gefördert. Denn in dem Augenblick, in dem auf allen staatlichen Ebenen auf die herkömmliche Art gearbeitet wurde, fehlte ein Gegengewicht, das die Korruption hätte bekämpfen können. Aber die Ursache der Korruption liegt nicht im politischen System, sondern in den wirtschaftlichen Strukturen in Spanien. Es besteht eine enge Beziehung zwischen wirtschaftlichen und politischen Eliten, die dieses System ausgenutzt haben, damit sie garantiert straflos davon kommen.
    Spanien benötigt qualitativ bessere Arbeitsplätze
    Heinemann: Die Arbeitslosigkeit bildet das größte Problem in Spanien. Wie möchte Podemos die Beschäftigungslosigkeit verringern?
    Bustinduy: Um die Arbeitslosigkeit zu verringern - in der Tat das wichtigste Problem in Spanien – müssen wir Veränderungen in unserem Produktionssystem vornehmen. Spaniens Industrialisierung begann in den 80er Jahren nach dem Eintritt in die Europäische Union. Und sie hat sich in hoch spekulativen Bereichen ausgebreitet, wie die Immobilien – oder die Finanzblase zeigt, oder in Bereichen sehr geringer Wertschöpfung, wie dem Tourismus, der nur saisonale und unsichere Arbeitsplätze schafft. Wenn Spanien auf Sektoren mit hoher Wertschöpfung setzt, die biomedizinische Forschung, Infrastruktur, erneuerbare Energien, Ingenieurswesen, kann es in kurzer Zeit und mit geringen Anstrengungen an die Weltspitze vorstoßen, da wir über große Fähigkeiten, Talente und die entsprechende Infrastruktur verfügen. Wenn Spanien auf nachhaltige und innovative Bereiche setzt und damit mehr Wertschöpfung erzielt, ist das der Schlüssel für mehr und qualitativ bessere Arbeitsplätze.
    Spanier empört über die Untätigkeit in der Flüchtlingskrise
    Heinemann: Seit einigen Monaten erreichen viele Flüchtlinge Europa. Sollte Spanien mehr Migranten aufnehmen?
    Bustinduy: Allerdings. Und nicht nur ich, sondern auch nahezu alle Spanier sagen das. Alle Umfragen zeigen die Empörung über die Untätigkeit der spanischen Regierung und die Unfähigkeit der Kommission in Brüssel. In dieser Krise steht ein großer Teil der Zukunft Europas auf dem Spiel. Denn die Untätigkeit steht ja nicht nur für eine moralische Bankrotterklärung des europäischen Projektes. Bei Wahlen nehmen außerdem die ausländerfeindlichen, rechtsextreme Optionen zu, welche die Demokratie in Europa bedrohen.
    Heinemann: In den letzten Jahrzehnten befinden sich rechtsradikale oder rechtspopulistische Parteien in Europa auf dem Vormarsch. In Spanien nicht. Warum nicht?
    Bustinduy: Weil es in Spanien im Unterschied zu anderen Ländern zum Glück die Bewegung 15. Mai gab. Die Bewegung der Empörten, die wie ein demokratischer Impfstoff gegen das Spiel der Rechtsextremen gewirkt hat. Von Anfang an hat die Bewegung 15. Mai die Verantwortung für die Wirtschaftskrise denen zur Last gelegt, die sie verursacht haben: der politischen Klasse und der Finanzwelt unseres Landes. Auf diese Weise war es unmöglich, für Ungewissheit und Angst einen Sündenbock zu beschuldigen: Flüchtlinge, Migranten, Moslems wurden eben nicht für eine Krise verantwortlich gemacht, die in Wirklichkeit von den Finanzmächten der Vereinigten Staaten von Amerika und der Londoner City verursacht wurden.
    Sparpolitik sorgt für desaströse Ergebnisse
    Heinemann: Wie erklären Sie sich die populistische Versuchung in Europa?
    Bustinduy: Die gegenwärtige Instabilität in den Parteien- und europäischen Politiksystemen hat mit der Sparpolitik zu tun, die makroökonomisch desaströse Ergebnisse erzielt hat: Es wurden keine Arbeitsplätze geschaffen, Armut, Ungleichheit, und soziale Ausgrenzung nehmen zu. Vor diesem Horizont der Unsicherheit ist es normal, daß es verschiedene gegen das Establishment gerichtete politische Optionen gibt, die aus solchen Stimmen Kapital schlagen.
    Heinemann: Das heißt, Sie kritisieren die Politik von Bundeskanzlerin Merkel?
    Bustinduy: Ich kritisiere die Alleinherrschaft der Sparpolitik, die verschiedentlich von Frau Merkel durchgesetzt wurde. Aber das geht über die Person Merkel hinaus. Es handelt sich um ein makroökonomisches Dogma. Man muss nur nach Griechenland, Spanien oder gerade auch Frankreich schauen: Dieses Dogma hat für soziales Leiden und ausgesprochen schlechte wirtschaftliche Ergebnisse gesorgt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.